Flüchtlingskrise
Und täglich grüßt das Murmeltier: Eskalation im Flüchtlingskrach
25. Januar 2016, 16:48 Uhr aktualisiert am 25. Januar 2016, 16:48 Uhr
Eine unter Politikern weit verbreitete Weisheit besagt: Je höher zwei Streithähne auf die Bäume klettern, desto schwieriger wird der Friedensschluss. In der Flüchtlingskrise wird das derzeit von CSU und CDU mustergültig vorexerziert.
Grobe Attacken auf den politischen Gegner sind Alltagsgeschäft für CSU-Generalsekretäre: "Wir möchten aus dem Kanzleramt endlich realistische Lösungen hören und nicht inhaltslose Dauerappelle", erklärt der aktuelle Amtsinhaber Andreas Scheuer am Montag in München. Die Äußerung fällt in einer entscheidenden Hinsicht aus dem Rahmen: Adressat ist Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU). Bisher war eine solche Wortwahl in der CSU reserviert für den politischen Gegner - und nicht für Spitzenpolitiker der Schwesterpartei.
Der Altmaier-Zwischenfall zeigt, dass in der Flüchtlingskrise die christsozialen Nerven blank liegen. Die monatelangen Drohungen der CSU gegen Kanzlerin Angela Merkel, nun endlich einer Obergrenze für die Aufnahme neuer Flüchtlinge zuzustimmen, sind bislang erfolglos verpufft. Anlass von Scheuers Attacke war, dass Altmaier am Montag in der "Fuldaer Zeitung" eine solche Obergrenze mal wieder ablehnte.
Doch das Beidrehen auf Merkel-Linie wäre für die CSU und ihren Chef Horst Seehofer nach monatelangen Drohungen mit immensem Gesichtsverlust verbunden. So ist eine unionsinterne Eskalationsspirale in Gang gekommen, bei der unklar ist, wie die beteiligten Kombattanten wieder zu einem friedlichen Miteinander zurückfinden können. An diesem Dienstag will die Staatsregierung einen offiziellen Brief an den Bund schreiben, in dem Bayern einen wirksamen Schutz der deutschen Grenzen fordert. Falls die Antwort aus Berlin nicht zufriedenstellend ausfällt, will Seehofer in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Bund klagen.
Seehofer schwebt eine gesichtswahrende Lösung vor: Merkel könnte klammheimlich ihren Kurs ändern, ohne das öffentlich zu verkünden: "In aller Regel erklären Bundeskanzler keine Kursänderung, sondern die findet irgendwie statt", sinniert der CSU-Chef. Als Beispiel nennt er die Kopfpauschale im Gesundheitswesen, die trotz einstimmigen Beschlusses auf dem CDU-Parteitag 2003 niemals eingeführt wurde.
Erfreulich aus CSU-Sicht ist an diesem Montag lediglich, dass die stellvertretende CDU-Vorsitzende und rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin Julia Klöckner wesentliche Forderungen der CSU kopiert und in einem "Plan A2" benannten Papier zusammengefasst hat. "Plan A" ist im Unionssprech Merkels Position, die Flüchtlingskrise auf internationaler Ebene zu lösen und nicht an der deutschen Grenze. "Plan B" ist die CSU-Position, auf nationaler Ebene im Alleingang eine Begrenzung durchzusetzen, wenn die europäischen Bemühungen fruchtlos bleiben. Merkel hatte den CSU-Bundestagsabgeordneten in Wildbad Kreuth erklärt, dass sie nicht über Plan B reden wolle, weil dann ihr Plan A scheitern würde.
In Klöckners "Plan A2" finden sich aber sowohl die von der CSU geforderte nationale Begrenzung der Flüchtlingszahlen als auch die "Transitzentren" für Flüchtlinge an der deutschen Grenze - von Klöckner in "Grenzzentren" umgetauft. In anderen Worten: In Klöckners "A2" ist das "B" der CSU enthalten, ohne dass Klöckner das öffentlich zugegeben hätte. "Ich spüre jetzt alle möglichen Erklärungen, dass man B nicht sagen darf, weil A dann gescheitert wäre", spottet Seehofer. "Ich übernehme jede Wortschöpfung, die dem Ziel dient."
Doch Merkel lässt dem Klöckner-Plan am Montag ebenso eine Absage erteilen, wie sie in den Vormonaten die CSU hat abblitzen lassen. Und da Nachgeben für die CSU in der Flüchtlingskrise keine Option ist, will Seehofer nun alle erlaubten Mittel ausschöpfen, um die Kanzlerin zu einem Kurswechsel zu zwingen. "Die Wende muss in den nächsten Wochen, Monaten kommen."
Somit sind in der CSU inzwischen sogar Tabubrüche gestattet, die in normalen Zeiten mit strengstem Verbot belegt sind: So dürfen Seehofers Parteifreunde inzwischen halb oder ganz öffentlich über ein Ende von Merkels Kanzlerschaft nachdenken: "Ich sage als Parteivorsitzender, dass ich Verständnis habe für solche aufgewühlten Positionen", erklärt Seehofer. Und setzt treuherzig hinzu, dass die CSU "bis auf weiteres" in die CDU hineinwirken wolle und nicht Koalition oder Kanzlerin infrage stellen.
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