Dreck in Straubing
Ist man Spießer, wenn man weniger Lärm und Müll will?
8. Juni 2018, 12:00 Uhr aktualisiert am 18. Juni 2021, 16:02 Uhr
Würden Sie folgendem Gedankengang zustimmen? „Regeln müssen sinnvoll sein, denn sinnlose Regeln sind dumm. Wenn sinnvolle Regeln nicht durchgesetzt werden, werden sie sinnlos. Dann gehören sie abgeschafft.“ Vor knapp zwei Wochen im Tagblatt: der „Nicht so rosig“-Artikel über Lärm, Müll und Raser in der Rosengasse. Danach: Aufschlussreiche Reaktionen bei Facebook. Jetzt weiß ich, warum sich an Lärm, Müll, überlauten Auspuffen und am Vor-die-Tür-Kotzen nichts ändern wird: Es gibt einfach zu viele Leute, die das Problem nicht begreifen. Und es gibt niemand, der Regeln durchsetzt.
„In anderen Ländern werden ganze Städte für den Verkehr gesperrt damit man Nachts Party feiern kann“, hat einer geschrieben, „und in straubing regt man sich auf wenn 3 Leute ne Pizza essen und miteinander reden.“ Er hat nicht verstanden, dass es nicht darum geht, dass drei Leute Pizza essen und reden. Sondern darum, dass Anwohner Kotze und Dreck anderer Leute wegmachen müssen und nachts kaum ein Auge zumachen können. Das ist etwas anderes als Pizza essen. Nicht jeder kapiert das.
"Straubing“, hat zum Beispiel eine Frau geschrieben, „wird immer mehr zur Spießer Stadt!Diese ‚Pizzameile’ gibt es schon jaaaaaaaahre! Zu Roxy-Zeiten wurde mehr an die Hausmauern gekotzt als jetzt! Dann sollen sie halt ein paar feste Mülleimer auf Stellen! Da is ja garnix da!!“ Sie hält nichts von Regeln, das wird hier klar. Nichts von Rechtschreibregeln; nichts von der Regel, dass man nicht anderen Leuten vors Haus kotzt; nichts davon, dass man seinen Dreck selber wegmacht. Und ein anderer schreibt: „Mimimi Straubing mal wieder.“
Vergangenen Samstag zum Beispiel
Ja, diese Spießer-Stadt. Leider gibt es hier Menschen, die es nicht cool finden, wenn sie am Samstag früh die Kotze der Coolen wegmachen dürfen. Vergangenen Samstag zum Beispiel, kurz vor neun Uhr früh, kommt eine Freundin ins Frühstückscafe und sagt, dass sie in der Steinergasse grad an drei verkotzten Stellen vorbei ist. Offenbar haben Nicht-Spießer wieder Spaß gehabt. Putzen dürfen die Spießer. Und wenn die dann sagen, „Hallo, so geht’s nicht!“, schreibt die coole Facebook-Frau, dass die ja nur „was dagegen haben das sich zu den Späten Abend/Morgenstunden Menschen auf halten die ihr Wochenende genießen wollen“, und dass „Spass haben ihnen nicht vergönnt wird“.
Man liest diesen Blödsinn und denkt, dass die Welt nicht nur rechtschreiberisch total irre geworden ist. Offenbar ist auch Leseschwäche ein Thema: Wenn in der Zeitung beschrieben wird, wie Menschen krakeelen, kotzen, urinieren und Müll rumschmeißen bis in den Morgen hinein, entnehmen sie dem, dass Straubinger Spießer etwas gegen Pizza essen und miteinander reden haben, und dass man sein Wochenende nicht mehr „genießen“ darf. Außerdem kennen sie immer einen, der selber in der Innenstadt wohnt und sagt, dass es gar nicht so schlimm ist.
So einen kenne ich auch. Aber ich kenne locker zehn Mal so viele, im Alter von unter 20 bis über 60, die finden es inzwischen schlimm in der Innenstadt. Aber: Sind ja alles Spießer. Eine junge Frau, unter 30, hat inzwischen schon etliche Male die Polizei gerufen. Vor drei Jahren hätte sie nie gedacht, dass sie das jemals tun würde. Damals hat sie noch nicht in der Innenstadt gewohnt. Sie hat es sich vorher einfach nicht vorstellen können, wie das ist. Jetzt weiß sie es. So geht es vielen.
Sie wissen, dass nichts passiert
Was sehr interessant war in dem „Nicht so rosig“-Artikel, war eine Aussage der Polizei: „Dass „nicht bekannt“ sei, dass Autofahrer in der Rosengasse nachts mit überlautem Auspuff durchjagen. Damit ist die Lage so: Innenstadtbewohner wissen, dass das in der Rosengasse so ist, und in der Mühlsteingasse, und in der Ottogasse, und in der Fraunhofer-Straße. Und in der Bürg – das ist ganz nah an der Polizei – gilt Schrittgeschwindigkeit. Dort ist jüngst ein Igel plattgemacht worden. Aber im Schritt erwischt man keinen Igel. So etwas wissen viele Menschen in dieser Stadt. Die Polizei weiß es nicht. Das ist schade. Sie sollte es wissen.
Denn dann, hat der Polizeisprecher gesagt, würde sie „Maßnahmen ergreifen“. Das wäre gut. Aber welche? Beispiel Basketball- und Skaterplatz nahe Eichendorff-Kreisel: Seit Anfang Mai haben etwa jeden dritten Abend fünf verschiedene Anwohner die Polizei gerufen. Sie wissen: Wenn immer der Gleiche anruft, heißt es: Eh nur einer, der sich beklagt. Genehmigt ist der Platz bis 20 Uhr. Krach ist bis 22 Uhr und länger. Die Polizei kommt. Sie sagt, dass „bald Schluss“ sein muss. Dann fährt sie wieder. Der Krach geht weiter. Nächster Anruf: „Die Zentrale sagt: War die Streife ned da?“, schildert ein Anwohner, „ich sag, doch, aber hat nix geholfen. Dann sagt der Polizist: Ja, dann mach i den Fall halt wieder auf.“
Maßnahmen? Wirkung? Nicht bekannt. „Fakt ist“, sagt der Anwohner, „dass die spielenden Lärmterroristen sich nicht einmal bei Anwesenheit der Polizei von der Lärmproduktion abhalten lassen.“ Sie machen weiter. Sie wissen, dass nichts passiert. Die Stadt hat zwar eine laute und überflüssige Bande entfernt, und das ist gut. Aber die Regeln, die sie selber ans Basketball- und Skaterfeld geschrieben hat, mit definierten Spielzeiten, setzt sie nicht durch.
„Sie werfen gezielt neben Abfalleimer“
Auch andernorts werden Regeln immer seltener durchgesetzt. Vorigen Samstag im Laga-Park: Ziemlich am Anfang sehen wir drei junge Leute mit einem Pappkarton voller Capri Sun. Später finden wir Capri Sun an diversen Stellen, dazu leere Flaschen, Chips-Tüten, Müll. Der Mensch ist in der Lage, Capri Sun, Wodka, Chips-Tüten im Supermarkt zu kaufen und in den Park zu tragen. Er ist nicht in der Lage, leere Flaschen und Tüten 100 Meter zu einem Abfallkorb zu tragen. Also lässt er den Müll einfach fallen und begründet das damit, dass keine Mülleimer da sind: Der nächste ist 20 Meter weg. Manchmal ist einer 100 Meter weit weg. Offenbar glaubt der Mensch heute, dass es nicht zumutbar sei, 100 Meter zum Mülleimer zu gehen. Und dass er deswegen einfach alles auf den Boden fallen lassen darf, auch wenn der Mülleimer nur 20 Meter entfernt ist. Aber den hat er halt nicht gesehen, und das ist nicht seine Schuld: Warum macht die Stadt keine Lautsprecherdurchsagen, „Hallo, lieber Capri-Freund, nächster Mülleimer genau 20,5 Meter rechts von dir!“, mit GPS wäre ein solcher Service doch heutzutage das Mindeste. Ist natürlich ein Scherz.
Und ein ganz schlechter Witz ist, dass auch sonst wenig bis gar nichts möglich ist in Straubing. Bodenwellen gegen Raser? Geht nicht. Kameras? Geht nicht. Was geht, ist Straßenreinigung. Ein einziger Wochenendtag am Stadtplatz bedeutet vier bis fünf Kubikmeter Müll allein am Stadtplatz, sagt Roman Pflaumer von der Straßenreinigung. „Die Leute“, sagt er, „werfen gezielt neben die Abfalleimer; ich hab schon selber gesehen, wie Flaschen bewusst zerschmettert worden sind.“ Die staatliche Autorität gibt da inzwischen ein klägliches Bild ab.
Eine Form von Terror, bei der du allein bist
Sie machen Regeln, Verordnungen, Satzungen, aber wozu? Da, wo es leicht ist, wird durchgesetzt, Sonnenschirm, Nasenschild, Hausfarbe. Und wo es schwierig wird? 161 Anzeigen mit Bußgeldern insgesamt sind 2017 im Ordnungsamt aufgelaufen, vom Hundekot-Haufen bis am Sonntag Glas in Container werfen. Das ist nichts für ein ganzes Jahr. 25 bis 35 Euro pro Bußgeld, Gesamtsumme: Keine 5.000 Euro. In einem Jahr. Müsste nicht eigentlich die Bußgeldsumme von vier bis fünf Kubikmeter Stadtplatzmüll höher sein? Aber: Wer kontrolliert? Etwa die Sicherheitswacht?
Es gibt mehr akustischen Müll, mehr Scherben an Spielplätzen, mehr Dreck. Das, was man „soziale Kontrolle“ nennt, schwindet: Wenn einer am hellen Tag Müll auf den Stadtplatz schmeißt, reagiert schon jetzt keiner mehr. Warum sich mit Müllrowdys anlegen, wenn’s selbst der Staat nicht mehr tut? Im Skaterplatz Süd hat ein Stadt-Mitarbeiter schon Prügel angedroht bekommen, abends geht der da gar nicht mehr hin. Der Eindruck entsteht, dass selbst der Staat resigniert. Gerade heute kann das verheerende Auswirkungen haben.
Es gibt auch in dieser Stadt Spielplätze, auf denen Jugendliche den Ton angeben, die aus dem Spielplatzalter eigentlich raus sind und die kleine Bluetooth-Boxen haben. Eine junge Mutter, Anwohnerin, hat mir ihre Lage dort einmal geschildert: Wie ständig Bälle in ihren Garten fliegen, Leute ungefragt über ihren Zaun steigen, ihre Blumenbeete zertrampeln, in denen Arbeit und Geld steckt. Wie es laut und völlig egal ist, dass sie ein kleines Kind hat. Wie sie beleidigt wird mit übelsten Ausdrücken. Es ist eine Form von Terror, bei der du allein bist. Die Stadt tut lieber so, als sei alles kein Problem. Das ist einfacher.
Persönlich betroffen, und man denkt um
„Früher war es doch auch so“, sagen Menschen, die sich für liberal halten. Das ist falsch. Früher war es nicht so. Früher musste nicht so viel Kotze weggemacht werden wie heute. Früher zogen nicht so viele Horden plärrend durch die Nacht. Richtig ist nur, dass Innenstädte nie leise sind. Aber es ist ein Unterschied zwischen „nicht leise“ und „brüllen und schreien“, und die kleinen Bluetooth-Boxen hat es früher gar nicht gegeben. Die Polizei sagt, sie werde im Sommer mehr Polizei ins Zentrum schicken, und nennt erste Erfolge. Mehr Kontrollen hätten am Adler mehr Ruhe gebracht: ein Argument für Kontroll-Druck.
Zum Skaterplatz Süd sagt Stadt-Referentin Rosa Strohmeier: „Man muss aber auch sehen, dass der Skaterplatz vor der Wohnbebauung da war.“ Es ist nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist: Er war mit 20-Uhr-Auflage da. „Die letzte Konsequenz wäre“, sagt sie daraufhin, „dass man einen Käfig drum macht und um 20 Uhr absperrt. Aber das hat natürlich eine Aussage.“ Sie möchte das nicht. Sie glaubt, dass es eine unschöne Botschaft wäre, wenn öffentlicher Raum abgesperrt werden muss. Aber ist die Botschaft, dass eine Stadt Regeln, die sie selber gesetzt hat, gar nicht mehr durchsetzt, denn besser?
Die Pointe der Facebook-Diskussion ist übrigens dies: Irgendwann ging es darum, dass die Dame, die Straubing „Spießer-Stadt“ nennt, nah an einem Spielplatz wohnt. Und sie stellt fest, „das es vor 1-2 Jahren nicht so überlaufen war bei uns in der Strasse. Und es gibt Kinder und Kinder auf dem Spielplatz. Du weißt was ich meine.“ Wir lernen: Wer persönlich betroffen ist, wird selber zum Spießer und unterscheidet nun „Kinder und Kinder“. In Singapur übrigens kostet eine Kippe am Boden bis zu 400 Euro Bußgeld. Straubing hat Regeln, Singapur auch, und Singapur setzt sie durch.