Abgeordnetenhauswahl
Zeichen stehen in Berlin wohl auf Schwarz-Rot
28. Februar 2023, 19:44 Uhr aktualisiert am 1. März 2023, 22:27 Uhr
Nach der Wiederholungswahl in Berlin deutet sich ein Machtwechsel von Rot-Grün-Rot zu Schwarz-Rot an. Die SPD will Koalitionsverhandlungen mit dem Wahlsieger CDU aufnehmen, wie die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) mitteilte. Der SPD-Landesvorstand beschloss das demnach am Abend mit 25 zu 12 Stimmen.
Die CDU selbst strebt laut Parteikreisen ebenfalls ein Regierungsbündnis mit der SPD an. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner wolle dem am Donnerstag tagenden Landesvorstand vorschlagen, mit den Sozialdemokraten Koalitionsverhandlungen aufzunehmen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur. Zuvor hatte die "Berliner Morgenpost" berichtet. Ein Parteisprecher wollte das nicht kommentieren.
Nach den Worten Giffeys entschied sich die SPD "aus Respekt vor dem Wahlergebnis" am 12. Februar für die CDU als möglichen Koalitionspartner. Die bisherige, 2016 gebildete und 2021 erneuerte Koalition mit Grünen und Linken habe bei der Wiederholungswahl um die 250 000 Stimmen verloren. "Das muss man ernst nehmen bei den Erwägungen, was man tut." Zudem gebe es mit der CDU einen klaren Wahlsieger. Dem müsse Rechnung getragen werden.
Unter dem Strich habe es in den zurückliegenden Sondierungsgesprächen mehr Schnittmengen mit der CDU als mit den bisherigen Partnern gegeben. Als Beispiele nannte Giffey eine "funktionierende Stadt", Wohnungsbau, Ordnung und Sicherheit, aber auch die Verkehrspolitik und Klimaschutz. Außerdem wollten SPD und CDU das aktuell befristete 29-Euro-Monatsticket beibehalten. Eine pauschale Enteignung großer Wohnungsunternehmen, die vor allem die Linke forderte, soll es nicht geben. Grüne und Linke hätten in den Sondierungen vieles infrage gestellt, was 2021 vereinbart worden sei, ergänzte Giffey.
"Wir tun das aus Verantwortung für Berlin", sagte sie zum Vorgehen der SPD. Es bestehe die Hoffnung auf einen wirklichen Neubeginn. Nach Abschluss der Verhandlungen mit der CDU plane die SPD eine Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag.
Sollte Schwarz-Rot klappen, würde Giffey ihr Amt Berlins Regierende Bürgermeisterin verlieren. Sie kann sich aber vorstellen, in einer möglichen schwarz-roten Landesregierung als Senatorin weiterzumachen. "Ja ich bin bereit, auch als Senatorin meinen Beitrag dazu zu leisten, dass gute Regierungsarbeit gelingt", sagte Giffey. "Ich mache das für Berlin, ich mache das für die SPD."
Ihr Nachfolger würde der CDU-Vorsitzende Wegner. Einen Regierungschef in Berlin stellte die CDU zuletzt mit Eberhard Diepgen, der von 1984 bis 1989 und von 1991 bis 2001 amtierte.
Neben Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün hätte auch die bisherige Dreierkoalition im neuen Parlament eine Mehrheit. Seit 17. Februar hatten die Parteien in Sondierungsgesprächen ausgelotet, ob sie eine gemeinsame Basis für eine Regierungsbildung haben.
Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kritisierte ein mögliches Zweierbündnis aus SPD und CDU. "Dass sich die SPD und die CDU nun offenkundig füreinander entscheiden, zeigt, dass kommt, wovor wir im Wahlkampf immer gewarnt haben: eine Rückschrittskoalition", erklärte sie. Der Linke-Bundesvorsitzende Martin Schirdewan warnte vor einer "rückwärtsgewandten Betonkoalition" in Berlin. Ein solcher Schritt sichere der Union auch im Bundesrat eine "Blockademehrheit".
Ganz unumstritten ist ein schwarz-rotes Bündnis weder in der SPD noch in der CDU. Bei den Sozialdemokraten gibt es nicht wenige Anhänger der rot-grün-roten Variante, obwohl alle drei Parteien bei der Wahl an Zustimmung verloren haben. "Wir werden uns jeder Bestrebung, eine Koalition mit der CDU zu bilden, entgegenstellen", sagte die Juso-Landesvorsitzende Sinem Taşan-Funke. Der Parteivorstand folgte indes mehrheitlich der Linie von Giffey und ihrem Co-Landesvorsitzenden Raed Saleh.
Aus Berliner CDU-Kreisen wiederum hieß es, im Landesvorstand gebe es durchaus unterschiedliche Einschätzungen zu den Koalitionsoptionen. Nicht alle seien überzeugt, dass die SPD tatsächlich der bessere Partner sei. Es gebe auch Stimmen, die sich für ein Bündnis mit den Grünen äußerten, insbesondere mit Blick auf lange Sicht. Allerdings habe die SPD nach Wahrnehmung vieler CDU-Sondierer inhaltlich das bessere Angebot gemacht und sich vor allem bereits klar positioniert.
Die CDU hatte die Wiederholungswahl am 12. Februar mit 28,2 Prozent gewonnen. SPD und Grüne bekamen beide 18,4 Prozent. Die Sozialdemokraten haben mit 53 Stimmen nur einen hauchdünnen Vorsprung vor den Grünen. Sie schnitten so schlecht ab wie noch nie bei einer Abgeordnetenhauswahl. Die Linke kam auf 12,2 Prozent, die AfD auf 9,1. Die FDP flog mit 4,6 Prozent aus dem Parlament, das nun fünf statt bisher sechs Fraktionen hat.
Die Wahl am 26. September 2021 hatte der Berliner Verfassungsgerichtshof wegen "schwerer systemischer Mängel" und zahlreicher Wahlfehler für ungültig erklärt. Das Gericht ordnete eine komplette Wiederholung an. An der Dauer der fünfjährigen Legislaturperiode ändert sich nichts. Sie endet also 2026.