Flüchtlinge
Flüchtlingskrise wird Chefsache: EU jagt Schleuser
7. Oktober 2015, 11:59 Uhr aktualisiert am 7. Oktober 2015, 11:59 Uhr
Die Kanzlerin macht ihren Amtschef Altmaier zum Koordinator der Flüchtlingshilfe. CSU-Chef Seehofer sammelt zugleich Argumente für mehr Abschottung. Die EU jagt Schleuser und CDU-Politiker sehen schon höhere Weihen für Merkel.
Berlin - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) geht in der Flüchtlingskrise in die Offensive. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) soll künftig als Gesamtkoordinator die auf verschiedene Ministerien verteilten Aufgaben bündeln und besser als bisher koordinieren. Das geht aus einer Vorlage hervor, die am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden soll und der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Dienstag vorlag. Zugleich will CSU-Chef Horst Seehofer mit Kommunalpolitikern über die Flüchtlingskrise diskutieren und sich dabei Rückendeckung für seinen restriktiven Kurs auch gegenüber Merkel holen. Der EU-Militäreinsatz gegen Schleuser im Mittelmeer geht unterdessen in die Phase II. Und aus der Union werden Rufe nach dem Friedensnobelpreis für Merkel laut.
Während "Spiegel Online" von einer "Ohrfeige" für Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach und die Grünen von dessen "Entmachtung" sprachen, hieß es in Regierungskreisen, es gehe nicht darum, den Minister zu schwächen, sondern darum, dessen Ministerium auch personell zu stärken und zu entlasten. Außerdem gebe es Dinge, die das Innenressort gar nicht alleine entscheiden könne. Die Verantwortlichkeiten der übrigen Ministerien sollten verstärkt werden. In den vergangenen Wochen hatten Kritiker de Maizière Überforderung und ein oft zu zögerliches und zu spätes Vorgehen vorgehalten. Zudem fehle ein schlüssiges Gesamtkonzept.
Eigener Stab "Flüchtlingspolitik"
Ständiger Vertreter Altmaiers als Flüchtlingskoordinator soll der im Kanzleramt für die Bund-Länder-Koordinierung zuständige Staatsminister Helge Braun (CDU) werden. Zur Unterstützung werde im Kanzleramt zudem ein eigener Stab "Flüchtlingspolitik" eingerichtet. Bis auf weiteres werde das Kabinett die Flüchtlingslage in jeder Sitzung als ständigen Tagesordnungspunkt behandeln. In der Vorlage heißt es, das Innenministerium bleibe für die "operative Koordinierung fachlicher, organisatorischer, rechtlicher und finanzieller Aspekte der Flüchtlingslage" zuständig.
Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler ging mit der CSU hart ins Gericht. "CSU-Chef Horst Seehofer muss sich fragen lassen, ob ihm (der ungarische Ministerpräsident) Viktor Orban näher ist als die Menschenwürde der Flüchtlinge", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Mittwoch). Ausdrücklich lobte er Merkels Entscheidung, Zehntausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen. "Hätte sie zuschauen sollen, wie diese Leute in Ungarn verrecken?", fragte Geißler: "Angela Merkel hätte den Friedensnobelpreis verdient."
"Die Ehre Europas gerettet"
Auch andere Unionspolitiker wie etwa der Vizechef der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, äußerten sich ähnlich. Merkel habe die Auszeichnung "wie sonst niemand in Europa" verdient, sagte er dem "Handelsblatt". Nach Ansicht von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat Deutschland mit seiner Flüchtlingspolitik "die Ehre Europas gerettet".
Beim EU-Militäreinsatz gegen Schleuser wird es den beteiligten Soldaten nach Angaben der Einsatzführung ab sofort möglich sein, außerhalb der libyschen Küstengewässer fahrende Schiffe von Menschenschmugglerbanden zu stoppen und zu durchsuchen. Mutmaßliche Kriminelle müssen dann mit einer Festnahme rechnen. Bisher war der Militäreinsatz der EU auf das Sammeln von Informationen und die Rettung schiffbrüchiger Flüchtlinge begrenzt.
Nach einem Bericht der "Bild" gab es von Januar bis August 2015 an den EU-Außengrenzen 506 000 unerlaubte Grenzübertritte. Das seien fast doppelt so viele wie im Vorjahr. Im August war es mit 156 000 illegalen Grenzübertritten sogar ein neuer Höchstwert. Das geht aus dem in der Zeitung (Mittwoch) veröffentlichten Lagebericht deutscher Behörden zur Flüchtlingskrise hervor. In dem 16-seitigen der Zeitung vorliegenden Papier heiße es, dass 60 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien kommen, 18 Prozent aus Afghanistan und 5 Prozent aus Pakistan.