Olympia-Serie der AZ

Muhammad Ali: Der größte Moment des Größten


"Meine linke Hand zitterte wegen Parkinson, die rechte vor Angst", sagt Muhammad Ali, der 1996 das Olympische Feuer entfacht.

"Meine linke Hand zitterte wegen Parkinson, die rechte vor Angst", sagt Muhammad Ali, der 1996 das Olympische Feuer entfacht.

Von Guido Verstegen / Online

Muhammad Ali holt 1960 als Boxer Gold bei Olympia - 1996 rührt er die Welt zu Tränen, als er als schwerkranker Mann die Flamme entfacht.

München - Manchmal ist die absolute Stille die größte Form der Bewunderung, der Anerkennung. So, wie an diesem 19. Juli 1996.

Die 85.000 Zuschauer im Olympiastadion von Atlanta und die drei Milliarden vor den Fernseher starren gebannt auf die Plattform, auf der das Olympischen Feuer bei der Eröffnungszeremonie entzündet werden soll. Die Schwimmerin Janet Evans trägt die Fackel nach oben.

Aus dem Dunkeln, der Finsternis des Vergessens, in der er die letzten Jahre verbracht hat, tritt ein Mann im weißen Trainingsanzug. Er bewegt sich steif, der Blick ist stier, sein ganzer Körper wird von Zitterattacken erschüttert.

Ali, damals noch Cassius Clay, holt bei Olympia 1960 Gold.

Ali, damals noch Cassius Clay, holt bei Olympia 1960 Gold.

Olympia 1996 in Atlanta: Ali lächelt, die Menschen weinen

Wer ist das?, fragen sich viele beim Anblick dieses Mannes, der mit dem Bild, das er selber von sich erschaffen hat, äußerlich so wenig zu tun hat. Da setzt die Erkenntnis, das Erkennen ein: Es ist Muhammad Ali, der wohl größte Boxer aller Zeiten, begnadeter Kämpfer und Entertainer.

Es ist dieser Moment, in dem sich die Stille über das Stadion legt, ein Moment der Andacht entsteht. Erst dann setzen die "Ali, Ali"-Sprechchöre ein. "Meine linke Hand zitterte wegen Parkinson, die rechte vor Angst", erzählt Ali später. Mit größter Mühe schafft er es, die Flamme zu entzünden.

Er muss die Fackel mit beiden Händen halten. Dann huscht ein kleines, zartes Lächeln über sein Gesicht. Ali lächelt, die Menschen weinen. Bill Clinton, der US-Präsident, weint. Ali, das Box-Genie, der sich als den Größten angepriesen hat, aber den großen Sprüchen stets noch größere Taten folgen ließ, war fast in Vergessenheit geraten.

Der Auftritt von Muhammad Ali, der an Parkinson leidet, bei den Spielen 1996, rührt US-Präsident Bill Clinton zu Tränen.

Der Auftritt von Muhammad Ali, der an Parkinson leidet, bei den Spielen 1996, rührt US-Präsident Bill Clinton zu Tränen.

Frank Busemann: "Plötzlich kann Ali kaum seine Arme heben"

Bei den Spielen zwölf Jahre zuvor in Los Angeles, war er nicht einmal eingeladen. Jetzt gebührt ihm, der seinen Stil im Ring mal mit den berühmten Worten, "stich zu wie eine Biene, flieg wie ein Schmetterling" die Hauptrolle.

"Dieser Augenblick, das war so eine Mischung aus Schock und Bewunderung. Wir waren damals im Trainingslager in Charlotte, haben die Zeremonie vor dem Fernseher verfolgt. Ali, der als Schmetterling im Ring nicht zu schnappen war, der die größte Schnauze der Welt hatte, so zu sehen, tat weh", erinnert sich Zehnkämpfer Frank Busemann, der in Atlanta später sensationell Silber holen sollte: "Plötzlich kann Ali kaum seine Arme heben. Aber die Stärke, sich so zu zeigen, war größer als jeder Boxkampf. Das war eine der größten Momente der olympischen Geschichte."

Und der wohl größte Moment des Größten. Dabei war sein Leben an großen Momenten mehr als nur reich. "Ali war sehr früh eine Ikone für uns Schwarze, er hat uns Stolz gegeben. Er hat uns gezeigt, dass man nicht minderwertig ist, nur, weil man eine schwarze Hautfarbe hat. Er hat für Gleichberechtigung und gegen Rassismus gekämpft, doch an diesem Tag in Atlanta wurde er vielleicht noch ein Stück unsterblicher", sagt James Ali Bashir, der den früheren Box-Weltmeister Wladimir Klitschko jahrelang als Co-Trainer begleitete.

Einen Schwergewichtler wie ihn hat die Welt noch nie gesehen. So schnell, so beweglich, so schön, so arrogant und großmäulig: Ali.

Einen Schwergewichtler wie ihn hat die Welt noch nie gesehen. So schnell, so beweglich, so schön, so arrogant und großmäulig: Ali.

Olympia 1960: Gold für Cassius Marcellus Clay

Als junger Kerl arbeitete Bashir im Trainingslager von Ali, er war stolz, dessen Spuckeimer tragen zu dürfen. "Ich erinnere mich noch, wie wütend meine Mutter war, als ich den Ali-Shuffle daheim nachgemacht habe. Denn Ali stand für all das, was die Weißen hassten: 'Das wird dich noch umbringen', sagte sie", sagt Bashir, "das waren Zeiten, in denen in schwarzes Leben noch viel weniger zählte als heute. Vielleicht kann nur ein Schwarzer wirklich verstehen, wie wichtig Ali war, aber durch Olympia wurde er Held aller Amerikaner."

Schon 1960 hat Ali einen großen olympischen Moment. Bei den Spielen in Rom gewinnt der schlaksige Kerl, der damals vor seiner Konvertierung zum Islam noch Cassius Marcellus Clay heißt, die Goldmedaille im Halbschwergewicht.

Fast wäre der 18-jährige Clay aber die Reise in die Ewige Stadt nicht angetreten. Er, der so furchtlos war, hat panische Flugangst. Der große Lautsprecher ist vor dem Anflug uncharakteristisch kleinlaut. Trainer Joe Martin muss ihm erst drohen, dass er den WM-Titel bei den Profis vergessen kann, wenn er nicht goldgeschmückt aus Rom zurückkehrt.

Sein dritter olympischer Moment: Ali bei dem Spielen 2012.

Sein dritter olympischer Moment: Ali bei dem Spielen 2012.

Einen Schwergewichtler wie Ali hat die Welt noch nie gesehen

Clay steigt in den Flieger, doch er trägt während des gesamten Flugs einen Fallschirm, den er zuvor noch in einem Army-Shop gekauft hat. Im Finale am 5. September gegen Zbigniew Pietrzykowski (Polen) holt er sich das begehrte Edelmetall. "Er schlief damit. Er ging mit ihr in die Caféteria. Nie nahm er sie ab. Keinem war sie so wertvoll wie ihm", sagt US-Sprinterin Wilma Rudolph.

Doch kaum in Louisville/Kentucky daheim, ist er nicht mehr der König der Welt, sondern nur ein Schwarzer in einer rassistischen Welt. Er wird in einem Lokal nicht bedient, weil er eben schwarz ist. Er geht der Legende nach zur Jefferson-County-Brücke und wirft die Goldene in den Ohio. Gold hatte für ihn allen Glanz verloren.

1975 erzählt er eine andere Geschichte, eine ohne Melodramatik. Er hat die Medaille schlicht verloren. Auf jeden Fall wird Ali Profi - und der Größte. Einen Schwergewichtler wie ihm hat die Welt noch nie gesehen. So schnell, so beweglich, so schön, so arrogant und großmäulig - so erfolgreich.

1980 gegen Holmes: Ali ein Schatten seiner selbst

1964 holte er gegen den gefürchteten Sonny Liston, den Mike Tyson seiner Ära, sensationell den WM-Titel. Doch 1967 wurde ihm der aberkannt, weil er sich während des Vietnamkrieges weigert, den Wehrdienst abzuleisten. "Kein Vietcong hat mich je einen Nigger genannt", begründet er seinen Entschluss.

Ali, wie er nun heißt, wurde zu einer fünfjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, bleibt aber gegen Kaution auf freiem Fuß. Seine Boxlizenz wird ihm entzogen, erst 1970 darf er wieder kämpfen. Die Fights gegen Ken Norton, die Trilogie gegen Joe Frazier, den "Rumble in the Jungle" gegen George Foreman zementieren seine Legende.

1980 kämpfte er gegen seinen einstigen Sparringspartner Larry Holmes. Doch Ali ist nur ein Schatten seiner selbst. Es tut weh, wie dieser einstige Ausbund an Anmut von Holmes auseinandergenommen wird. 1981 kämpft Ali ein letztes Mal - gegen Trevor Berbick. In dem Kampf merkt er, der in seiner Karriere etwa 29.000 Kopftreffer eingesteckt hat, dass etwas nicht stimmt.

Muhammad Ali: 2016 verliert er den Kampf gegen Parkinson

Die Arme machen nicht mehr, was der Kopf ihnen sagt, 1984 wird bei Ali dann Parkinson diagnostiziert. Der Kampf gegen die heimtückische Krankheit wird sein härtester Fight. Einer, den er eben mit dem Auftritt 1996 für alle sichtbar macht.

Bei den Spielen 2012 in London tritt er bei der Eröffnungszeremonie als Ehrengast auf. 2016 hört dann das Herz des Größten zu schlagen auf. Ali war der Größte. Als Sportler, als Kämpfer für die Menschen - aber vor allem als Mensch.

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