Kommentar
Warum Deutschland ein bundesweites Zentralabitur braucht
25. Juni 2021, 1:00 Uhr aktualisiert am 25. Juni 2021, 0:59 Uhr
Andere Wahlmöglichkeiten, schwierigere Aufgaben: Die Abiturprüfungen sind von Bundesland zu Bundesland anders. Das ist unfair, findet unsere Autorin Anna Roppelt. Sie fordert ein deutschlandweites Zentralabitur.
Schon seit Ella klein ist, hat sie einen großen Traum: Sie will Ärztin werden. Vor Kurzem hat sie ihr Abitur an einem bayerischen Gymnasium geschrieben. Der erste Schritt zu ihrem großen Ziel. Sie schafft hervorragende Leistungen in fast jedem Fach, außer in Mathe. Dadurch sind ihre Chancen auf einen Medizin-Studienplatz dahin. Hätte jeder deutsche Abiturient die gleichen Abschlussprüfungen wie Ella geschrieben, wäre sie selbst an ihrem Schnitt schuld. Doch das ist nicht der Fall: Derzeit werden 16 verschiedene Abiturprüfungen geschrieben, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. In Bayern ergibt sich der Abiturschnitt aus den Leistungen der elften und zwölften Jahrgangsstufe und fünf finalen Abschlussprüfungen. Dabei müssen drei Fächer - Mathe, Deutsch und ein selbstgewähltes Fach - schriftlich und zwei weitere Fächer mündlich absolviert werden. Für die Wahl der nicht vorgegebenen Abiturfächer gelten weitere Regeln, zum Beispiel, dass man in mindestens einer Fremdsprache eine Prüfung ablegen muss.
Andere Wahlmöglichkeiten
Ein Blick nach Berlin zeigt: Hier ist es anders. Das Abi besteht dort aus zwei schriftlichen und drei mündlichen Leistungen. Wahlweise kann eine der mündlichen Prüfungen durch eine besondere Lernleistung ersetzt werden. Zwei der fünf Prüfungen müssen in Deutsch, Mathematik oder einer Fremdsprache abgelegt werden. Das Matheabitur ist somit anders als bei uns in Bayern keine Pflicht. Diese Wahlmöglichkeit haben bayerische Abiturienten nicht.
Auch der Schwierigkeitsgrad der Prüfungen ist unterschiedlich. Das zeigte Severin Wenzeck im Zuge seiner Masterarbeit an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er verglich das Aufgabenniveau des Matheabiturs von Berlin mit dem von Bayern. Sein Ergebnis ist eindeutig: Die Berliner Leistungskurse wiesen einen deutlich niedrigeren Schwierigkeitsgrad und zugleich einen geringeren Stoffumfang auf als die Abiturprüfungen in Bayern.
Dass jedes Bundesland ein anderes Abi schreibt, ist unfair gegenüber jedem Abiturienten. Die Chancen bayerischer Gymnasiasten, genauso gut abzuschließen wie die Schüler aus Berlin, sind geringer. Die Abiturienten aus der Hauptstadt hingegen bekommen weniger Anerkennung für ihren Abschluss. Denn Bayerns Abitur gilt als das schwerste und ist somit ein Gütesiegel, mit dem sich bayerische Abiturienten schmücken können. Der einzig gerechte Weg wäre ein deutschlandweites Zentralabitur. Denn nur wenn jeder Schüler die gleichen Prüfungen schreibt, ist keiner benachteiligt.
Aufgabenumfang, Formulierungen und Schwierigkeitsgrad wären einheitlich. Bewertungskriterien würden bundesweiten Standards folgen. Ein vergleichsweise schlechtes Abschneiden wäre dann das alleinige Verschulden des Schülers. Dadurch würde die Leistung der einzelnen Absolventen gewürdigt werden - ohne Hintergedanken an das Bundesland, in dem sie ihr Abi absolviert haben.
Mehr Objektivität
Außerdem würde ein einheitliches Abitur für mehr Objektivität beim Bewerten der Leistungen sorgen. Denn die Bewertung der Schüler würde weniger von den Lehrern abhängen. Das ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit - sowohl zwischen den Schulen als auch zwischen den Schülern. Das würde eine faire Vergabe von Studienplätzen gewährleisten, die oft nach Numerus Clausus verteilt werden.
Obwohl Ella zu den Jahrgangsbesten ihrer Schule gehört, ist ihr Traum vom Medizinstudium vorerst geplatzt. Ihr bleibt nur die Wahl zwischen einem teuren Studium im Ausland oder unzähligen Wartesemestern in Deutschland. Aber ein Trost bleibt ihr: Sie hat ein bayerisches Abitur.
Was schreibt man wo? Deutschlands Abi-Prüfungen im Überblick
Schleswig-Holstein: In Schleswig-Holstein sind drei schriftliche und eine mündliche Prüfung Pflicht. Zudem kann der Schüler selbst über eine freiwillige fünfte Prüfungsleistung entscheiden.
Mecklenburg-Vorpommern: Die Schüler in Mecklenburg-Vorpommern müssen ein Projektfach belegen. Ob sie in diesem Fach eine Projektarbeit anfertigen möchten, können sie selbst entscheiden. Zudem muss in jedem Halbjahr der Oberstufe ein Sportkurs belegt werden, der ebenfalls freiwillig in die Abiturnote eingebracht werden kann. Eine Abiturprüfung in den Fächern Deutsch, Mathe und einer fortgeführten Fremdsprache ist verpflichtend.
Berlin: Das Abitur in Berlin besteht aus zwei schriftlichen und drei mündlichen Prüfungen. Dabei kann eine der drei mündlichen Leistungen durch eine besondere Lernleistung ersetzt werden. Die AbiturientInnen müssen in zwei der drei Fächer Mathe, Deutsch oder einer Fremdsprache eine Prüfung ablegen.
Brandenburg: Drei schriftliche und eine mündliche Prüfung sind verpflichtend. Zusätzlich kann eine besondere Lernleistung als fünfte freiwillige Abiturprüfung gewählt werden.
Sachsen: Aus dem Angebot der Schule können die sächsischen Schüler ihre Leistungs- und Grundkurse selbst wählen. Die einzige Vorraussetzung ist, dass entweder das Fach Mathematik oder Deutsch enthalten sein muss.
Sachsen-Anhalt: Hier dürfen die Schüler selbst entscheiden, ob sie die Abiturprüfungen in vier schriftlichen und einem mündlichen Fach oder in drei schriftlichen, einer mündlichen und einer besonderen Lernleistung absolvieren möchten.
Thüringen: Die Wahl der Prüfungsfächer obliegt unter bestimmten Vorschriften den Schülern. Es gibt kein Fach, in dem verpflichtend eine Abiturprüfung absolviert werden muss.
Bayern: Das bayerische Abitur besteht aus drei schriftlichen und zwei mündlichen Abiturfächern. Neben Deutsch und Mathe, die als schriftliche Prüfungen Pflicht sind, muss eine Fremdsprache, eine Geisteswissenschaft und ein frei wählbares Fach abgeprüft werden. Zudem müssen die Schüler im selbstgewählten P-Seminar ein Projekt umsetzen und im W-Seminar eine Seminararbeit anfertigen.
Baden-Württemberg: Die baden-württembergischen Abiturienten haben drei schriftliche und entweder zwei mündliche oder eine mündliche und eine besondere Lernleistung zu absolvieren. Deutsch und Mathematik sind verpflichtende Abiturfächer. Die Schüler können jedoch selbst wählen, ob sie die beiden Prüfungen mündlich oder schriftlich absolvieren möchten.
Saarland: Das saarländische Abitur besteht aus vier schriftlichen und einer mündlichen Abiturprüfung.
Rheinland-Pfalz: Die rheinland-pfälzischen Abiturprüfungen werden nicht zentral vom Kultusministerium, sondern von der jeweiligen Fachlehrkraft gestellt.
Hessen: Hier stehen fünf Prüfungen an. Die Prüfungsform des fünften Abiturfaches können sich die hessischen Schüler dabei selbst aussuchen. Zur Auswahl stehen eine mündliche Prüfung, eine Präsentation oder eine besondere Lernleistung.
Nordrhein-Westfalen: Das nordrhein-westfälische Abitur besteht aus vier Abschlussprüfungsfächern. Dabei sind drei schriftliche und eine mündliche Leistung zu erbringen. Aus den drei Fächern Deutsch, Mathematik und der ersten Fremdsprache können die Schüler selbst aussuchen, in welchen beiden Fächern sie geprüft werden wollen.
Niedersachsen: Die Abiturienten aus Niedersachsen dürfen sich aus dem Angebot der Schule selbst aussuchen, in welchen fünf Fächern sie ihre Abschlussprüfung absolvieren möchten. Dabei gibt es einzelnze Vorschriften, die sie beachten müssen.
Bremen: In Bremen können die Abiturienten selbst entscheiden, ob sie fünf Abiturprüfungen oder vier und eine besondere Lernleistung absolvieren möchten.
Hamburg: Die Abiturient in Hamburg haben drei schriftliche Prüfungen zu absolvieren. Bei der vierten Prüfungsleistung können die Schüler zwischen einer mündlichen Prüfung oder einer Präsentation wählen. Zusätzlich hat man die Möglichkeit, sich freiwillig in einer besonderen Lernleistung prüfen zu lassen.