Teil eins des Reiseführers von Johanna
Lässig und leidenschaftlich lebt es sich leichter
12. März 2014, 17:00 Uhr aktualisiert am 12. März 2014, 17:00 Uhr
Nach dem Abi wollte ich erstmal weg. Ich war sechs Wochen in Málaga an der Costa del Sol (Sonnenküste), um dort einen Spanischsprachkurs zu machen. Während dieser Zeit in Andalusien lernte ich neben der Sprache auch etwas über Land und Leute, reiste herum und nahm so viel wie möglich vom einzigartigen Flair der Gegend auf. In vier Ausgaben werde ich meine Eindrücke über Andalusien mit euch teilen. Heute geht es um die geschichtlichen Hintergründe, die Lebensart und die Mentalität der Südspanier.
Als Orient und Okzident aufeinandertrafen
Andalusien ist interessant wegen der Menschen, die dort leben, aber viel mehr noch wegen der Völker, die dort einst gelebt haben. Man kann Andalusien nur verstehen, wenn man etwas über die früheren Kulturen dort weiß. Ursprünglich prägten die Römer Andalusien, später die Mauren, die Andalusien von 711 bis 1492 besetzten und so Architektur, Sprache und Nahrung nachhaltig beeinflussten. Nach dieser Zeit herrschten streng katholische Königsgeschlechter in Spanien. Diese geschichtliche Abfolge lässt zwei kontroverse Ideologien aufeinandertreffen, die beispielsweise in der Architektur interessante Stilkombinationen hervorrufen. So wurden viele ehemalige Moscheen zu Kirchen umgebaut: Kitschige Heiligenbilder und Figuren schmücken weitläufige, arabische Gebäude mit zahlreichen Bögen und Säulen und verschnörkelten Verzierungen. Paradebeispiel dafür ist die berühmte Mezquita in der Stadt Córdoba.
Sich fühlen wie in Afrika
Die Nähe zu Nordafrika und der arabische Einfluss in der Geschichte sind allgegenwärtig. Es gibt Gebäude-, Städte- und Straßennamen, die mit der Vorsilbe "Al" beginnen, die aus dem Arabischen kommt. Bestes Beispiel: Die bei Touristen sehr beliebte Alhambra in Granada. Selbst in den kleinsten Dörfern findet man zahlreiche Läden, die Dekoration aus Marokko verkaufen und in denen man den Preis am besten verhandelt. Unbedingt besuchen sollte man in Andalusien marokkanische Lokale oder die sogenannten Teterias, arabische Teehäuser, wo frischer Tee in antiken Teekannen auf kunstvolle Weise in wunderschöne kleine Gläser eingegossen wird. Oder man reist direkt nach Marokko. Es ist so nah, dass einst ein König den Küstenort Nerja als Europabalkon bezeichnet hat - ein Begriff, der Andalusien sehr gut beschreibt. Man sieht die afrikanische Küste - bei gutem Wetter zumindest von Höhenlagen aus oder von vorgelagerten Stellen wie Gibraltar oder Tarifa, dem südlichsten Punkt. Von dort und von der Küstenstadt Algeciras aus gibt es Fähren nach Tanger.
Viele Einwanderer in Südspanien
Viele Marokkaner nehmen den umgekehrten Weg und wandern - meist illegal und häufig über die beiden spanischen Städte auf dem afrikanischen Kontinent Ceuta und Melilla - in die EU ein. Sie hoffen auf Arbeit und eine bessere Lebensqualität, genau wie die zweite große Einwanderungsgruppe in der Gegend: Menschen aus Südamerika, für die sich ein Land anbietet, in dem Spanisch gesprochen wird. Den Kulturaustausch regen außerdem eine Vielzahl an Sprachschulen an, die zum Anziehungspunkt für vor allem junge Leute aus aller Herren Länder werden und viele ERASMUS-Studenten, die ihr Auslandssemester an den Universitäten von Málaga, Granada oder Cádiz absolvieren. Besonders häufig trifft man auch auf Nordeuropäer im fortgeschrittenen Alter, die an die Costa del Sol ziehen, um ihren Lebensabend in angenehmerem Klima und im Genuss eines entspannteren Lebensstils zu verbringen.
Wirtschaftslage weniger gut
Doch genau diesen entspannten Lebensstil der Südländer sehen viele als Grund für die aktuelle Krise. Berühmt berüchtigt ist das Wort "mañana", das ewige "morgen", auf das alles verschoben wird. Es wird im Augenblick gelebt, mit Leidenschaft. Geschwindigkeit und Pünktlichkeit spielen eine geringe Rolle.
Aber ganz so ist es heute nicht mehr: Ich lerne einen Spanier kennen, in meinem Alter, der mit mir über seinen Arbeitsalltag als Kellner in einem Restaurant spricht. Aus Angst vor seinem Arbeitgeber möchte er nicht genannt oder fotografiert werden. Sein Leben ist geprägt von 60 Stunden Arbeit in der Woche. 50 davon sind Schwarzarbeit ohne Einzahlungen für eine spätere Rente, ohne Möglichkeit zur Verbesserung der finanziellen Lage des Landes, denn als Konsequenz fehlen Steuereinnahmen. Für jeden Tag Urlaub muss in der folgenden Woche auch am eigentlich freien Tag gearbeitet werden, bei Krankheit wird jemand anderes eingestellt. Die Auswahl für einen "Nachfolger" ist stets groß, die Jugendarbeitslosigkeit erschreckend hoch, die Anfangsgehälter unverschämt gering. Mein Bekannter schätzt sich dennoch glücklich, in Anbetracht unzähliger Jugendlicher, die in Spanien auf der Straße betteln müssen. Und ihm dient das "mañana" als Hoffnungsschimmer: "Schon bald wird es wieder besser sein. Genießen wir, was wir haben. Die Sonne, das Meer, die Leidenschaft für das Tanzen", sagt er mit einem breiten Grinsen.
Um diese Leidenschaft für das Tanzen geht es zum Beispiel im nächsten Teil dieses Reiseführers.