Kriminalität
Prüfung der Straftatbestände Schwarzfahren und Unfallflucht
25. April 2023, 9:42 Uhr
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat sich vorgenommen, das Strafgesetzbuch auszumisten. Dabei nimmt er neben der Frage, ob Schwarzfahren künftig vom Vergehen zur Ordnungswidrigkeit heruntergestuft werden sollte, nun auch die Fahrerflucht ohne Personenschaden in den Blick.
In einem Brief, den eine Mitarbeiterin seines Ministeriums kurz nach Ostern an Verbände und die Justizministerien der Länder verschickt hat, wird im Zusammenhang mit dem Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort die Frage aufgeworfen, "ob der Gesetzgeber es immer noch für angemessen hält, dass ein Kriminalstrafverfahren bei Vorgängen mit reinen und unbeabsichtigten Sachschäden einzuleiten ist". Oder ob Fälle, bei denen kein Mensch zu Schaden gekommen ist, womöglich in Zukunft von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden sollten.
Ziel des Schreibens aus dem Bundesjustizministerium ist es offensichtlich, mit Experten und Verantwortlichen zu möglichen Reformvorschlägen frühzeitig ins Gespräch zu kommen. Die Angeschriebenen wurden bis zum 23. Mai um Stellungnahme gebeten. Eine Sprecherin des Ministeriums betont jedoch, die Überlegungen seien noch in einem frühen Stadium. Sie sagt: "Dem Bundesministerium der Justiz ist es wichtig, auch die Argumente relevanter Verbände in seine Erwägungen einzubeziehen. Eine Entscheidung, ob und wie eine mögliche Anpassung erfolgt, ist noch nicht getroffen worden."
Dennoch ist die Aufregung schon jetzt groß. Neben Rechtspolitikern stoßen die Überlegungen aus dem Justizministerium auch bei den Versicherern auf großes Interesse.
Aktuell werden Unfallbeteiligte, die sich unerlaubt von einem Unfallort entfernen, mit einer Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Haft bestraft. Das könnte, wenn die Überlegungen aus dem Justizministerium tatsächlich umgesetzt werden sollten, so künftig nur noch bei Unfällen mit Personenschaden gelten.
Bislang gilt, dass Unfallbeteiligte eine "angemessene Zeit" am Unfallort warten müssen. Als Alternative dazu bringt das Bundesjustizministerium die Einrichtung einer Meldepflicht und Meldestelle ins Spiel. "Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, gegebenenfalls auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort und Schaden, oder eine, am geschädigten Fahrzeug zu fixierende, Schadensmeldung, bei deren ordnungsgemäßer Vornahme keine tatbestandsmäßige Handlung vorläge", heißt es in dem Schreiben des Ministeriums.
Den Versicherern ist es vor allem wichtig, die Möglichkeiten der Beweissicherung nicht einzuschränken. "Unfallursache und -hergang müssen sich zweifelsfrei feststellen lassen", sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Das gelte etwa für die Frage, ob Alkohol oder Drogen mit im Spiel waren. "Die Fahrtüchtigkeit des Unfallverursachers kann nur unmittelbar nach dem Unfall festgestellt werden", betont Asmussen. Wenn sich der Verursacher nicht ermitteln lasse, müssten Geschädigte ihren Schaden entweder selbst tragen oder über ihre eigene Versicherung abrechnen.
"Ich bin überrascht und zweifle an der Ernsthaftigkeit des Vorschlags des Justizministers", sagt die Grünen-Rechtspolitikerin Canan Bayram. Sie frage sich, ob Buschmann vor der Regierungsbefragung im Plenum des Bundestages an diesem Mittwoch womöglich "Nebelkerzen zündet, um unangenehmen Fragen zu entgehen".
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Stephan Thomae hält dem entgegen: "Der Bundesjustizminister hat weder einen Grund, noch ist es sein Stil, irgendwelchen Fragen auszuweichen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns als Ampel auf eine Strafrechtsreform verständigt, damit der Grundsatz der Ultima Ratio wieder gilt." Eine frühzeitige Verbändeabfrage, wie sie vom Ministerium durchgeführt werde, sei "genau das, was sich die Verbände ja immer wünschen und was die Koalition unter guter Staats- und Gesetzgebungspraxis versteht", sagte Thomae.
"Aus Sicht der Justizpraxis besteht kein Anlass, das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in Fällen ohne Personenschaden zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen", urteilt der Deutsche Richterbund (DRB). Die Strafvorschrift habe sich bewährt und biete den Gerichten ausreichend Spielräume, um Rechtsverstöße jeweils tat- und schuldangemessen zu bestrafen, meint DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Der Vorschlag, künftig eine Meldepflicht als Alternative zur Wartepflicht nach einem Unfall einzuführen, sei hingegen erwägenswert. Allerdings müssten dafür digitale Meldewege aufgebaut werden, die zuverlässig und einfach erreichbar seien. Er mahnt: "Ein föderaler Flickenteppich, in dem jedes Bundesland oder sogar jeder Landkreis seine eigene technische Lösung entwickelt, wäre für die Akzeptanz eines Meldemodells sicher fatal."
Deutliche Kritik an den Überlegungen aus dem Bundesjustizministerium übten Politiker von CDU und CSU. Der hessische Justizminister Roman Poseck (CDU) sagte: "Auch wenn ein Unfall nur Sachschäden verursacht, liegt bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort strafwürdiges Unrecht vor." Schon heute litten viele Geschädigte darunter, dass Unfallbeteiligte ihren Pflichten nicht nachkämen.
Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), sagte: "Fahrerflucht ist keine Bagatelle, auch nicht bei bloßen Sachschäden." Der Vorschlag aus dem Bundesjustizministerium "fördert die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft und ist das völlig falsche Signal".
Bedenken äußerte auch CDU-Chef Friedrich Merz: "Ich habe persönlich ein spontanes Störgefühl dabei", sagte der Unions-Fraktionsvorsitzende. Bei Unfallfluchten handele es sich in der Regel auch um nicht unerhebliche Sachbeschädigungen. Daher werde er sich genau anschauen, was die Bundesregierung da plane.
Wann Buschmann einen Entwurf für die geplante Reform des Strafgesetzbuches vorlegen wird, steht noch nicht fest.