Thema Mut

Der Aufsatz – Eine Kurzgeschichte von Stefanie Schambeck

Diese Kurzgeschichte dreht sich um das Thema Mut – bezogen auf das Thema eines Schulaufsatzes.


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Welches Thema soll ich für meinen Aufsatz nehmen? Vor dieser Frage steht die Schülerin in der Kurzgeschichte.

Zuhause, Abendessen

„Mama, was fällt dir zum Thema Mut ein?“

Überlegt. „Für mich bedeutet es, wenn man dem Leben eine neue Richtung gibt. Warum willst du das wissen?“

„Wir sollen einen Aufsatz zu dem Thema schreiben, aber das ist so schwierig, weil es einfach viel gibt, das man hernehmen könnte.“

„Das stimmt“.

Schweigen. Überlegen.

„Rosa Parks war mutig. Oder Mahatma Gandhi.“

„Ja, aber so berühmte Leute nehmen sicher alle.“

Ein Tag später: Schule, Pause

„Welche Themen nehmt ihr eigentlich für euren Aufsatz?“

„Ich werde über einen Sportler schreiben, wie hart es ist, an die Spitze zu kommen.“

„Keine Ahnung, das überlege ich mir einen Tag davor.“

„Ich habe mir die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm ausgesucht. Sie gilt als eine der ersten Feministinnen.“

„Und du?“

Nuschelt. „Ich bin mir noch nicht sicher.“

Zwei Tage später: Zuhause, bei den Hausaufgaben

„Wie kommst du mit deinem Aufsatz voran?“

Murrend. „Schlecht.“

„Was stellst du dir eigentlich vor?“

„Keine Ahnung, etwas, das halt nicht alle nehmen ... so was wie ... eine Disney-Prinzessin. Die ist mutig.“

„Auf jeden Fall ist sie das, wenn man sich einem bösen Biest entgegenstellt oder von einer Meerjungfrau zu einem Menschen wird, um in einer komplett unbekannten Welt mit einem komplett Fremden zu leben.“

„Aber das ist alles erfunden. Es muss was aus dem echten Leben sein ... Jakobs Vater war mutig. Er hat sich selbstständig gemacht und dafür seinen sicheren Job aufgegeben.“

„Von dieser Seite aus betrachtet, ist jeder Einzelne jeden Tag mutig, da es zig Entscheidungen zu treffen gibt.“

„Also dann auch schon, wenn ich zum Beispiel in der Früh zur Schule gehe?“

Lacht. „Genau. Du stellst dich den Aufgaben dort, meldest dich, schreibst Prüfungen, und wenn du eines Tages einen Jungen triffst, der dir gefällt, bist du mutig, indem du ihn in dein Herz aufnimmst.“

Lässt die Worte nachdenklich auf sich wirken. „Mhhh.“

Drei Tage später: Zuhause, nachmittags

„Hast du jetzt schon ein Thema?“

Völlig genervt. „Nein.“

„Wie wäre es, wenn du eine wahre Geschichte behandelst? Aus der eigenen Familie?“

Ironisch. „Ja, ganz toll, weil bei uns ja alle auf den Mount Everest geklettert oder nach China ausgewandert sind.“

„Du Spaßvogel. Nein, ich meine, schreib doch einfach über deine Uroma.“

„Hä?“

„Du weißt doch, dass deine Oma eine Vertriebene war“.

„Ja?“

„Eine Folge des Zweiten Weltkriegs waren ja die vertriebenen Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei. Deine Uroma ist diesen beschwerlichen Weg alleine mit drei Kindern gegangen. Ihr Mann, also dein Urgroßvater, war grausam. Er hat sie oft geschlagen. Eines Tages hat sie allen Mut zusammengenommen und sich von ihm getrennt. Eine unglaublich tapfere Tat in dieser Zeit. Sie musste sich dann in der neuen Umgebung ein Leben aufbauen und hatte drei Kinder zu versorgen.“

„Das muss hart gewesen sein. Oma hat nie darüber gesprochen, oder?“

„Nein. Sie hat dieses Erlebnis nie hinter sich lassen können“.

Überlegt. „Das klingt gar nicht so schlecht. Doch, das passt, das werde ich für meinen Aufsatz nehmen!“

Zehn Tage später: nach dem Musikunterricht, Fahrt nach Hause

„Wir haben heute unseren Aufsatz zurückbekommen!“

Gespannt. „Und?“

Triumphierend. „Eine Eins.“

„Das ist toll!“

„Keiner hat schlechter als eine Drei, aber dem Lehrer hat gut gefallen, dass ich eine wahre geschichtliche Tatsache verwendet habe.“

„Na, siehst du. Wenn man von etwas so gefangen ist, hilft es manchmal, ein wenig Abstand zu nehmen, um sich dann nochmal dranzumachen.“