Tödlicher Geschwindigkeitsrausch
Ein 22-Jähriger aus Straubing fährt illegale Straßenrennen
18. Juni 2021, 6:00 Uhr aktualisiert am 21. Dezember 2021, 18:40 Uhr
Es riecht verbrannt und süß. Roman S. (Name geändert) aus Straubing hat seinen Joint fast fertig geraucht. Im schwarzen Muskelshirt lehnt er an seinem Sportwagen, an den Händen Ringe, um den Hals Goldketten. Er schnippt seinen Joint auf die Straße und beginnt zu erzählen: über illegale Straßenrennen.
Seit knapp vier Jahren fährt der 22-Jährige Autorennen. "Meistens sind das Kurzstrecken, so um die 500 bis 600 Meter. Da kann dann auch nichts passieren, ich kann immer ne Vollbremsung machen", sagt er. Mindestens einmal im Monat würden er und seine Freunde ein Rennen fahren, meistens "wenn es sich halt ergibt".
In der Regel finden im Kreis Straubing-Bogen laut Roman S. alle zwei Wochen Rennen statt: "Meistens fahren da aber nur zwei Autos und mehr nicht." Beliebte Strecken seien am Großparkplatz Hagen oder die Ittlinger Straße, doch die "richtigen Autorennen" finde man in Regensburg bei der Walhalla. Dort soll es auch oft um Geld gehen, sagt er.
Organisatoren gebe es für das Ganze nicht, meistens passiere es spontan. "Wir stehen durch Zufall an der Ampel und schauen uns an, dann weiß man eigentlich schon, dass es bei Grün losgeht", sagt Roman S., der osteuropäische Wurzeln hat. Sieger sei dann der, der als Erster an der nächsten Ampel steht oder am schnellsten davonfährt - manchmal bretterten sie mit bis zu 150 Stundenkilometern über die Straße. Ihm und seinen Freunden sei aber noch nie etwas passiert, sagt Roman S.: "Wir passen ja auch auf und fahren meistens in der Nacht, da sind dann auch fast keine Leute mehr unterwegs."
"Bis die kommen, stehen wir schon längst ganz woanders"
Knapp war es trotzdem schon ein paar Mal. Ein Freund habe einmal fast ein "McDonalds"-Schild umgefahren. Ein anderes Mal ist Roman S. "einem Kollegen" hinterhergefahren, mit 120 Stundenkilometern. Dieser musste abbremsen und er selbst musste abwägen, ob er in das Auto vor ihm fährt oder auf die andere Fahrbahn zieht. Er entschied sich für Option zwei. Einmal floh er vor der Polizei, erzählt er und grinst. Am Schluss war er schneller.
Angst vor der Polizei habe er nicht: "Bis die kommen, stehen wir schon längst am Parkplatz oder sind ganz woanders." Zwar würden die Beamten viel kontrollieren, aber ein Ende der Rennen sei für ihn nicht in Sicht. Vor den Strafen habe er keine Angst, es sei ja "nur mal ne Geldstrafe oder Führerschein weg".
Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern kann bei Aussagen wie von Roman S. "nur den Kopf schütteln", sagt er. Laut ihm gibt es drei Arten von schnelleren Fahrern. Autotuner seien nicht auffällig und hielten sich an die Regeln. Autoposern gehe es darum, dass das Auto möglichst laut ist und auffällt. Diese würden nur selten Rennen fahren. Die Raser seien am schlimmsten, "denen ist wirklich alles egal".
Die Polizei würde nur selten etwas von Rennen mitbekommen - sie seien meistens so schnell vorbei wie sie begonnen hätten, sagt der Sprecher. Vergangenes Jahr sei in Niederbayern 69-mal wegen verbotenen Straßenrennen ermittelt worden. Fünf Menschen seien bei Rennen leicht verletzt worden, ein Mensch starb. Ein besonderes Augemerk auf die Raser hätte etwa die Kontrollgruppe Motorrad.
2020 hat die Polizei in Bayern allgemein deutlich mehr illegale Autorennen registriert. Nach Angaben des Innenministeriums auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Landtag fielen bayernweit 560 verbotene Rennen mit 771 Teilnehmern auf. Das ist eine Steigerung gegenüber 2019 um rund 90 Prozent. Schuld soll die Pandemie sein, weil gewohnte und beliebte Freizeitaktivitäten für junge Leute unmöglich oder zumindest erschwert wurden.
Doch nicht nur die Zahl der verbotenen Rennen hat den Angaben zufolge massiv zugenommen. Auch die Zahl der Todesopfer (7) und Verletzten (77) schnellte im vergangenen Jahr nach oben. 2019 verzeichnete die Polizei nur einen Toten und 29 Verletzte infolge illegaler Rennen durch den Freistaat.
Dass bei Straßenrennen auch etwas passieren kann, wisse Roman S., sei ihm aber egal. Die Bilder von Unfällen, die es aus ganz Deutschland gibt, interessieren ihn nicht: "Das juckt doch keinen." Er habe auch kein Mitleid mit den Verurteilten, die seien selbst Schuld. Trotzdem: Sollte es jemals zu einem Unfall kommen, würde er wahrscheinlich nie wieder Auto fahren. "Wenn es ein Opfer gibt, ist meiner Meinung nach der Fahrer Schuld. Er geht ja diese Gefahr bewusst ein und hätte das Rennen nicht fahren müssen", sagt er. Außerdem würden sie nur so fahren, dass im "Notfall" nur ihnen etwas passieren würde.
Nach Raser-Unfall: Johannes kämpft sich zurück ins Leben
Der Fall von Beate A. aus dem Kreis Cham zeigt die andere Seite. Ihr Mann und ihr Sohn waren am 14. Juli 2018 in der Nähe von Kalteck (Kreis Regen) mit dem Auto unterwegs. Auf dieser kurvigen Strecke fahren damals ein Motorradfahrer und ein Audifahrer ein illegales Straßenrennen. In einer Kurve verliert der Autofahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug und kracht frontal in das Auto des Familienvaters Heiko A.
Der Familienvater stirbt noch an der Unfallstelle, sein damals zehnjähriger Sohn Johannes wird über zwei Stunden reanimiert. "Er hätte es fast nicht geschafft. Es war auch lange Zeit unklar, was genau ihm fehlt. Ich bin jeden Tag nach Deggendorf zu ihm ins Krankenhaus", sagt Mutter Beate A. Johannes fällt ins Koma, drei Wochen später öffnet er zum ersten Mal wieder seine Augen, zeigt aber keine Reaktion. Doch von Tag zu Tag kämpft er sich zurück ins Leben und kann drei Wochen später in die Reha.
"Besonders schwierig waren die Gerichtsverhandlungen", sagt Beate A. Beide Täter bekamen fünf Jahre Haft. Seit 2017 sind illegale Straßenrennen keine bloße Ordnungswidrigkeit mehr, sondern sie sind strafbar. Für verbotene Autorennen, bei dennen Menschen getötet oder schwer verletzt werden, droht Tätern eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.
Beate A. sagt: "Sie haben im Gericht keine Emotionen gezeigt, auch nicht als Johannes mit seinen offensichtlichen Verletzungen ausgesagt hat. Diese Menschen sind durch ihr Verhalten und ihre Aussagen in meine Augen wertlos geworden, sie sind Mörder. Immer wieder frage ich mich: warum das Ganze?" Zusammen mit Johannes' Schwester Celina versuche Beate alles, damit wieder Normalität herrsche: "Trotzdem gibt es harte Tage. Celina springt Trampolin und meint auf einmal sie brauche Flügel um zu ihrem Papa fliegen zu können. Da bleibt einem schon das Herz stehen." Arbeiten können Beate A. derzeit nicht, Johannes brauche sie 24 Stunden am Tag. Am linken Auge sehe er fast nichts mehr und die linke Körperhälfte sei noch stark beeinträchtigt. "Zum Glück ist er vom Rollstuhl wieder losgekommen und kann einigermaßen gut gehen. Mein Junge ist so stark." Und die Familie werde auch in Zukunft weiterkämpfen: "Aufgeben gibt's nicht".
Roman S. sagt: "Ich fahre aus Spaß, da bekomme ich einen Kick, der Rest ist egal." Diesen "Kick" bekomme er durch die schnelle Geschwindigkeit und die kurze Beschleunigung. Untereinander schicke er mit Freunden auch Videos, dabei würde er sich "cool" fühlen.
"Überwinden der Angst bietet kurzfristig ein Gefühl von Grandiosität"
Was genau in den Köpfen der Raser vorgeht, weiß Peter Lehndorfer. Er ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut in der Nähe von München. "Gefahren sind in der Regel mit einem Gefühl der Angst verbunden. Das Überwinden von Angst, auch großer Angst, bietet kurzfristig ein Gefühl von Grandiosität", sagt er. "Die möglichen Folgen verleugnen diese Menschen in dem Moment." Diese Bestätigung suchten manche immer wieder. Viele Menschen liebten das Gefühl der Gefahr, gehen dafür zum Beispiel in Geisterbahnen oder schauen Horrorfilme. Andere suchen sich reale Gefahren - so wie die Raser. Thomas Wagner ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Rasern. Er teilt sie in zwei Gruppen ein. Zum einen Menschen mit "geschwindigkeitsaffiner Fahrweise", und Menschen, die Rasen als Wettbewerb begreifen. Eines sei beiden Gruppen gemein: "Sie unterschätzen die Gefahr und überschätzen ihre eigene Kompetenz, mit hohen Geschwindigkeiten umgehen zu können", sagt Wagner.
Begünstigt würden illegale Rennen zunehmend durch neue Formen der Automiete über das Internet. Dort sind PS-starke Autos über Carsharing-Anbieter für eine Kurzzeitmiete inzwischen verhältnismäßig einfach verfügbar. Hinzu komme der Austausch von Rasern über soziale Netzwerke, die Möglichkeit zur gegenseitigen Bestätigung.
Laut Roman S. gibt es im Kreis Straubing-Bogen mehrere Gruppen, ähnlich der seinen: "Die Freundeskreise sind da eigentlich immer unter sich." Die meisten Fahrer wären Männer zwischen 18 und 25 Jahren. "Das sind überwiegend Ausländer, Deutsche trauen sich das nicht", sagt er. Die AfD hatte in einer parlamentarischen Anfrage kürzlich nach der Nationalität der Tatverdächtigen in Bayern gefragt. Nach einer Übersicht des Innenministeriums waren unter den Fällen, in denen die Nationalität ermittelt wurde, 73,5 Prozent deutsche Staatsangehörige, 26,5 Prozent waren Ausländer.
Viele Jugendliche im Umkreis würden Rennen fahren, jedoch nur wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen, sagt Roman S. "Man braucht ein Auto und das sollte mindestens 180 PS haben, damit man auf der Kurzstrecke mithalten kann." Die meisten dieser Autos würden zwischen 30.000 und 80.000 Euro kosten, in der Regel haben diese dann 180 bis 480 PS. Manchmal seien Drogen und Alkohol im Spiel, aber er würde das nicht machen. Das sei ihm zu gefährlich.
Doch nicht nur innerorts ist Roman S. unterwegs, manchmal fahre er Rennen auf der Autobahn: "Dort ist die Straße doppelspurig. Das ist eine wichtige Voraussetzung für Autorennen. Meistens blendet man sich auf der Autobahn auf und überholt sich immer und immer wieder. Oder man schaut wer als Erster in Regensburg ist."
Und dann geht es auch schon wieder los. Obwohl das Rennen noch nicht begonnen hat, fährt Roman S. mit knapp 80 Stundenkilometern durch Straubing. An der Ampel wartet ein Freund von ihm, ansonsten ist die Straße leer. Sie schauen sich an, nicken kurz, die Ampel ist grün. Beide drücken aufs Gas.
Man wird in den Sitz gedrückt, versucht, sich irgendwo festzuhalten. Der Körper verkrampft, der Bauch kribbelt, man spürt das Adrenalin. Der Blick auf den Tacho zeigt 100 - 110 - 120 - 130. Schon ist das Ganze vorbei, Roman S. hat gewonnen. Freude sieht man ihm nicht an, er wirkt wie vorher.
"Es wird sich nie etwas ändern. Die Leute werden auch in Zukunft noch Rennen fahren, egal ob da was passiert oder nicht", sagt er und zündet sich eine Zigarette an. Mit einem "Ciao" steigt er in sein Auto und lässt den Motor ein letztes Mal aufheulen.
Im Video spricht Autorin Annabel Gruber über die Geschichte: