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"Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin"
28. Dezember 2009, 16:22 Uhr aktualisiert am 28. Dezember 2009, 16:22 Uhr
Unter der Überschrift "Für eine leistungsstarke und moderne Bundeswehr" findet man eine Reihe von Vorhaben und Absichtserklärungen im aktuellen Koalitionsvertrag. So steht auf Seite 124: "Die Koalitionsparteien halten im Grundsatz an der allgemeinen Wehrpflicht fest mit dem Ziel, die Wehrdienstzeit bis zum 1. Januar 2011 auf sechs Monate zu reduzieren." Da der Zivildienst fest an den Wehrdienst gekoppelt ist, entscheidet sich auch dessen Zukunft mit dem Fortbestehen der Wehrpflicht. Doch wie wirkt sich die Verkürzung der Wehrdienstzeit auf die Bundeswehr und den sozialen Bereich aus? Kann die Bundeswehr, an die Rekruten, in sechs Monaten genau so viel an Inhalten vermitteln wie in neun Monaten? Höchste Zeit um sich über die aktuelle Lage ein Bild zu machen.
Christian Fertl sprach mit Verantwortlichen vom Deutschen Bundeswehrverband (DBWV), dem Landshuter Kommunalunternehmen für medizinische Versorgung (La.KUMed) und der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer (KDV).
Bundeswehrverband
Der Bundeswehr Verband vertritt die Interessen von mehr als 200.000 Mitgliedern - Wehrpflichtige, aktive und ehemalige Soldaten aller Dienstgrad- und Statusgruppen sowie Familienangehörige und Hinterbliebene von Soldaten. Der Bundesvorsitzende Oberst Ulrich Kirsch äußerte sich überraschend offen über die Verkürzung der Wehrdienstzeit. Auf die Frage ob denn sechs Monate Wehrdienst auch ausreichen, bekam ich eine ehrliche Antwort: "Grundsätzlich sehe ich es als gut an, da damit die Wehrform der allgemeinen Wehrpflicht gerettet wird. Die Wehrpflichtigen braucht die Bundeswehr um einen großen Teil des Nachwuchses der Streitkräfte zu gewinnen. Allerdings warnte Kirsch davor, dass die Verkürzung kein "Einstieg in den Ausstieg" sein darf.
"Der Gedanke der Wehrgerechtigkeit darf nicht aus dem Auge verloren werden. Um die Wehrdienstzeit für die jungen Männer und die Bundeswehr optimal zu nutzen, muss sie attraktiv gestaltet werden. Es wird sicher nicht ausreichen, vom jetzigen neunmonatigen Wehrdienst einfach drei Monate herauszustreichen und so weiterzumachen wie bisher. Wir müssen sehen was wir in sechs Monaten erreichen können und zu welchem Zwecke wir die jeweiligen Grundwehrdienstleistenden ausbilden. Danach muss sich dann zukünftig der Inhalt des Grundwehrdienstes richten. Im Grunde genommen darf sich Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht nach Kassenlage richten." Der DBWV werde die Bundesregierung fragen, wie sie sich die Umsetzung vorstelle und "wie denn die sicherheitspolitische Begründung für die Wehrpflicht künftig ausschauen soll. Es könne immer nur um den Schutz Deutschlands und seiner Bürger gehen", so der Oberst. "Hier seien in der Vergangenheit viele Schulaufgaben nicht gemacht worden und die müssen dringend nachgeholt werden", so Oberst Kirsch abschließend.
Das La.KUMed
Die Zivis sind aus dem Alltag von Altersheimen, Rettungsdiensten, Krankenhäusern und der Behindertenpflege gar nicht mehr wegzudenken. Wenn jetzt viele soziale Einrichtungen die geplante Verkürzung von Wehr- und damit auch Zivildienst beklagen, ist dies das größte Lob, dass sie den Zivis aussprechen können.
Viele attraktive Zivildienstplätze bietet das Landshuter Kommunalunternehmen für medizinische Versorgung- kurz La.KUMed. Insgesamt ANZAHL Zivildienstleistende sind an den Krankenhaustandorten Landshut-Achdorf, Vilsbiburg und Rottenburg für die bestmögliche Betreuung und Versorgung der Patienten im Einsatz. Im Krankenhausverbund des La.KUMed befürchtet man, dass eine Verkürzung des Wehrdienstes auch die Verkürzung des Zivildienstes nach sich zieht.
"Der Dienst der jungen Männer erfährt eine hohe Anerkennung in unseren Krankenhäusern. Sie prägen und steigern die Qualität ganz erheblich mit. Ein Leben ohne Zivildienstleistende kann sich unser Krankenhaus nicht vorstellen. Wir wären natürlich von einer Zivildienstzeitverkürzung stark betroffen" so Pflegedienstleiterin Ulrike Anzinger.
Gerade in den Bereichen der Pflege müssen die Zivildienstleistenden intensiv eingearbeitet werden damit der Klinikalltag reibungslos verläuft.
"Da wäre eine weitere Verkürzung sehr problematisch, weil das Verhältnis von Einarbeitung und Ausbildung zur restlichen Zeit, die sie in unseren Einrichtungen verbringen, immer schlechter würde. Mit der verkürzten Wehrpflicht verkommt der Zivildienst zum Praktikum." Die Zivildienstleistenden würden einen guten Job machen. Jede helfende Hand ist uns wichtig.
Zivildienst kommt obendrauf zu den Beschäftigten. Er ersetzt nicht, die professionelle Arbeit von Pflegern, Erziehern und Schwestern. Generell reicht bei uns die reguläre Beschäftigungsdichte aus, um unsere professionelle Arbeit zu meistern. Den Zivildienst sehen wir aber als Sahnehaube über dem Ganzen.
Aufgabengebiet:
Mithilfe bei der Patientenaufnahme und -entlassung, Interne Patientenverlegung, Begleitung der Patienten zu Untersuchungen wie Röntgen, Endoskopie, EKG, Verteilen von Mahlzeiten, Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, einfache Pflegetätigkeiten, Mithilfe bei der Behandlungspflege, Krankenbeobachtung und Information, Kurierdienste.
KDV - Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer
Meine Fragen richtete ich auch an den Geschäftsführer der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer - kurz KDV, Herrn Peter Tobiassen.
Die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer tritt in Deutschland für eine Gleichstellung von Zivildienstleistenden gegenüber Wehrdienstwilligen ein.
"Zum Wehrdienst wird nur noch jeder Zweite einberufen!" Die Hälfte aller Tauglichen muss also keinen Wehrdienst mehr leisten! Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Nur rund 13 Prozent eines Jahrgangs werden eingezogen, viele werden gar nicht beachtet und rutschen durch ein Raster. Die Bundeswehr spart also auch an Wehrpflichtigen. Zum Zivildienst sollen aber alle Kriegsdienstverweigerer einberufen werden. Hier soll jeder dienen - ist das gerecht!" so Peter Tobiassen. Wenn es nach dem KDV geht, so soll in Deutschland niemand zum Dienst an der Waffe gezwungen werden. Im Interview schilderte mir Herr Tobiassen, dass der KDV bei den Koalitionsverhandlungen darauf hoffte, dass die Wehrpflicht ganz ausgesetzt wird. Seiner Meinung nach könne diese in Deutschland nicht mehr verfassungsgemäß umgesetzt werden, da die Bundeswehr von den über 400000 Wehrpflichtigen eines Jahrgangs nur noch sechzigtausend einberufen kann. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit, die in Artikel drei des Grundgesetzes für jeden Bürger verankert ist? fragte mich Herr Tobiassen. "Wenn Deutschland schon eine Armee braucht, dann wäre doch eine Freiwilligen Armee mit möglichst vielen Zeitsoldaten, die nicht ihr Leben lang sondern nur für kürzere Dienstzeiten der Bundesrepublik dienen angemessener."
Mein Fazit:
Nach meinen ausführlichen Interviews mit den Verbänden und den ganzen Argumenten für oder gegen die Verkürzung der Wehrdienstzeit bleibt mir aktuell folgende Schlussfolgerung: Noch ist die Verkürzung der Wehrzeit und damit auch die der Dienstzeit des Zivildienstes nur eine politische Absichtserklärung. Wie im Enddefekt die Bundesregierung das geplante Vorhaben konkret gestalten will bleibt abzuwarten. Momentan ist es noch viel zu früh, über die weitere Entwicklung der Bundeswehr oder Konsequenzen für die Sozialeinrichtungen zu spekulieren, solange es noch keine weiteren Absichtserklärungen seitens der Bundesregierung gibt.