Bayern
Virologe: Omikron nicht "mild" - Krankenhäuser vor neuer Welle
22. Januar 2022, 10:32 Uhr aktualisiert am 3. April 2023, 9:03 Uhr
Seit bald zwei Jahren bestimmen die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen den Alltag. Der Münchner Virologe Oliver Keppler hält die Prophezeiungen eines baldigen Endes der Pandemie für gefährlich.
Die deutschen Krankenhäuser steuern nach Einschätzung des Münchner Virologen Oliver Keppler auf neuerlich sehr hohe Zahlen von Corona-Patienten zu. Die Wucht der Infektionswelle wird sich nach Einschätzung des Wissenschaftlers in den Kliniken niederschlagen. "Eine Verharmlosung von Omikron wäre daher fatal, die häufig zu lesende Einordnung als "mild" halte ich für brandgefährlich", sagte der Leiter der Virologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität der Deutschen Presse-Agentur.
Die Ausgangslage in Deutschland sieht Keppler wegen des vergleichsweise hohen Durchschnittsalters der Bevölkerung und vieler Ungeimpfter als schwierig an.
"In den USA sehen wir ein monströses Infektionsgeschehen mit bis zu einer Million neuer Infektionsfälle am Tag", sagte der Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts. "Dort sind mehr Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern als jemals zuvor in der Pandemie, und auch die Todesfallzahlen nehmen in den letzten Wochen wieder deutlich zu. Das ist nun alles andere als "mild"."
Vorläufige Untersuchungen aus Großbritannien und den USA deuteten darauf hin, dass Omikron-Infektionen in der Breite etwa zwei bis dreimal seltener zur Einweisung ins Krankenhaus führten als Delta-Infektionen. "Aber diese neue Variante erzeugt ja eine viel höhere Infektionsdynamik mit Neuinfektionszahlen, die zehn- bis zwanzigfach höher liegen als in der Delta-Welle zu einem vergleichbaren Zeitpunkt." Darüber hinaus gab Keppler zu bedenken, dass die langfristigen Auswirkungen von Omikron-Infektionen noch nicht im Kontext von Long Covid untersucht werden konnten.
Deutschland sei glücklicherweise etwa vier bis fünf Wochen hinter der Omikron-Welle in den USA und Großbritannien zurück und könne daraus lernen, sagte der Virologe. "Auch in Deutschland werden wir bald 200.000 bis 400.000 Neuinfektionen am Tag sehen. Das wird ohne Zweifel unsere Normalstationen in den Kliniken stark belasten und den Regelbetrieb einschränken."
Leider habe Deutschland "noch eine besondere Konstellation von Demographie und Immunität, die Sorge bereitet", sagte Keppler. "Wir haben etwa 17 Millionen Ungeimpfte, die meisten davon sind wahrscheinlich auch ungenesen. Davon sind etwa 2,5 Millionen über 60, haben also ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe, die eine Behandlung auf der Intensivstation zur Folge haben können. Das unterscheidet uns von anderen Ländern."
Auch ein Vergleich mit dem Verlauf der Omikron-Welle in Südafrika mache wenig Sinn. Dort sei die Bevölkerung viel jünger. Die Impfquote liege zwar nur bei 30 Prozent, aber man gehe davon aus, dass der größte Teil der Bevölkerung sich schon zwei- oder dreimal infiziert habe. "Bei uns dagegen trifft Omikron auf Ungeimpfte und Ungenesene, von denen viele im Risiko sind."
Hilfreich gegen die Omikron-Welle könnte nach Kepplers Einschätzung die Kooperationsbereitschaft der Bürger sein. "Da ist Deutschland zum Glück eher auf der vorsichtigen Seite mit Regeln, die ständig an die Infektionsdynamik und die Belastung des Gesundheitssystems angepasst werden. Auch die Disziplin in der Bevölkerung hinsichtlich des Tragens von Masken ist bei uns im Verhältnis zu anderen Ländern sehr gut."
Keppler kritisierte die Vorhersagen eines baldigen Endes der Pandemie: "Die Leute, die teilweise jetzt schon zum dritten Mal lautstark das Ende der Pandemie ausrufen, sollten ein bisschen zurückhaltender sein, weil viele Menschen dann unvorsichtig werden und größere Risiken eingehen."
Der Virologe warnte, dass die Pandemie auch im Herbst noch nicht überwunden sein könnte: "Basierend auf den Erkenntnissen der letzten zwei Jahre müssen wir aber davon ausgehen, dass Menschen, die sich jetzt mit Omikron infizieren und eine Impfung ablehnen, im Herbst bereits fast keinen Immunschutz gegen eine neue SARS-CoV-2-Variante mehr haben werden."