Gäubodenvolksfest 2012
Dirndl in der Dusche
16. August 2012, 15:53 Uhr aktualisiert am 16. August 2012, 15:53 Uhr
Straubing. Alle zwei Wochen an einem anderen Ort, ein Zuhause auf Rädern und Lebkuchenherzen, Jahrmarktmusik und Volksfestbrezen das ganze Jahr direkt vor der Haustür. So ist das Leben von Vanessa Goetzke. Freistunde erzählt sie, was es bedeutet, als Schausteller groß zu werden. Ihre Familie betreibt in diesem Jahr auf dem Gäubodenvolksfest den "Bierbrunnen" und das Fahrgeschäft "Frisbee".
Riskiert man einen Blick hinter die Kulissen des "Bierbrunnens" am Ost-Eingang des Gäubodenvolksfestes, steht man schon im "Garten" von Familie Goetzke. "Ich wohne hier mit meinen Großeltern über die Volksfestzeit", erzählt Vanessa. Dabei hat die 20-Jährige aber ihren eigenen Wohnwagen. Sechs Meter lang und mit Fernseher, Küche und Klimaanlage ausgestattet ist er Vanessas Zuhause auf Rädern. "Ich liebe es hier. Obwohl mein Bett unbequemer ist, als in einem Haus, schlafe ich hier viel besser", sagt die 20-Jährige. "Am schönsten ist es, wenn man einschlafen will und es regnet."
Vanessa reist schon ihr ganzes Leben mit ihren Eltern von Jahrmarkt zu Jahrmarkt. Auch im Ausland wie beispielsweise in England, Frankreich, der Schweiz oder auch in Holland stellt Familie Goetzke ihre Fahrgeschäfte auf. Verständigen kann sich Vanessa dort überall. Sie spricht Englisch, Französisch und auch etwas Spanisch. Und auch mit dem bayerischen Dialekt hat sie kein Problem. "Ich versteh' eigentlich alle Dialekte in Deutschland. Und wenn nicht, mit Händen und Füßen kommt man auch weiter." Und das muss sie - im Kassenhäuschen genauso wie beim Animieren der Besucher, im Gespräch mit Lieferanten oder bei der Abrechnung.
Durch das Schaustellergewerbe hat die 20-Jährige schon viele Orte und schöne Städte gesehen. "Meine Lieblingsstadt ist auf jeden Fall Zürich", sagt sie. Die Mentalität und die Menschen dort faszinieren sie. Fragt man sie nach Straubing, muss sie schmunzeln. "Die Stadt ist so charmant und hat Charakter. Und: Die Straubinger lieben ihr Gäubodenvolksfest. Das merkt man wirklich." Das sei in anderen Städten wie zum Beispiel in München anders. "In Straubing geht's um die Tradition. Hier liebt man sein Volksfest. Man spürt das Herzblut." Und deswegen kauft Vanessa ihre Dirndl auch nur in Straubing. Sieben Stück hat sie mittlerweile. Sie hängen fein nebeneinander aufgereiht in ihrem Wohnwagen - und zwar in der Dusche. "Woanders hab' ich dafür keinen Platz", sagt sie. Geduscht wird dafür bei der Oma im Wohnwagen.
Beruf: Mediengestalterin
Vanessa wird noch den ganzen Sommer mit ihren Eltern und Großeltern mitreisen. Erst im Oktober beginnt sie als Mediengestalterin in einer Münchner Werbeagentur. Die dreijährige Ausbildung dazu hat sie ebenfalls in München abgeschlossen. In dieser Zeit war sie viel alleine. "Ich habe meine Eltern und das Leben als Schausteller sehr vermisst", erzählt sie. "Immer eine andere Stadt, immer andere Menschen. Ich liebe das." Das normale Leben in München war Vanessa schnell zu langweilig. "Als Schausteller steht man ständig vor Herausforderungen, für die man Lösungen braucht", sagt sie. Und sei es ein Betrunkener, den man nicht ins Fahrgeschäft lässt. "Man lernt, sich durchzusetzen, schon in jungen Jahren."
Die Familie hält zusammen
Aber auch der Zusammenhalt innerhalb ihrer Familie war der Grund für Vanessas Heimweh. "Wir sind auf engstem Raum zusammen, frühstücken gemeinsam, essen zu Mittag und zu Abend und arbeiten zusammen, und das jeden Tag", schwärmt sie schon fast. "So ist das sicher nicht in normalen Familien."
So ist Vanessa auch ihre Schulzeit sehr schwer gefallen. Sie war zehn Jahre lang in einem Internat in Augsburg. Ihre Eltern wollten eine gute Schulbildung für Vanessa. "Geweint habe ich aber sehr viel. Man versteht als Zehnjährige nicht, warum einen Mama am Sonntag absetzt und erst am Freitag wieder holt", erzählt sie. Geholfen hat ihr dabei ihr vier Jahre älterer Bruder Stephan. Er war auch auf dem Internat und kümmerte sich um seine Schwester. "Das tut er heute noch. Genauso wie ich mich um ihn kümmere." Obwohl Vanessa nie lange an einem Ort bleibt, hat sie viele Freunde, auch aus Schaustellerkreisen. Sie leben in Deutschland, aber auch im Ausland. "Ich habe viele Freunde in Bayern, aber auch im Ruhrgebiet." Man lernt sich über den Ort kennen. Mal steht man nebeneinander, mal passt man auf die Kinder der Nachbarn auf. Als Schausteller hält man grundsätzlich zusammen. Da ergeben sich die Freundschaften von selbst. "Und es sind wirklich gute und wahre Freunde", sagt Vanessa.
Und die Liebe? "Mit einem Jungen, der das Schaustellergewerbe nicht kennt, ist das schwieriger. Als Außenstehender kann man nicht verstehen, dass ich viel unterwegs bin und den ganzen Tag arbeite", sagt die 20-Jährige. "Ein Schaustellerjunge aber weiß, dass er mich nur vormittags und nach Mitternacht anrufen kann und dass wir uns nur in der festfreien Zeit sehen können." Derzeit hat Vanessa keinen Freund, findet das aber auch ganz angenehm. " Ich habe mir dafür vor kurzem einen Mann in meinen Wohnwagen geholt", sagt sie schmunzelnd. "Er ist zehn Wochen alt und ziemlich haarig." Die Rede ist von Ludwig, Vanessas Dackel. Auch er gewöhnt sich langsam an das Schaustellerleben. Das sollte er auch, denn irgendwann will Vanessa das Geschäft ihrer Eltern übernehmen. Aber erst möchte sie sich in ihrem Beruf arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. "Aber Schaustellersein ist wie eine Sucht. Irgendwann kommen wir alle wieder zurück."
Von Tanja Pfeffer