Streit um Abrüstungsvertrag
USA setzen Russland 60-Tage-Frist
4. Dezember 2018, 18:55 Uhr aktualisiert am 4. Dezember 2018, 19:33 Uhr
Die USA setzen Russland ein Ultimatum von 60 Tagen, um sich wieder an den INF-Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen zu halten. Wenn Russland darauf nicht reagiert, wollen die Vereinigten Staaten das Abkommen aufkündigen. Die USA hätten in der Vergangenheit "maximale Geduld" gezeigt, sagte US-Außenminister Mike Pompeo am Dienstag nach Beratungen mit den Kollegen der anderen Nato-Staaten in Brüssel. Wenn Russland den Vertrag allerdings weiter verletzte, ergebe es für die USA keinen Sinn mehr, im Vertrag zu bleiben.
Die Nato hatte Russland kurz zuvor erstmals geschlossen vorgeworfen, mit neuen Marschflugkörpern gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Man rufe Russland auf, sofort und nachweisbar wieder volle Vertragstreue herzustellen, kommentierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Mit dem Vorgehen soll Russland eine letzte Gelegenheit erhalten, die von der Nato vermutete Missachtung der Regeln des Vertrags zu beenden. Wenn es dies nicht tut, könnte auf Bündnisebene zum Beispiel ein Ausbau der Raketenabwehr in Europa beschlossen werden. Sollte Russland nicht einlenken, hätte dies auch zur Folge, dass die USA den INF-Vertrag mit politischer Rückendeckung der anderen Alliierten kündigen könnten.
Das geplante Vorgehen gilt als Kompromiss unter den Nato-Partnern. US-Präsident Donald Trump hatte eigentlich bereits im Oktober angekündigt, den INF-Abrüstungsvertrag wegen neuer russischer Marschflugkörper vom Typ 9M729 aufkündigen zu wollen. Nato-Partner wie Deutschland befürchten allerdings, dass dies ein fatales Signal wäre und ein neues Wettrüsten auslösen könnte. Sie wollen deswegen alle Möglichkeiten nutzen, um das Abkommen doch noch zu retten.
"Wir wollen keine neue Aufrüstungsspirale in Europa - wir wollen schon gar keine neue nukleare Aufrüstungsspirale", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas nach den Beratungen. Er wertete es Erfolg, dass die USA den Vertrag am Dienstag noch nicht gekündigt hätten. Man wolle nun versuchen, das Thema internationale Rüstungskontrolle wieder auf die internationale Tagesordnung setzen.
"Wir denken, dass es klug ist, weiter zu versuchen, den Vertrag zu erhalten und Russland zur Vernunft zu bringen", sagte der niederländische Außenminister Stef Blok.
Der INF-Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (Intermediate Range Nuclear Forces) wurde 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossen. Er verpflichtet beide Seiten zur Abschaffung aller landgestützten ballistischen Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Zugleich untersagt er auch die Produktion und Tests solcher Systeme.
Die USA werfen Russland seit längerem vor, mit der Entwicklung eines Marschflugkörpers mit dem Namen 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag zu verstoßen. Russland dementiert das und hat im Gegenzug auch den USA schon mehrfach einen Vertragsbruch vorgeworfen. Ein Einlenken Moskaus gilt deswegen als sehr unwahrscheinlich.
In europäischen Militärkreisen wird allerdings vermutet, dass auch die USA kein großes Interesse an einem Erhalt des Vertrags haben. Er verpflichtet nämlich nur Russland und sie selbst zum Verzicht auf die atomaren Mittelstreckenwaffen. Andere aufstrebende Militärmächte wie China können sie weiter entwickeln. Ziel der USA könnte es deswegen sein, das INF-Abkommen durch einen neuen multilateralen Vertrag zu ersetzen. Alternativ könnten sie zur Abschreckung von Gegnern selbst neue landgestützte Mittelstreckensysteme bauen. Auch Pompeo verwies am Dienstag darauf, dass Nordkorea und China nicht durch den INF-Vertrag gebunden seien.