Titelgeschichte
Bock auf Bundeswehr
9. Mai 2014, 10:39 Uhr aktualisiert am 9. Mai 2014, 10:39 Uhr
Waffen-Narren, Samariter in Uniform, Adrenalin-Junkies, Dienstleister an Deutschland: Definitionen für Soldaten gibt es zur Genüge. Doch was trifft wirklich zu? Freistunde hat junge Rekruten getroffen und gefragt: Warum gehen sie zur Bundeswehr, wie ergeht es ihnen dort und als was sehen sie sich selbst?
Von wegen einförmig: Die Bedeutung des Wortes "Uniform" zerfällt schon beim ersten Blick auf die jungen Soldaten auf Zeit. Und so nah sie sich in der Gäubodenkaserne in Feldkirchen auch räumlich sind, so sehr unterscheiden sich ihre Tätigkeiten. Tobias Hundsberger und Eric Kramer tragen das erwartete Flecktarn. Die beiden Gefreiten sind momentan im Innendienst und erledigen in einem Geschäftszimmer Verwaltungstätigkeiten. Die Ausbildung zum Rettungssanitäter steht den beiden 22-Jährigen noch bevor. Die weißen Arzthosen und der blaue Pullover dagegen weisen Unteroffi zier Nancy Schmidt bereits als Mitarbeiterin des Sanitätszentrums aus. Hier erfüllt sie unter anderem die typischen Aufgaben einer Arzthelferin. Was die drei gemeinsam haben? Alle kennen auch das Karriereleben außerhalb der Kaserne. Für die beiden Jungs ist die Bundeswehr der zweite Bildungsweg. Eric interessierte sich bereits direkt nach dem Abi für eine Laufbahn bei der Bundeswehr, versuchte sich allerdings erst an einem Studium in Mathe und Physik: Eindeutig nichts für ihn, weiß er jetzt. Auch Tobias machte zuerst eine Ausbildung im zivilen Bereich und wurde Bodenleger. Eine Fernsehwerbung rief ihm seinen Berufswunsch mit 16 Jahren wieder ins Gedächtnis: Soldat werden.
Bei Nancy dagegen lief es genau andersrum. Nach der Schule ging sie direkt zur Bundeswehr, trat zwischenzeitlich aus und legte zivil eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin ab. Danach kehrte sie als Wiedereinsteigerin zurück. Die Rückkehr war eine Erleichterung für Nancy. Die Arbeit war ihr im zivilen Bereich nicht abwechslungsreich genug. "Hier habe ich sowohl den grünen als auch den weißen Bereich. Ich kann militärisch, aber auch medizinisch arbeiten", beschreibt die 26-Jährige. Doch sie stellt klar: "In erster Linie sollte man sich immer als Soldat sehen, der jeweilige Beruf ist zweitrangig."
Willenskraft notwendig, Geldgier hinderlich
Und wie jeder andere Soldat auch, mussten die drei die militärische (und von vielen gefürchtete) Grundausbildung durchlaufen. Eric und Tobias haben das hinter sich. Beim Gedanken zurück grinsen beide: "Wer mittendrin ist, denkt sich ,Schwere Zeit'. Wer es geschafft hat, denkt sich ,Beste Zeit'." Die Grundausbildung strengt körperlich sowie geistig an. Dem sogenannten Biwak eilt sein Ruf voraus. "Das ist quasi militärisches Campen", erklärt Tobias. Die Rekruten übernachten bei diesem Feldlager in einem Zelt im Wald und müssen ein Lagerfeuer am Brennen halten. Zeltplatzromantik? Weit gefehlt! Märsche absolvieren, den Bereich vor "Feinden" sichern, nachts den Alarmposten bewachen und trotz wenig Schlaf leistungsfähig bleiben, das alles gehört dazu. Also bedeutend mehr als nur Grüßen und Gehen im Gleichschritt. Aber wer hier dabei ist, möchte gefordert werden. "Man will an seine Grenzen kommen und ist stolz, sie überschritten zu haben", beschreibt Tobias. Für viele außerdem eine große Umstellung: Man ist oft lange und weit von der Familie weg, lebt mit den Kameraden in Mehrbettzimmern. "Ich hatte bereits WG-Erfahrung, deswegen bin ich gut damit klargekommen", sagt Eric augenzwinkernd. Der Nachteil: wenig bis keine Privatsphäre. Der Vorteil: Aufgeben ist fürs Erste nicht. Von den Kameraden, aber auch vom Ausbilder selbst kommt Motivation, das Verhältnis sei sehr gut.
Trotzdem haben Tobias und Eric miterlebt, dass Mitrekruten aufgegeben haben. Der Gedanke "Was zum Geier mache ich hier eigentlich?" komme bei jedem mal. In diesem Moment müsse der Wille über den Kopf siegen: "Der fehlt denjenigen, die nur kommen, um das Geld abzugreifen. Und ohne geht es nicht. Das ist eben kein Spaßverein", weiß Nancy. Auch eine harte Nuss: mit der Autorität des Ausbilders klarkommen. Eric klärt auf: "Das ist nichts für zu Freigeistige oder für jemanden, der keine Kritik abkann - und die wird kommen." Was nicht heißen soll, dass man keine eigene Meinung haben darf. Aber die drei finden: Manche Entscheidungen des Ausbilders stellt man nicht infrage. In einer großen Gemeinschaft müsse man Kompromisse eingehen. Wenn da jeder seine eigene Sache macht, komme man zu gar nichts und gefährde womöglich andere. "In der zivilen Lehre muss der Lehrling ja auch von ganz unten anfangen und das tun, was der Meister sagt", sagt Tobias. Nancy ergänzt allerdings: "Wenn da jemand zugibt ,Ich höre auf, das ist nicht mein Ding', ist das ein Zeichen von Größe."
24 Stunden mit der Waffe im Auslandseinsatz
Ebenfalls ein Knackpunkt für viele und Teil der Grundausbildung: Lernen, wie man mit einer Waffe umgeht - und davon auch theoretisch Gebrauch machen. "Wer daraus schließt, dass wir Spaß am Töten haben, hat keine Ahnung", stellt Tobias klar. Die Rekruten lernen das Schießen auf einer Bahn mit Schutzweste. Sie erlangen Sicherheit , aber keine Gleichgültigkeit. "Das ist ein gefährliches Werkzeug, der Respekt muss immer da sein", wirft Eric ein.
Im Auslandseinsatz tragen Soldaten die Waffe 24 Stunden bei sich. Ein ungutes Gefühl, weiß Nancy. Man gewöhnt sich daran, vergisst es aber nicht: "Es auf die leichte Schulter zu nehmen, wäre auch ein Fehler. Da hängt eine Menge Verantwortung dran. Mir ist es lieber, wenn ich die nicht tragen muss." Den Punkt Auslandseinsatz hat die 26-Jährige auf ihrer Erfahrungsliste schon abgehakt. "Das gehört für mich dazu. Ich wollte nicht sagen, ich bin Soldat, war aber noch nie im Auslandseinsatz", findet sie. Prinzipiell muss sich jeder Soldat für den Einsatz bereithalten. Auch Tobias und Eric sind sich dessen bewusst: "Das der Familie und den Freunden beizubringen, wird sicher trotzdem schwierig." Nancy hat diese Beichte schon hinter sich: "Meine Mutter hat geweint und ich hatte Schuldgefühle, meine Eltern zurückzulassen." Trotz allem verspürte sie keine Angst, sondern fühlte sich gut vorbereitet. In einem Krankenhaus in Mazar-e Sharif in Afghanistan arbeitete sie als OP-Springer, ein Helfer, der Instrumente reicht. Natürlich bekam sie hier auch Krankheitsbilder zu Gesicht, die psychisch belastend waren: "Außerdem liegt da nicht nur ein Patient vor einem, sondern immer auch ein Kamerad." In diesem Moment hat sie abgeschaltet, aber hinterher ging es ihr doch nahe. Geholfen hat ihr, sich mit den Kollegen auszutauschen, von denen sie rund um die Uhr umgeben war. Ohne ihre Familie zu sein, war besonders an Weihnachten und Silvester hart für Nancy. Ihr Freund war auch Soldat und die meiste Zeit mit ihr in Afghanistan: "Eine solche Person bei sich zu haben, nimmt einen großen Druck." Alles in allem sieht sie positiv auf ihre Zeit dort zurück. "Ich habe mir massives Wissen für später angeeignet. Ich würde mich auf jeden Fall noch mal freiwillig melden. Allerdings sollte man das abhängig machen von der Zukunft und sich zum Beispiel fragen, ob die Familie das verträgt."
Soldaten als Bürger in Uniform
Um einen Soldaten zu prägen, braucht es aber nicht unbedingt einen Auslandseinsatz. Der normale militärische Alltag genügt schon. Seit Tobias, Eric und Nancy bei der Bundeswehr sind, haben sie alle persönliche Veränderungen an sich selbst wahrgenommen, die sie auch ins Private mitnehmen. Der Übergang sei fließend. "Bei meiner Arbeit im zivilen Bereich hab' ich mich oft dabei ertappt, wie ich bei der Arbeit ,Jawohl' statt ,Ja' gesagt und immer im ,Rührt euch' gestanden bin", erinnert sich Nancy lachend. Gewisse Bewegungsabläufe werden automatisch abgespielt, Auftreten und Haltung verändern sich. Tobias fügt hinzu: "Außerdem wird man selbstständiger. Wo vorher die Mutti alles gemacht hat, plant man jetzt seinen Tagesablauf effizienter." Die Erziehung zum Kontrollfreak würden manche sagen. Doch auf Vorurteile gegenüber ihrem Beruf geben die drei nicht viel. "Solche Klischees sind oft wie bei der stillen Post zugetragen", findet Nancy. Ihr eigenes Selbstverständnis kennt sie genau: "Von außen wollen wir gerne als das gesehen werden, was wir sind: Vielleicht anders gekleidet und körperlich oft fitter, aber eigentlich ganz normale Bürger in Uniform."