Kultur
Lust auf Superlative
27. Februar 2023, 17:07 Uhr aktualisiert am 27. Februar 2023, 17:07 Uhr
Alle verrauschten Piraten-Mitschnitte ihrer Auftritte wurden inzwischen mehrfach digital gereinigt und neu veröffentlicht, die offiziellen Aufnahmen sowieso. Man kann sie digital hören und auf Vinyl. Die Meisterkurse von Maria Callas an der Juilliard School in New York gibt es als CD und als Theaterstück von Terrence McNally und wer wissen will, was sie jungen Sängern wirklich auf den Weg gegeben hat, kann es in einem Buch von John Ardoin nachlesen. Dieser Kritiker hat auf Englisch alle offiziellen und inoffiziellen Aufnahmen der Sängerin analysiert, Jürgen Kesting hat das gleiche auf Deutsch unternommen und alles wissenswert Biografische hinzugefügt. Auch sonst herrscht an Lebensbeschreibungen, Filmdokus und Bildbänden kein Mangel, selbst das Klatschbedürfnis wird vom Buchmarkt aktuell und antiquarisch ausreichend bedient.
Wozu also eine Neuerscheinung über Maria Callas? Auch Eva Gesine Baur hat sich vor dem 100. Geburtstag der größten Opernsängerin des 20. Jahrhunderts diese Frage gestellt. Ihre neue Biografie setzt mit diesem Selbstzweifel ein. "Aber auf einmal stand da eine neue Frage", schreibt die in München lebende Kunsthistorikerin und Schriftstellerin. "Kann es sein, dass Triumph und Tragik der Maria Callas denselben Ursprung haben - den unlösbaren Konflikt in ihr?"
Baur wählt, um sich der Callas zu nähern, einen psychologischen Zugriff. Zwei Herzen wohnen ihrer Ansicht nach in der Brust der Sängerin: Maria und "die Callas". Als Arbeitshypothese mag das angehen. Aber es hat den Nachteil, dass die Autorin auf der Suche nach Maria mit zweifelhaften Selbstzeugnissen, Interviews, Hörensagen und bereits oft erzählten Gerede arbeiten muss. Und letztendlich bleibt Maria eine undurchdringliche Black Box.
Marina Abramovic hat in ihrer 2021 in München gezeigten Opern-Performance "7 Deaths of Maria Callas" einen durchaus verwandten Weg gewählt und die einsam sterbende Künstlerin mit ihren Opernrollen zusammengebracht. Aber das war eine offene, ästhetische und spielerische Auseinandersetzung, keine 500-seitige Biografie, die sich fast ausschließlich mit Maria beschäftigt, ohne groß auf die Callas einzugehen.
Die ersten Kapitel von Baurs Buch sind gelungen. Die Autorin macht sich - anders als frühere Biografen und Biografinnen - keine Illusionen über die verbrecherische Natur der deutschen Besatzung Griechenlands. Die Anfänge der in New York geborenen und zwischen 1937 und 1945 in Athen lebenden Sängerin wurden davon momentweise berührt: durch frühe Auftritte vor Soldaten und die von den Deutschen angeordnete griechische Erstaufführung von Beethovens "Fidelio" im Theater des Herodes Atticus mit Maria Callas als Leonore.
Die Aufführung inszenierte der von Clemens Krauss aus der Bayerischen Staatsoper hinausintrigierte Nazi Oskar Walleck. Beim Debüt der Callas als "Tosca" führte Renato Mordo Regie - ein wegen seiner Experimente am Darmstädter Opernhaus der 1920er Jahre nicht unwichtiger Regisseur, der vor der nationalsozialischen Judenverfolgung nach Griechenland geflüchtet war.
Danach berichtet Baurs Biografie vom Üblichen: der Rückkehr in die USA, sensationellen Erfolgen in Italien, der kurzen Weltkarriere, der seltsamen Ehe mit dem viel älteren Giovanni Battista Meneghini, dem frühen Verblassen der Karriere, der unglücklichen Beziehung zu Aristoteles Onassis und dem einsamen Tod im Alter von erst 53 Jahren in einer Pariser Wohnung.
Die Autorin ergreift dabei etwas einseitig Partei für Maria Callas. Intendanten sind in der Regel intrigante Pfennigfuchser, die den künstlerischen Visionen der Sängerin nicht gewachsen sind und sie mit Auftritten in Repertoirevorstellungen demütigen, statt glamouröse Neuinszenierungen herauszubringen. Das mag teilweise zutreffen. Aber mit dem Opernbetrieb der 1950er Jahre wirkt die Autorin wenig vertraut, Einordnungen und Vergleiche nimmt sie nicht vor.
Letztendlich interessiert sie sich auch nicht dafür. Denn zentrale künstlerische Partner der Callas wie Tito Gobbi bleiben Nebenfiguren. Nur der Tenor Giuseppe di Stefano spielt eine größere Rolle, weil er auf der peinlichen Abschiedstournee womöglich eine sexuelle Beziehung mit der Sängerin unterhielt.
Gegen Ende beschreibt Baur in einer hellsichtigen Passage ihres Buchs, warum die Callas letztendlich kein Objekt für eine reine Lebensbeschreibung darstellt: Sie war keine Repräsentantin ihrer Zeit. Die großen gesellschaftlichen Debatten fanden ohne sie statt, die Callas lebte nur für ihre Kunst, über die sie wenig reflektierte und zu der die Autorin leider auch kaum etwas zu sagen hat. In einer maximal politischen Zeit interessierte sie sich überhaupt nicht für Politik. Zentrale Ereignisse ihrer Zeit wie die Pariser Studentenunruhen von 1968 oder die Frauenemanzipation ließen sie unberührt. Gelesen hat sie anscheinend nur "Reader's Digest", keine Bücher.
Das verwandelt die Biografie der Callas in eine Auftrittsliste mit Flugplan, wobei die Autorin dem Bühnengeschehen das geringste Interesse beimisst. An chronologisch passender Stelle gibt es Zitate aus den zentralen Essays von Ingeborg Bachmann und René Leibowitz, doch schon nach einer halben Seite eilt die Autorin der Callas mit den Paparazzi zur nächsten Party hinterher.
Baur hat - das ergibt das Literaturverzeichnis - viel recherchiert und gelesen. Aber sie verzichtet auf Hintergründe und Einordnungen. Wer die Klatschreporterin Elsa Maxwell wirklich war und wie Onassis sein Geld verdiente, muss man im Internet nachschlagen. Der Leser wird durchwegs mit Namedropping abgespeist.
Baur hat keine These zum frühen Karriereende der Callas. Ihre Anfangs-Idee, das Leben als griechische Tragödie zu erzählen, versackt in den Fußnoten. Der innere Konflikt zwischen Maria und der Callas bleibt eine Spekulation, bei der sich die Autorin eine allzu distanzlose Nähe zum Objekt ihrer Beschreibung erlaubt.
Halbseiden wirken die reißerischen Kapitel-Untertitel wie "Karajan spielt Dompteur, Callas verklagt den Neffen des Papstes und versetzt Chicago in Raserei". Baurs Lust an Superlativen führt zu Flüchtigkeitsfehlern. Dass seinerzeit in Deutschland "kaum jemand" Gaetano Donizettis Repertoirewerk "Lucia di Lammermoor" kannte, darf bezweifelt werden. Und das Rias-Symphonieorchester hatte die Noten dieser Oper 1955 keineswegs "zum ersten Mal auf den Pulten liegen": Zwei Jahre zuvor spielten die Musiker eine Aufnahme unter Ferenc Fricsay ein, die bis heute hohes Ansehen genießt.
Klatsch über eine Fehlgeburt füllen fast ein ganzes Kapitel, über die Medea oder die Lucia der Callas erfährt man wenig. Dass die ausgewiesene Musikschriftstellerin Eva-Gesine Baur so wenig über Musik zu sagen hat, bleibt verwunderlich. Mehrfach ist von den Rezitativen dieser Oper Cherubinis die Rede: Die stammen nur leider nicht vom Komponisten selbst, sondern von Franz Lachner.
Die Callas weihte, um Puccinis Arie "Vissi d'arte" aus "Tosca" zu zitieren, ihr Leben der Kunst. Sie spricht zu uns aus ihren Aufnahmen: der "Tosca" unter Victor de Sabata", in ihrer Lady in "Macbeth" mit dem gleichen Dirigenten oder der noch immer unterschätzen späten "Carmen", die Georges Pretre dirigierte. Mutige leihen ihr Ohr der sensationellen Kundry in einem italienischen Radio-"Parsifal". Sie werden daraus mehr über die Callas erfahren wie aus diesem Buch.
Eva Gesine Baur: "Maria Callas: Die Stimme der Leidenschaft" (C.H. Beck, 507 S., 29,90 Euro). Die Autorin stellt ihr Buch am 16. März im Literaturhaus vor. Infos und Karten unter www.literaturhaus-muenchen.de