Kontroverse um Hauskatzen
Katzenjammer wegen Freigängern
3. Dezember 2019, 11:03 Uhr aktualisiert am 6. Dezember 2019, 10:18 Uhr
Katzen gehören zu den beliebtesten Haustieren überhaupt - nicht nur in Deutschland. Bei Vögeln und anderen Kleintieren sind die herumstreifenden Samtpfoten dagegen gefürchtet. Zwei Professoren aus den Niederlanden sehen in Katzen gar eine Bedrohung für heimische Arten. Sie bringen nun ein Freigang-Verbot ins Spiel - und sehen sich dabei dank EU-Richtlinien im Recht.
Das Gutachten, das seit einigen Tagen im Netz heiß diskutiert wird und über das mehrere Medien berichteten, wurde in der Fachzeitschrift Journal of Environmental Law veröffentlicht und lässt sich auch im Internet nachlesen. Verfasst wurde es von zwei Professoren der Universität Tilburg: Han Somsen, Professor für EU-Recht, und Arie Trouwborst, Experte für Umweltrecht. Die beiden Juristen gehen in ihrem Aufsatz hart mit Hauskatzen ins Gericht: Demnach seien weltweit fast 370 Tierarten durch die Samtpfoten bedroht. Sie sprechen von einer "signifikanten, aber vernachlässigten Bedrohung für die Tierwelt".
Katzen an die Leine?
Ihr Lösungsvorschlag: Ein Freigang-Verbot für Hauskatzen. Sie argumentieren dabei unter anderem, dass auch alle anderen Haustierarten nicht ohne Besitzer ins Freie dürften. Die Sonderstellung der Katze sei deswegen nicht nachvollziehbar. Somsen und Trouwborst sehen in den Streifzügen außerdem Verstöße gegen mehrere EU-Richtlinien. Angeführt werden etwa die Vogelschutzrichtlinie sowie die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Die beiden Juristen sind sich sicher, dass eine Klage auf Einhaltung der europäischen Regeln gute Erfolgschancen hätte.
Doch ist die Gefahr durch Katzen für die Artenvielfalt wirklich so groß, dass sie solch drastische Maßnahmen rechtfertigen würde? In Deutschland kursieren Schätzungen, wonach jährlich etwa 200 Millionen Vögel von Katzen getötet werden. Lars Lachmann, Vogelexperte beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), hält diese Zahl jedoch für zu hoch gegriffen. "Ausgehend von nach der Brutzeit etwas mehr als 400 Millionen Vogelindividuen in Deutschland müsste dann jeder zweite Vogel von Katzen getötet werden", sagt er. Allerdings sei es ohnehin müßig, über die absoluten Zahlen zu diskutieren, da man von einer gewissen Anzahl getöteter Tiere allein noch nicht direkt auf eine Bestandsgefährdung schließen könne. Dafür müsse man ein Populationsmodell entwickeln, das auch Bestandszahlen, Reproduktionsraten und andere Todesursachen mit einschließe.
Sonja Dölfel, Pressereferentin vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV), weiß ebenfalls um die Gefahr für Vögel und Kleintiere, die von Hauskatzen ausgeht. Dölfel sieht deshalb vor allem Katzenhalter in der Pflicht: Der Mensch müsse verantwortungsvoll mit Hauskatzen umgehen. So könne der Einfluss der Katzen auf die Natur deutlich reduziert werden. Ihr Vorschlag: Die Tiere sollen vor allem während der Brutzeit von Vögeln im Haus gelassen werden. Zwischen April und Juni werden immer wieder Jungvögel flügge. In dieser Zeit empfiehlt der LBV die Katzen morgens und abends oder gleich den ganzen Tag über im Haus zu lassen.
Glöckchen um den Hals
Geht es für die Stubentiger dennoch nach draußen, sollten die Tiere am besten ein Glöckchen um den Hals tragen. Das verhindert, dass sich die Tiere lautlos anschleichen können. "Laut mehreren Studien konnte so die Zahl der erbeuteten Vögel um etwa 30 bis zu 50 Prozent reduziert werden", sagt Dölfel. Besitzer sollten sich zudem mehr mit ihren Hauskatzen beschäftigen. Das befriedige den Spiel- und Jagdtrieb der Katzen. "Freigänger-Katzen sind trotzdem nicht zum Kuscheln da", sagt Dölfl. Der Mensch habe die Katzen domestiziert und ihnen dieses Image aufgedrückt. Letztlich bleiben die Tiere aber Räuber.
Auch Lars Lachmann findet, dass das "Kuschel-Image" der Katzen fehl am Platz ist: "In manchen Ländern, vor allem auf Inseln wie zum Beispiel Neuseeland, wo die Tierwelt keine Landraubtiere kennt, sind vom Menschen eingeführte Katzen definitiv der sichere Tod für viele, zum Teil flugunfähige Vogelarten." In Deutschland sei die Situation allerdings eine andere, weil es hier schon immer Landraubtiere, darunter auch Wildkatzen, gegeben habe. "Flugunfähige Vogelarten gibt es bei uns nicht, und daher werden Katzen bei uns wohl keine Vogelart jemals vollständig ausrotten", sagt Lachmann.
Handlungsbedarf sieht er trotzdem - allerdings nicht bei Stubentigern oder Freigänger-Katzen: "Das größte Problem für die Vögel stellen verwilderte Hauskatzen dar. Sie sind gezwungen, ihren Nahrungsbedarf außer über menschliche Abfälle praktisch komplett durch die Jagd auf Kleintiere zu decken. Wenn es gelänge, die Bestände verwilderter Hauskatzen zu reduzieren, hätte man das Problem sicherlich auf ein erträgliches Maß verringert." Hier könne eine Kennzeichnungs- und Kastrationspflicht für Hauskatzen mit Freigang helfen.
"Dies würde dazu führen, dass der Bestand verwilderter Katzen in kurzer Zeit deutlich abnehmen würde, und es gäbe auch keinen 'Nachschub' mehr durch Freigänger, die mit den verwilderten Katzen Nachkommen zeugen", ist Lachmann überzeugt. Sonja Dölfel geht sogar noch etwas weiter. Sie fordert: "Auch verwilderte Hauskatzen sollten aufgefangen und kastriert werden."