Kultur

Klassiker in Leichter Sprache

Nele Jahnke inszeniert "Anti-gone" in der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele


Johanna Kappauf als Antigone in Nele Jahnkes Inszenierung in der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele.

Johanna Kappauf als Antigone in Nele Jahnkes Inszenierung in der Therese-Giehse-Halle der Kammerspiele.

Von Michael Stadler

Ein Würfel aus Ton gehört zu den Requisiten dieses Abends. Nah zum Publikum wird er kurz nach Beginn auf ein Podest in der Therese-Giehse-Halle gestellt, unter ihm eine Drehscheibe. Er kann geknetet und gedreht werden, etwas entsteht, je nachdem, welche Form die oder der Schöpfende im Sinn hat. Am Ende wird der Ton auseinandergepflückt, die Fetzen fallen zu Boden, was ein anschauliches Bild ist: Auf die Kreation folgt die Zerstörung. Was flexibel formbar ist, kann am Ende völlig aufgelöst werden, wodurch sich aber die Chance eines Neuanfangs eröffnet.


Von gegensätzlichen Ansichten handelt "Antigone" von Sophokles. Die Gedanken werden, natürlich, in Sätzen geformt und damit (hoffentlich) zur Klarheit gebracht. "Was ist wichtiger: Freundschaft oder Vaterland?", fasst Johanna Eiworth als Herrscher Kreon seinen inneren Konflikt in einer Frage zusammen. Nachdem seine Vorgänger, die Brüder Polyneikes und Eteokles, sich gegenseitig bekämpft und getötet haben, ist Kreon wieder auf den Thron Thebens gerutscht. Und beschließt, Eteokles zu begraben, während er Polyneikes' Bestattung verbietet, weil der sich gegen sein Vaterland wendete.

sized

"Anti-gone" in den Kammerspielen.

sized

"Anti-gone" in den Kammerspielen

Also: Freundschaft oder Vaterland? Familiäre Verbundenheit oder Staatsräson? Die zentralen Konflikte lassen sich leicht auf einen Nenner bringen und sind doch in ihren emotionalen wie politischen Facetten verdammt komplex.

Dass die Kammerspiele den Klassiker nun erstmals in "Leichter Sprache" aufführen, unter dem worttrennenden Titel "Anti-gone", erweist sich dabei nicht als billige Vereinfachung, sondern Erleichterung. Denn so schön antiquiert die Sprache von Sophokles heute klingen mag, fordert sie doch von der Zuhörerschaft einiges an Entschlüsselungsarbeit ab. Diese hat Übersetzerin Anna Leichtfuß, nomen est omen, vorab bereits ganz hervorragend geleistet.


Ihre Leichte-Sprache-Version bringt die komplizierten Dinge im aufgerührten Theben wunderbar auf den Punkt. Leichtfuß hat aus dem Tonwürfel "Antigone" eine filigrane Form geknetet. Den schlanken Sätzen hört man nicht weniger gespannt und konzentriert zu, ist aber gleichzeitig entspannt, weil einem das Textverständnis erleichtert wird und das spielende Team unter der sensiblen Regie von Nele Jahnke einem den Gedanken austreibt, dass eine Klassikerinszenierung eine angestrengte Leistungsschau der hochdramatisch vermittelten Emotionen sein muss.

Dass die Kammerspiele unter Intendantin Barbara Mundel gleich mehrere Menschen mit körperlicher und kognitiver Beeinträchtigung im Ensemble integriert haben, führt den Gedanken der Zugänglichkeit des Theaters für alle Bevölkerungsgruppen, vor wie auf der Bühne, schlüssig weiter und bekommt noch mehr Konsequenz, indem auch jedes Ensemblemitglied potentiell in einer Hauptrolle besetzt werden kann.

Wer dennoch seine Zweifel hatte, dass Johanna Kappauf eine passende Titelheldin sei, wird schnell eines Besseren belehrt. Sie ist eine äußerst einnehmende Antigone, aufrecht, würdevoll, in ihrer Diktion klar, in ihrer Darstellung so konzentriert und schnörkellos wie der Text, den sie spielt.

"Manchmal sollte man gar nicht so viel überlegen", sagt Kappaufs Antigone im Disput mit ihrer älteren Schwester Ismene, die sich für die Vernünftigere, weil Bedachtere hält. Sebastian Brandes spielt sie und zeigt zuvor in einer witzigen Einlage, wie zeitaufwändig es sein kann, einen Tisch zu decken. In der überlangen Tischplatte sind vereinzelt Körbe eingelassen, das Tischtusch muss mit seinen Lücken exakt über die Löcher im Tisch - so simpel ist das mit der Passung nicht, weder im Alltag noch in der Politik.


Im Gegensatz zu Kreon fühlt sich Antigone weniger dem Staat als der Familie und dem "Gesetz der Götter" verbunden, weshalb sie ihren Bruder Polyneikes gegen das herrschaftliche Verbot begräbt. Dass sie deswegen mit ihrem Leben bezahlen soll, bringt sie nicht aus der Ruhe. "Ich werde für meine Tat berühmt werden", frohlockt sie und Kappauf lässt ihr Lachen in den Irrsinn ausufern.

Ein gewisser Narzissmus könnte hinter der Heldinnentat stecken; ähnlich zwiespältig motiviert erscheint auch die Antigone, die derzeit Vassilissa Reznikoff im Residenztheater spielt. Durch Beimischung der Antigone-Varianten von Slavoj Žižek fügt die Inszenierung von Mateja Koležnik dem ursprünglichen Stoff einige Bedeutungs- und parallele Zeitebenen hinzu, wirkt aber letztlich sprachlich ebenfalls entschlackt.


Wer die Unterschiede in der programmatischen Ausrichtung von Kammerspielen und Staatsschauspiel erleben möchte, sollte sich also beide "Antigone"-Inszenierungen ansehen. Es lohnt sich in beiden Fällen. Wobei die größere Leichtigkeit im Umgang mit der Tragödie in der Therese-Giehse-Halle erreicht wird.

Man muss nur sehen, wie lässig Frangiskos Kakoulakis seine Rollen spielt - er verkörpert den Seher Teiresias und übernahm bei der Premiere für den kurzfristig erkrankten Dennis Fell-Hernandez zudem die Rolle des Chorführers -, um zu verstehen, dass man dem Schicksal am besten mit Groove begegnet. "Live is Life" von Opus und "What is Love" von Haddaway gehören zum Soundtrack des Abends, womit ganz einfach gesagt wird, was andere zwischen den Zeilen verstecken.

Es findet unweigerlich ein Generationswechsel statt, im Theater, in der Politik, man kann es ja nur begrüßen. Am überlangen Verhandlungstisch macht sich die Distanz zwischen den Generationen bemerkbar: Johanna Eiworth als Kreon fordert von ihrem Sohn Haimon Gehorsam ein, doch der, gespielt von Nancy Mensah-Offei, ahmt Machtgesten des Vaters heiter nach und fühlt sich vielmehr dem Volk verbunden.

Da kommt etwas in Bewegung, auch wenn zuletzt die Tragödie ihren tödlichen Lauf nimmt. In den Videos auf der Leinwand regnet Sand auf die Köpfe der einzelnen Figuren herab oder wird vom Winde verweht; zuletzt schweben Seifenblasen, Träumen und Ideen gleich, von oben auf das Publikum. Die Blasen sind mit Rauch gefüllt, zerplatzen an den Köpfen. Mal sehen, was sich durch die Schädeldecken übertragen hat.

Therese-Giehse-Halle, wieder am 20. Februar und Samstag, 25.2., 19.30 Uhr; Karten unter Telefon 233 966 00