Interview

Autor Manfred Theisen verrät Tipps für eine gute Kurzgeschichte


Ob du den Erstentwurf mit Kuli oder gleich am Laptop schreibt, ist egal: Das Wichtigste bei einer Kurzgeschichte ist, dass man sie lesen will. Das sagt zumindest unser Wettbewerbspate Manfred Theisen.

Ob du den Erstentwurf mit Kuli oder gleich am Laptop schreibt, ist egal: Das Wichtigste bei einer Kurzgeschichte ist, dass man sie lesen will. Das sagt zumindest unser Wettbewerbspate Manfred Theisen.

Der Jugendbuchautor Manfred Theisen steht für den Literaturwettbewerb "Europa liest sich gut" Pate. Im Interview haben wir ihn gefragt, was eine gute Geschichte ausmacht.

Europa ist ein riesiges Thema. Wie finde ich da überhaupt Ideen für eine Kurzgeschichte?

Manfred Theisen: Indem du nach Europa schaust und feststellst, dass du mitten in Europa bist. Denn du sitzt in der Schule neben Schülern aus Polen, Spanien, Ungarn oder Griechenland, redest mit Mitschülern, die perfekt Portugiesisch sprechen, oder einen bairischen Dialekt haben. Du bist umgeben von europäischen Geschichten, wenn du beim Italiener in der Eisdiele ums Eck sitzt oder dir "Die Mannschaft" bei der WM anschaust, die sich nicht mehr Nationalmannschaft nennt, sondern nur noch "Die Mannschaft" heißt, weil wir Europäer sind. Alles, was um dich herum passiert, ist Europa. Keine Scheu! Jede Geschichte in deiner Umgebung ist eine Geschichte Europas.

Muss eine Geschichte über Europa politisch oder ernst sein?

Natürlich ist es wichtig, dass es ernste Geschichten gibt. Die Welt ist kein Streichelzoo. Kinder und Jugendliche haben oft ein gutes Gespür für Ungerechtigkeit. Wenn der eine in einem goldenen Haus lebt und der andere kaum ein Dach über seinem Kopf hat - Herr Reich und Mister Arm. Vielleicht hat ja Herr Reich in seinem schicken Porsche einen Platten genau vor Mister Arms Hütte. Und so lernen sie sich kennen und tauschen für einen Tag ihr Leben. Das kann man ernst oder witzig schreiben. Obwohl es ein sehr ernstes Thema ist. Große Politik findet überall statt, selbst im Kühlschrank, wenn sich die spanische Tomate mit der deutschen Gurke streitet oder beide über den polnischen Kopfsalat lästern.

Unseren Autoren bleiben beim Wettbewerb gerade einmal 12 000 Zeichen für ihre Geschichte. Kann man mit so wenigen Zeichen überhaupt etwaserzählen?

12 000 gute Zeichen sind besser als so manches dicke Buch, das unterhält, aber nichts in sich trägt, was einen stutzig macht, aufregt und bewegt. Nette Bücher, die allen gefallen und dick sind, haben wir schon genug. In der Kürze kannst du aber ein Licht auf das werfen, was für dich Europa ist, was dich bewegt.

Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie an diesem Wettbewerb teilnehmen würden?

Ich würde mir anschauen, wo Europa in meiner Umgebung vorkommt und mich davon ein bisschen inspirieren lassen. Zurzeit würde ich gerne die Geschichte eines Mädchens in Hamburg schreiben, das in der Nähe des Hafens wohnt und es nicht mehr erträgt, dass die europäischen Kreuzfahrtschiffe die Luft im Hafen und auf der ganzen Welt verpesten - und die Leute auf diesen Schiffen tanzen und Essen bis sie nicht mehr können. Das könnte man lustig beschreiben oder ernst. Dazu müsste man ein wenig Informationen suchen - also recherchieren. Vielleicht soll das Mädchen ja auch mit seinen Eltern eine solche Kreuzfahrt machen und es weigert sich. Die Geschichte könnte dann einfach der Streit zwischen ihr und den Eltern sein.
Vielleicht aber erzählst du auch eine lustige Geschichte mit einem Freund, der aus einem anderen Land kommt und sich über die typisch deutschen Gewohnheiten wundert. Oder umgekehrt. Vielleicht beschreibst du auch einfach eure Gefühle zu Europa. Oder in die Klasse kommt ein neues Mädchen und heißt Europa ...
alles geht!

Soll ich meine fertige Geschichte gleich abschicken oder erst noch anderen Leuten zum Lesen geben?

Wenn die Leute dir eine ehrliche Meinung geben und dich kritisieren, dir weiterhelfen und mit dir arbeiten, dann gib ihnen deine Geschichte. Wenn sie dich aber meistens loben, dann bringt dich das nicht weiter. Dann kannst du die Geschichte auch gleich abschicken. Fordere harte Kritik und niemals Applaus von deinem Leser. Die meisten Menschen klatschen, um sich nicht wirklich mit deiner Geschichte auseinandersetzten zu müssen. Ich kenne das selbst, wenn ich in kurzer Zeit viele Geschichten kritisieren soll. Dann sage ich manchmal: "Ist gut." Dabei würde mir ganz sicher noch eine Verbesserung einfallen, wenn ich lange genug nachdenken könnte.

Was darf bei einer guten Geschichte auf keinen Fall fehlen?

Ich will eine Geschichte lesen und mich darüber aufregen - und sie deshalb lieben. Ich will, dass die Geschichte mich verändert, ich etwas Neues erfahre - über mich und die Welt. Oder, dass mich einfach die Sprache begeistert. Es gibt so selten gute Geschichten, weil die Autoren so oft dem Publikum gefallen wollen und Applaus oder Geld haben möchten. Aber ich will keine solchen Geschichten. Ich will mich aufregen. Also reg mich auf!

Jetzt geht's ans Schreiben: Das musst du beachten


Eine spannende Erzählung mit wenig Platz schreiben. Diese Tipps helfen dir dabei.

12 000 Zeichen sind bei unserem Kurzgeschichtenwettbewerb erlaubt. Das sind nicht mal drei DIN-A4-Seiten. Kann man da überhaupt eine Geschichte erzählen? Klar, wenn du ein paar kleine Tricks beachtest.

Olympisches Erzählen: Eine Kurzgeschichte hat viel mit einem olympischen Wettkampf zu tun, meint die amerikanische Autorin Mary Robinette Kowal. Sie vergleicht gerne einen Roman mit den gesamten Olympischen Spielen und eine Kurzgeschichte mit dem einzelnen Auftritt eines Sportlers. Viel geholfen ist also schon, wenn du für deine Geschichte die richtige Szene wählst und sie mit Leben füllst. Auch wichtig: lieber einen Charakter schildern und mit ihm eine Handlung richtig erzählen, anstatt drei Personen einzuführen.

Schreibe, was auffällig ist: Diesen Trick benutzen wir Journalisten sehr gerne bei unseren Reportagen. Wir beschreiben nur das, was an einer Szene wirklich auffällig ist. Dabei vertrauen wir natürlich darauf, dass der Kopf des Lesers den Rest einfügt. Verwendet ein Autor zum Beispiel das Wort "Wohnstube", hat der Leser ein anderes Bild im Kopf als bei "Wohnzimmer". Ist das Bild erst einmal im Hirn des Lesers, kannst du dich darauf konzentrieren, ein, zwei Details zu erzählen, die die Wohnstube oder das Wohnzimmer in deiner Geschichte besonders machen.

Die Sache mit den Adjektiven: Autoren sind bei Adjektiven und Adverbien immer vorsichtig. Denn wie beim Salz im Essen können sie schnell zu viel werden. "Große, ledrige Hände" pflanzen dem Leser zum Beispiel ein Bild in den Kopf, aber kein besonders spannendes. "Pranken" wirken da schon viel aussagekräftiger. Zweiter Vorteil: Du sparst Platz.

Töte deine Lieblinge: Jede Geschichte enthält ein oder zwei Dinge, die zwar wenig zur Handlung und zur Stimmung beitragen, dem Schreiber aber so gut gefallen, dass er sie unter allen Umständen behalten will. Kürzt man genau diese Details - also die "Lieblinge" - weg, spart das Platz und die Geschichte läuft runder.

Manfred Theisen.

Manfred Theisen.