Nahost
Libanon: Mehr als 550 Tote durch israelische Angriffe
24. September 2024, 7:12 Uhr
Trotz der hohen Zahl ziviler Opfer hat Israel seine massiven Luftangriffe auf die Hisbollah-Miliz im Libanon fortgesetzt. Seit Montag wurden dabei nach Angaben der libanesischen Behörden mindestens 558 Menschen getötet, darunter 50 Kinder, 94 Frauen und 4 Sanitäter. Zudem seien 1.835 Menschen verletzt worden.
Zehntausende Menschen waren vor allem aus dem Südlibanon Richtung Norden auf der Flucht. Straßen waren Berichten zufolge verstopft, Krankenhäuser überfüllt und Menschen in Panik. Der Libanon ist verarmt und hat selbst seit 2011 rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien aufgenommen. Sie lebten schon bisher in sehr prekären Verhältnissen.
Israel rief unterdessen wie schon am Vortag Menschen im Südlibanon zur Flucht auf, falls sie in der Nähe von Raketenabschussrampen oder Waffenlagern der Hisbollah wohnten. Die israelische Luftwaffe bombardierte erneut Stellungen und Waffenlager der Hisbollah, die nach israelischer Darstellung mit Absicht oft in Wohngegenden liegen.
Israel will nach eigenen Angaben die mit dem Iran verbündete Hisbollah so weit schwächen, dass sie nicht weiter wie seit fast einem Jahr täglich den Norden Israels beschießen kann. Mindestens 60.000 Israelis mussten deshalb in andere Landesteile fliehen.
Die Hisbollah will mit ihren im vergangenen Oktober begonnenen Angriffen nach eigenen Angaben die Hamas im Gazastreifen unterstützen. Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober 2023 mehr als 1.200 Menschen in Israel getötet und etwa 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.
Das beispiellose Massaker löste den Gaza-Krieg aus, bei dem in dem Küstenstreifen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 40.000 Menschen getötet und mehr als 90.000 verletzt wurden, wobei nicht nach Kämpfern und Zivilisten unterschieden wird. Auf einen Waffenstillstand und die Freilassung noch im Gazastreifen festgehaltener israelischer Geiseln konnten sich beide Seiten bisher trotz internationaler Vermittlungsbemühungen nicht einigen.
Israels Generalstabschef Herzi Halevi kündigte eine weitere Verschärfung der massiven Angriffe im nördlichen Nachbarland an. Bei einer Beratung sagte Halevi nach Militärangaben: "Wir dürfen der Hisbollah keine Pause gewähren. Wir müssen mit aller Kraft weitermachen." Israel will erreichen, dass sich die Miliz wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es die UN-Resolution 1701 vorsieht.
Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant Zehntausende Raketen der Hisbollah zerstört. Vor Beginn ihrer Angriffe am 8. Oktober wurde das Waffenarsenal der Miliz auf 150.000 Raketen, Drohnen und Marschflugkörper geschätzt.
Bei einem neuerlichen israelischen Luftangriff in einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut wurden mindestens sechs Menschen getötet, wie das libanesische Gesundheitsministerium mitteilte.
Israels Militär teilte ohne weitere Details mit, einen "gezielten Angriff" in Beirut durchgeführt zu haben. Er soll dem Leiter der Raketeneinheit der Hisbollah-Miliz gegolten haben, meldeten mehrere israelische Medien unter Berufung auf Verteidigungsbeamte. Es war demnach zunächst unklar, ob er verletzt oder getötet wurde.
UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer weiteren Eskalation. "Das libanesische Volk, das israelische Volk und die Menschen auf der ganzen Welt können es sich nicht leisten, dass der Libanon zu einem zweiten Gaza wird", sagte er in New York. Guterres hat mehrfach die israelische Kriegsführung in Gaza kritisiert.
Frankreich beantragte wegen der Eskalation eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats für diese Woche. Allerdings ist das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen durch politische Konflikte nur eingeschränkt handlungsfähig. Der Nahost-Konflikt dürfte auch bei der mehrtägigen Generaldebatte der UN-Vollversammlung eine wichtige Rolle spielen.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind durch die israelischen Angriffe seit Montag Zehntausende Menschen in die Flucht gezwungen worden. Seit den palästinensischen Terroranschlägen in Israel am 7. Oktober 2023 und den darauffolgenden Militärschlägen Israels im Gazastreifen sind wegen immer häufigeren Angriffen im Süden des Libanon nach UNHCR-Angaben 102.000 Menschen vertrieben worden.
Auch für syrische und palästinensische Flüchtlinge wird die Lage im Libanon immer verzweifelter. Internationale Geldgeber hätten ohnehin bereits ihre Unterstützung zurückgefahren, teilte die Hilfsorganisation Norwegischer Flüchtlingsrat mit. Das kleine Mittelmeerland hat pro Kopf und im Verhältnis zu seiner Größe nach UN-Angaben so viele Flüchtlinge aufgenommen wie kein anderes Land der Welt.
Auch wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise haben sie nur begrenzten Zugang zu Lebensmitteln, medizinischer Versorgung, Bildung und anderer Grundversorgung. Viele Flüchtlinge haben keinen weiteren Zufluchtsort etwa bei Verwandten oder ein Auto für die Flucht. Hunderte flohen deshalb in ihrer Not sogar nach Syrien. "Es sind hauptsächlich Libanesen mit syrischen Ehefrauen und andere mit Verwandten in Syrien", sagte ein Grenzpolizist der Deutschen Presse-Agentur.
Israels Bürger müssen sich nach Angaben des Heimatschutzes landesweit auf weitere mögliche Gegenangriffe der Hisbollah vorbereiten. Ein Sprecher sagte der Nachrichtenseite "ynet", die Menschen sollten darauf vorbereitet sein, gegebenenfalls Schutzräume aufzusuchen. Wenn Sirenen im Großraum Tel Aviv heulten, hätten die Menschen dafür nur anderthalb Minuten Zeit.
Die Hisbollah, die im Libanon praktisch wie ein Staat im Staate agiert, reagierte ihrerseits mit heftigen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Sie erklärte, sie habe seit dem Morgen mindestens sechsmal mit Raketen des Typs Fadi-1 und Fadi-2 angegriffen. Unter anderem habe sie den Militärflughafen Megiddo westlich von Afula angegriffen und erneut auch den Militärstützpunkt Ramat David nahe der Küstenstadt Haifa. Über Opfer wurde zunächst nichts bekannt.
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