Kultur
Avril Lavigne im Zenith: Ein Monat aus roten Bällen
21. April 2023, 19:15 Uhr
Die Sicherheitsüberprüfung im Einlassbereich verläuft überraschend zügig. Männer werden von Männern abgetastet, Frauen von Frauen. In Zeiten von Unisex-Toiletten und LGBTQ+ ist das eigentlich verwunderlich. Generell fällt in letzter Zeit auf, dass sämtliche Mitarbeiter des Zenith unglaublich freundlich und rasch arbeiten. Dazu kommt, dass der Sound sich im Gegensatz zu den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat.
Die Halle ist voll mit euphorisch jungen Menschen im Post-Punk-Look. Los geht's mit zwei Vorbands aus Los Angeles. Zunächst die androgyne und höchst fetzige Kalifornierin Phem, gefolgt von der Mini-Boyband Girlfriends, bestehend aus dem Ex- Rapper Travis Mills und dem Schlagzeuger Nick Gross samt Gastmusikanten.
Sie spielen sehr fundiert und perfekt pop-rockige Weisen im Stil der frühen 90er Jahre, eine Mischung aus R.E.M., Radiohead und Oasis. Als Nick Gross sein T-Shirt auszieht und einen gestählten Body wie Marky Mark präsentiert, kreischt das gesamte Publikum, Jungs wie Mädels.
Eine perfekte Vorbereitung für den Star des Abends: der Pop-Punk-Ikone Avril Lavigne. Sie macht ihre Fans mit einem minutenlangen Intro-Video heiß und startet effektvoll mit ihrem Welthit "Bite me", in dem sie mit einem verflossenen Liebhaber abrechnet und singt: "Du hast mehr abgebissen, als du kauen kannst. Für immer und ewig wirst du dir wünschen, ich wäre deine Frau. Ich wette, du schmeckst mich auf der Zungenspitze. Wir werden niemals zusammen sein, also Baby, beiß mich halt."
Der ganze Saal singt fehlerfrei mit, dazu erscheinen auf der Leinwand hinter der Bühne Grafiken von Buttercremetorten, auf denen "Bite me" steht. Im Anschluss werden riesige rote und schwarze Bälle in die Menge geworfen, die den gesamten Abend über herumgeschoben werden.
Das Konzert erinnert an eine fröhliche Teenie-Party, möglicherweise erinnern die Farben der Bälle deshalb an das Etikett von Nutella. Von innen beleuchtbare orangefarbene Marshallboxen blitzen wie eine Lichtorgel auf, überall ist Glitzer und Licht. Selbst der Mikrofonständer der Franko-Kanadierin, deren Vorname so lautet wie unser aktueller Monat, scheint aus roten Bällen zu bestehen.
Es passt also alles fabelhaft zusammen. Sie ist sich treu geblieben, das aktuelle Album "Love Sux" ist absolut gelungen, Auszüge daraus werden live in einer gesunden Mischung mit alten Hits gemischt zum Vortrag gebracht. Sie hüpft elegant und wunderschön über die Bühne wie eine Elfe, ist eher schlicht gekleidet mit einem schwarzen dicken Hoodie und ihrer gewohnten, leicht zerrissenen Netzstrumpfhose, sieht mit Ende 30 nach wie vor umwerfend aus und ist vor allem eines: sympathisch, authentisch und glaubwürdig. Jeder fühlt sich persönlich angesprochen, sie strahlt die Botschaft aus: "Ich bin eine von euch."
Avril Lavigne wurde Anfang des Jahrtausends mit 18 Jahren und ihren Hits "Complicated" und "Sk8er Boi" weltberühmt, wurde in den Musikzeitschriften als Nachfolgerin von Debbie Harry und Nina Hagen gefeiert, verkaufte irrsinnig viele CDs und prägte einen "dirty" Schminkstil mit verschmiertem Kajal, extrem schwarzem Eyeliner und rosa Lidschatten um die Augen, den ihre Fans auch heute zahlreich anwenden. Ihr Leben ist - wie sollte es bei einem Star anders sein - turbulent und wild, nach ihrer Ehe mit dem Nickelback-Sänger Chad Kroeger gab es einige Affären. Derzeit ist sie offenbar solo, wie zwei junge Damen mit Avril-Shirt beim Bierkaufen kundtun.
Sie ist Punk, vielleicht ein bisserl Prunk, sie ist sexy und schön, dabei nie obszön. Weiblich, schlagfertig, cool. Sie ist der weibliche Fred vom Jupiter, sämtliche Fans, ob weiblich oder männlich, sind von der ersten Sekunde des Konzerts verständlicherweise schockverliebt. Zwischendurch zeigt sie alte Videoaufnahmen von sich als Basketballspielerin und weckt sentimentale Emotionen.
Da tritt plötzlich Travis Mills, der Sänger von Girlfriends, erneut auf die Bühne und fragt in die Runde: "Liebt Ihr Avril?" Alle flippen völlig aus: "Yeeeeah!" Gemeinsam wird "Suitcase" geträllert, das enthusiastische Volk ist weiterhin verblüffend textsicher. Avril bedankt sich, indem sie mit einem Spielzeugrevolver Nebel in die strahlenden Gesichter pustet und Tausende zufriedene Menschen in den kühlen Münchner Frühling entlässt.