Kultur

Dance Macabre auf dem Vulkan

Serge Dorny über die kommende Spielzeit der Bayerischen Staatsoper


Serge Dorny (links) mit Vladimir Jurowski, dem Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper bei der Vorstellung der neuen Saison im Nationaltheater.

Serge Dorny (links) mit Vladimir Jurowski, dem Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper bei der Vorstellung der neuen Saison im Nationaltheater.

Von Robert Braunmüller

Am Samstag haben Serge Dorny und Vladimir Jurowski die Premieren ihrer dritten Spielzeit an der Bayerischen Staatsoper bekannt gegeben. Wie zuvor verbindet der Spielplan Neuinszenierungen von Repertoirewerken mit Münchner Erstaufführungen von Werken des 20. Jahrhunderts.

AZ: Herr Dorny, Sie haben 2022 die Premiere der Oper "Koma" von Georg Friedrich Haas mit Teodor Currentzis auf 2024 verschoben. Warum fehlt jetzt diese Premiere in Ihrem neuen Spielplan?

SERGE DORNY: Für Vladimir Jurowski und mich ist zeitgenössische Oper zentral. Wir bringen György Ligetis "Le Grand Macabre". Außerdem war die Uraufführung der neuen Oper von Brett Dean geplant, die leider verschoben werden muss, wegen einer Erkrankung des Komponisten. Stattdessen bringen wir "Die Passagierin" von Mieczyslaw Weinberg auf die Bühne des Nationaltheaters.

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Serge Dorny (links) mit dem Ballettdirektor Laurent Hilaire.

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Serge Dorny (links) mit Vladimir Jurowski, dem Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper bei der Vorstellung der neuen Saison im Nationaltheater.

Gut, dann warten wir weiter. Die Oper "Koma" wäre Teil des jährlichen "Ja Mai"-Festivals" gewesen, das mir ein zentraler Aspekt Ihrer Intendanz schien. Auch dieses Festival wird es in der kommenden Saison nicht geben.

Die Zeiten haben sich geändert. Die steigenden Kosten bei Energie, Rohstoffen und personellen Aushilfen zwingen uns zur Vorsicht. Deshalb findet das Festival "Ja Mai" nur noch alle zwei Jahre statt, um eine Konkurrenz zur städtischen Musiktheater-Biennale zu vermeiden. In Spielzeiten ohne "Ja Mai- Festival werden wir eine Uraufführung ansetzen. 2026 wird das die neue Oper von Brett Dean sein.

Was reizt Sie an Ligetis "Le Grand Macabre"?

Es ist wie die "Fledermaus", die wir in diesem Dezember herausbringen, ein Dance macabre, ein Tanz auf einem Vulkan. Als apokalyptisches Werk ist "Le Grand Macabre" heute aktueller als 1978, dem Jahr der Uraufführung. Kent Nagano wird dafür an die Bayerische Staatsoper zurückkehren.

Das Werk ist nicht frei von Altherrenhumor, der mir in der deutschen Version fast unerträglich scheint.

Ich verstehe, was Sie meinen, aber wir haben das noch nicht abschließend entschieden. Krszytof Warlikowski inszeniert gerade den "Hamlet" von Ambroise Thomas in Paris, nach der Premiere hat er sechs Wochen, sich für die deutsche oder die englische Version zu entscheiden.

Barrie Kosky hat mehrfach erklärt, die "Fledermaus" interessiere ihn nicht. Wie haben Sie ihn überzeugt?

Das war ein sehr einfaches Gespräch. Ich habe ihm die Operette angeboten, er hat ja gesagt.

In der Liste der Besetzung fehlt der Frosch.

Das stimmt. Im Zentrum steht das Fest beim Fürsten Orlowsky im zweiten Akt. Und Tanz wird eine wichtige Rolle in der Aufführung spielen. Mit Diana Damrau und Georg Nigl haben wir auch eine sehr gute Besetzung. Und zusammen mit Tschaikowskys "Pique Dame" und den neuen anderen Werken der Spielzeit eröffnet diese Operette sehr diverse Blicke in die abgründigen Brunnen der menschlichen Existenz.

Drei der sieben Premieren gehören dem Kernrepertoire: "Le nozze di Figaro", "Tosca" und "Pelléas et Mélisande". Alle drei gab's auch schon neu im vergangenen Jahrzehnt. Warum dreht sich das Rad der Neuinszenierungen bei diesen Stücken immer schneller? Und auch Tschaikowsky hat nicht nur zwei Opern komponiert.

Nicht alle Zuschauer besuchen das Haus schon so lange wie Sie und erinnern sich noch an die letzte "Pique Dame". Ich vermisse vor allem Opern der slawischen Musikkultur im Repertoire. Wir werden daher sicher bald eine Oper von Rimsky-Korsakow herausbringen.

Sicher ist die derzeitige "Tosca" nicht gut. Wird die neue besser?

Auch großartige Dirigenten und Regisseure haben nicht nur großartige Vorstellungen. Gerade deshalb sind sie ja genial: Wer nur Großartiges abliefert, ist tatsächlich mittelmäßig. Eine zentrale Frage des Repertoires ist die Spielfähigkeit. Ich schätze Christoph Loys "Le nozze di Figaro", aber es ist eine sehr komplexe Aufführung, die schwierig aufzubauen ist und viel Lagerkapazität bindet. Opern von Mozart müssen jederzeit spielfähig sein.

Nach seinem "Lohengrin" wage ich leise Zweifel an der Repertoirefähigkeit einer "Tosca" von Kornél Mundruczó.

Mal sehen. Die Präsentation des Modells war noch nicht, eine Bauprobe gab es bisher auch noch nicht. Wir sind in engem Austausch mit ihm. "Tosca" muss jederzeit spielfähig sein: Diese Oper steht als Kernrepertoire Jahre auf dem Spielplan, "Butterfly" ebenfalls.

Bei dieser Oper ist seit Jahren eine Neuinszenierung überfällig.

Kommt vielleicht demnächst. Aber auch die anderen Farben sind wichtig. Ein wichtiger Aspekt sind dabei Gespräche mit Künstlern. Christian Gerhaher wollte den Golaud in "Pelleás et Melisande" singen.

Der letzte "Pelléas" kam 2015 ebenfalls im Prinzregententheater heraus und verschwand ganz schnell wieder.

Wir werden die Oper auf jeden Fall nach den Festspielen ins Nationaltheater übernehmen.

Bei "Tosca" überrascht die Entscheidung für Jonas Kaufmann und Anja Harteros: Die Besetzung kommt mir bekannt vor.

Stimmt. Jonas Kaufmann singt bei den Opernfestspielen, Charles Castronovo singt die erste Serie. Ludovic Tezier singt den Scarpia. Ganz generell versuche ich durch Regisseure wie Warlikowski und Dirigenten wie Kent Nagano auf Kontinuität zu setzen und andererseits in München noch nicht bekannte Künstler wie Aziz Shokhakimov vorzustellen, der "Pique Dame" musikalisch leiten wird.

Ich dachte, dass in der kommenden Saison Tobias Kratzer mit dem neuen "Ring des Nibelungen" beginnt.

Das "Rheingold" wird die neue Spielzeit im Herbst 2024 eröffnen, dann folgt jährlich ein weiterer Teil der Tetralogie. Kratzer hat vor langer Zeit hier eine Produktion des Opernstudios inszeniert, ich wollte ihn trotzdem vor dem "Ring" mit einer anderen Neuproduktion vorstellen. Mieczyslaw Weinbergs "Die Passagierin" entstand 1968 und sollte am Moskauer Bolschoi-Theater uraufgeführt werden, wurde aber erst 2021 szenisch in Bregenz gespielt. Die Oper erzählt von einer KZ-Aufseherin, die bei einer Schiffsreise eines ihre Opfer zu erkennen glaubt.

Daniele Rustioni war als Erster Gastdirigent angekündigt. Warum dirigiert er keine Premiere?

Das hat mit Terminschwierigkeiten zu tun. Er bleibt Erster Gastdirigent, in der übernächsten Saison wird er wieder eine Neuproduktion dirigieren - mit Jonas Kaufmann.

Es gibt wieder ein Ensemble mit der Sopranistin Elsa Dreisig als Mitglied.

Die Bayerische Staatsoper hat eine große Tradition als Ensembletheater. Wir waren zuletzt sehr abhängig von Gastsängern. Ensemblemitglieder wie Ulrich Reß, Kevin Conners oder Christian Rieger übernahmen zusammen mit dem Opernstudio die Comprimario-Rollen. Die Corona-Zeit hat die Grenzen des Gastsängersystems aufgezeigt. Ich halte ein Ensemble und Künstler mit Residenz-Verträgen für die Identität eines Repertoirehauses wichtig.