Pop
Snow Patrol im Zenith
20. Januar 2019, 17:24 Uhr aktualisiert am 20. Januar 2019, 17:24 Uhr
Passable Musik, großes Kino: Snow Patrol fegten im Zenith das Eis von den Seelen
Um noch mal neu anfangen zu können, muss man Altes erstmal abreißen. So stehen sie aufwändig animiert da, die nüchternen Hochhäuser einer Metropole, in gigantischer Größe hinter Snow Patrol auf einer Leinwand projiziert. Im Laufe einer rasanten Kamerafahrt stürzen die Bauten nacheinander ein, während Lead-Sänger Gary Lightbody "Take Back The City" singt und an der Gitarre mitsamt seinen vier Begleitern recht zünftigen Rock spielt. Es ist eine Ode an Belfast, die bereits auf dem fünften Studioalbum "A Hundred Million Suns" von 2008 zu hören war. Im Songtitel steckt aber gleichsam der Gedanke einer Rückeroberung, "Your city, your call", und am Ende haben sich neue Gebäude mit einer fantasievolleren Architektur hinter der nordirisch-schottischen Band aufgebaut.
Aus den Ruinen ihrer Seele lassen Musiker ja gerne ihre kreativen Ideen wuchern. Singer-Songwriter Gary Lightbody hat aus seinen inneren Verwerfungen noch nie einen Hehl gemacht und ging mit ihnen auch vor der Veröffentlichung des siebten Albums "Wilderness" in diversen Interviews freimütig hausieren. Die Demenz seines Vaters sowie die eigene Alkoholsucht und einige depressive Phasen haben ihn zu den neuen Songs inspiriert. Auch wenn die Produktion dann noch mal langwierig war, konnte mit dem neuen Werk die siebenjährige Bandpause endlich beendet werden.
Gut konsumierbar
Auf "Wilderness" finden sich nun einige Songs in Moll, aber mit aufmunternden Durchhalteparolen wie "Don't Give In". Auch live gehört dieses Lied zu den Höhepunkten: Lightbody spielt zunächst alleine auf der Akustikgitarre, dann unterstützen die Bandkollegen ihn mit markanter Stop-and-Go-Rhythmik und harten Gitarren-Riffs. Lightbodys rotes Hemd wirkt dazu ebenfalls wie ein Signal gegen jede Schwermut. Die Arme reckt er in die Höhe und entblößt dabei den Bauch eines 42-Jährigen, der nicht unbedingt jeden Tag im Fitness-Studio verbringt, aber sich auch nicht völlig gehen lässt.
Was den Nährwert der Songs angeht, liefern Snow Patrol weiterhin eine ausgewogene Diät zwischen Rock und Pop, wenig spektakulär, aber vielleicht gerade deswegen so gut konsumierbar. Solistische Schnörkel und ausgestelltes Virtuosentum gehören nicht zu ihren Spezialitäten. Drummer Jonny Quinn gibt gefühlt immer denselben stampfenden Takt vor, die anderen drei unterstützen solide.
Das Herz pocht weiter
Wenn die Musik schon nicht sonderlich in die Tiefe geht, so tun es die Videos auf der Leinwand. Sie wurden zum Teil schon zu den einzelnen Singleauskopplungen produziert und sind auf den diversen bekannten Internet-Kanälen zu sehen, gewinnen aber im Konzert dank der mächtig großen Leinwand noch mal an Wucht. So machen die Bilder die Musik erst richtig groß: Zu "Life On Earth" macht sich das ganze Universum hinter Lightbody auf. Zu "Open Your Eyes" fährt die Kamera rasant durch die Straßen von Paris. Ein durchsichtiger Gaze-Vorhang ermöglicht mit der Leinwand dreidimensional wirkende Projektionen: "The Lightning Strike" überwältigt wie immer mit einem wirbelnden CGI-Sturm aus kleinen Origami-Teilchen - ein visuelles Bombardement, das den Blick effektiv mitreißt.
Dazu eine ausgeklügelte Licht-und-Lasershow für weitere Überraschungseffekte. Immer wieder live gefilmt wird auch die Band, recht früh sieht man sie nebeneinander in fünf Videostreifen, aber die Show gehört vor allem Gary Lightbody, seiner charismatischen Stimme, seinem Pathos. Bei der ersten Zugabe "What If This Is All the Love You Ever Get?" bricht ihm die Stimme in der Höhe weg, aber das kann er mit energischem Klopfen auf die Brust kompensieren. Das Herz pocht weiter, und auch die Ballade "Chasing Cars" ist immer noch ein rührender Hit. Und beim Mitsingen denkt man, dass der Anfang von was Neuem vielleicht wirklich möglich ist, da draußen in der verschneiten Welt.