Entscheidung in Berlin

Reform des Infektionsschutzgesetzes beschlossen


Der Bundestag hatte seit Mittwochmorgen über die Reform beraten und diskutiert. (Symbolbild)

Der Bundestag hatte seit Mittwochmorgen über die Reform beraten und diskutiert. (Symbolbild)

Von mit Material der dpa

Die heftig umstrittene Reform des Infektionsschutzgesetzes passiert Bundestag und Bundesrat. Im Regierungsviertel protestieren Tausende dagegen, die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Widerstand gegen das Gesetz gibt es auch im Parlament. Alles über das Gesetz erfahren Sie auch in unserem FAQ Infektionsschutzgesetz: Um was es dabei wirklich geht.

Unter dem Protest Tausender Menschen im Berliner Regierungsviertel haben Bundestag und Bundesrat am Mittwoch den Weg für die von der großen Koalition geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz freigemacht. Während die Polizei versuchte, hartnäckige Gegner der staatlichen Corona-Maßnahmen auseinanderzutreiben, verteidigten Vertreter von Union und SPD die Reform. Die Oppositionsparteien kritisierten in der Debatte am Mittwoch Fehler im Gesetz. Die AfD scheiterte mit dem Versuch, die Reform ganz zu verschieben.

Im Bundestag stimmte eine Mehrheit von 415 Abgeordneten für die Reform, mit der die Corona-Maßnahmen künftig auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. 236 Abgeordnete votierten dagegen, 8 enthielten sich. Anschließend gab es in einer Sondersitzung des Bundesrates auch von der Mehrheit der Bundesländer die Zustimmung zum sogenannten dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fertigte das Gesetz im Anschluss aus, es kann nun nach Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

Verletzte bei Demonstrationen

Die Polizei setzte auf der Straße unterdessen erstmals seit Jahren Wasserwerfer ein. Grund war laut der Behörde, dass Tausende Demonstranten im Areal zwischen Reichstagsgebäude, Brandenburger Tor und Straße des 17. Juni die Regeln zur Eindämmung der Pandemie missachteten. Sie wollten auch nach erklärtem Ende der Versammlung nicht weichen. Am Rande der Proteste kam es vereinzelt zu Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten. Laut Polizei wurde eine dreistellige Zahl von Menschen festgenommen. Erst am späten Nachmittag entspannte sich die Lage. Mehrere hundert Menschen demonstrierten am Abend noch vor dem Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, gegen das Gesetz.

Berlins Innensenator Andreas Geisel verteidigte den Einsatz der Wasserwerfer. Es habe keine andere Wahl gegeben. "Erkennbar war das deutliche Ziel der Demonstrierenden, die Regeln zu brechen und zum Reichstag zu kommen", sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die Polizei habe die Wasserwerfer mit Augenmaß eingesetzt, sagte Geisel. Es habe keinen harten Wasserstrahl gegeben, sondern "ein Sprühen, um es ungemütlich zu machen".

Polizeisprecherin Anja Dierschke sagte, nach einer ersten vorsichtigen Schätzung hätten sich rund 7.000 Menschen am Brandenburger Tor versammelt. Eine erste Bilanz will die Polizei am Donnerstag ziehen. Wie dpa-Reporter berichteten, waren unter den Demonstranten zwar auch erkennbar Rechtsextreme und sogenannte Reichsbürger. Die Mehrheit stellten sie allerdings nicht: Wie schon bei vielen der sogenannten Hygiene-Demos seit dem Frühjahr kam eine bunte Mischung an Menschen aus allen Altersgruppen zusammen.

Die Polizei teilte auf Twitter mit, neun Kollegen seien beim Einsatz verletzt worden. Beamte seien mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen sowie mit Pfefferspray angegriffen worden. "Sie setzten ihrerseits körperlichen Zwang sowie Pfefferspray ein und nahmen einige Angreifende fest", hieß es. Insgesamt waren rund 2.200 Polizisten im Einsatz, darunter Unterstützung aus neun weiteren Bundesländern und von der Bundespolizei.

Auseinandersetzung bei Plenardebatte

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn warb in Bundestag um weiteres Vertrauen in das Krisenmanagement. Steigende Infektionszahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivstationen und zu einem Kontrollverlust, sagte der CDU-Politiker. Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas wies Befürchtungen zurück, mit der Reform würden Befugnisse für Bundes- und Landesregierungen ausgeweitet würden. "Genau das Gegenteil ist der Fall", sagte sie.

Zum Auftakt der Plenardebatte hatte die AfD zunächst versucht, das Thema wieder von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte damit aber am geschlossenen Widerstand der anderen Fraktionen. Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, kritisierte, die Koalition habe den Abgeordneten nicht genügend Zeit für Prüfung und Debatte gegeben. "Die heutige Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab", sagte er.

Abgeordnete der anderen Fraktionen wiesen die Vorwürfe zurück. Das Verfahren sei geordnet und das Parlament "massiv beteiligt" gewesen, sagte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer. Das Gesetz werde das Parlament in der Corona-Pandemie stärken. Der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, warf der AfD vor, sie wolle nur Krawall machen.

Redner von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Reform des Infektionsschutzgesetzes dennoch. Die geplanten Neuregelungen gäben den Regierungen keine Leitplanken vor, sondern stellten ihnen "einen Freifahrtschein" aus, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner.

Eingeschleuste Personen versuchen in Büros einzudringen

Ziel der Gesetzesänderung ist es vor allem, bislang per Verordnung erlassene Corona-Maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. Im Infektionsschutzgesetz war bisher nur allgemein von "notwendigen Schutzmaßnahmen" die Rede, die die "zuständige Behörde" treffen kann. Mit der Gesetzesnovelle wird nun ein neuer Paragraf eingefügt, der mögliche Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet.

Im Wesentlichen handelt es sich um die Maßnahmen, die bereits im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Lockdown im November gelten. Vorgeschrieben wird aber auch, dass die Rechtsverordnungen zeitlich zu befristen und zu begründen sind. Ihre Geltungsdauer soll vier Wochen betragen und kann verlängert werden.

Mit Blick auf den Teil-Lockdown mit Schließungen vieler Einrichtungen im November sagte Spahn: "Wir haben Tritt gefasst." Das exponentielle Wachstum der Neuinfektionen sei gestoppt, "aber wir sind noch nicht über den Berg". Spahn betonte, dass Deutschland auch deshalb recht gut durch die Krise komme, weil die allermeisten Bürger auf sich und ihre Mitmenschen achteten.

Als Spahn zu seiner Rede ansetzte, hielten Abgeordnete AfD-Fraktion im Plenarsaal Plakate hoch, auf denen "Grundgesetz" stand - sowie ein schwarzer Trauerflor mit dem Datum "18.11.2020". Die AfD-Abgeordneten folgten zügig der Aufforderung des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, die Schilder zu entfernen. Einen Ordnungsruf gab es nicht. Aktionen dieser Art sind im Plenarsaal nicht gestattet.

Für Irritationen sorgten auch Bundestagsbesucher. "In den #Bundestag eingeschleuste Personen haben u.a. versucht in Büros einzelner Abgeordneter einzudringen", twitterte SPD-Fraktionsvize Katja Mast am Mittwoch.

Auf einem auf Twitter verbreiteten Video ist zudem eine Frau zu sehen, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf einem Flur des Bundestags anspricht und ihn dabei mit einer Handykamera filmt. Die Aufnahme ist nach dpa-Informationen authentisch und dokumentiert eine Szene, die sich am Mittwoch im Bundestag abgespielt hat. Die Frau redet auf Altmaier ein und sagt dabei unter anderem offenbar über den Minister: "Er hat kein Gewissen." Altmaier entgegnet, er vertrete seine Wähler. "Sie dürfen gerne demonstrieren, aber ich habe mein freies Gewissen." Auch der FDP-Parlamentarier Konstantin Kuhle wurde nach eigenen Angaben von der Frau angesprochen, die einen Gästeausweis an der Jacke gehabt habe, wie ihn Besucher bekämen, die von Fraktionen oder einzelnen Abgeordneten angemeldet worden seien.

Mehrere angemeldete Demonstrationen direkt vor dem Reichstagsgebäude im sogenannten befriedeten Bezirk hatte das Bundesinnenministerium mit Hinweis auf eine mögliche Beeinträchtigung der Parlamentsarbeit verboten. Am 29. August hatten am Rande einer großen Demonstration mit vielen Zehntausend Teilnehmern in Berlin mehrere Hundert Menschen Absperrgitter vor dem Reichstagsgebäude überwunden. Sie liefen die Treppe hoch und bauten sich triumphierend vor einem Eingang auf. Die Bilder sorgten für Aufsehen und Empörung bei den meisten Parteien.

"Kritik soll und muss in einer Demokratie immer möglich sein", betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Die Versammlungsfreiheit sei eines der höchsten Verfassungsgüter. "Die Grenze der zulässigen Grundrechtsausübung ist aber erreicht, wenn man sie missbraucht."

Einen Vergleich der Novelle des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933, den manche Kritiker ziehen, wies Demmer zurück. Damals hatte sich der Reichstag selbst entmachtet und die Gesetzgebung auf Reichskanzler Adolf Hitler übertragen. Sie sagte über das Infektionsschutzgesetz: "Es schafft begrenzte und befristete Rechtsgrundlagen für das Regierungshandeln. Rechtsgrundlagen, die ja das Parlament selbst auch jederzeit wieder ändern kann."