Bayern

Eine Wahl für Migranten

Fast die Hälfte der Münchner hat einen Migrationshintergrund. Ihre Interessen vertritt der Migrationsbeirat.Am 19. März wird dieser neu gewählt.


In Sarajevo darf Anes Hasanbegovic den Bürgermeister wählen, aber nicht hier, wo er wohnt.

In Sarajevo darf Anes Hasanbegovic den Bürgermeister wählen, aber nicht hier, wo er wohnt.

Von Christina Hertel

In München dürfen 240 000 Einwohner bei Kommunalwahlen nicht mit abstimmen, weil sie keinen deutschen Pass haben und nicht aus der EU stammen. "Das wäre von der Einwohnerzahl her die viertgrößte Stadt Bayerns", sagt SPD-Stadtrat Cumali Naz. "Was würde Bayern machen, wenn so eine große Stadt bei Wahlen ausgeschlossen wäre?" Ihre Interessen vertritt in München der Migrationsbeirat. Er gibt Empfehlungen an den Stadtrat und kann Anträge einbringen. Bindend sind die Ratschläge nicht.

Am 19. März dürfen alle volljährigen Münchner ohne deutschen Pass, die seit mindestens sechs Monaten in München wohnen, den Migrationsbeirat neu wählen. Auch Menschen mit einer doppelten Staatsbürgerschaft und Eingebürgerte können abstimmen - sofern ihre Einbürgerung nicht länger als zwölf Jahre her ist. Sie müssen allerdings bis 3. März einen Antrag stellen. Insgesamt haben in München 46 Prozent einen Migrationshintergrund.

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Görkem Sahin will vor allem Geflüchteten helfen.

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Lara Galli stammt ursprünglich aus Italien und lebt schon seit 20 Jahren in München. Sie arbeitet für eine italienische Gewerkschaft. Ihr sind vor allem die Themen Frauen, Arbeit, Soziales und Wirtschaft wichtig.

"Wir sind der Auffassung, dass alle Menschen, die hier leben, auch das Recht haben sollten, sich zu beteiligen", sagt der Chef der Münchner SPD-Christian Köning. Doch so lange das nicht möglich sei, wolle die SPD die Stellung des Migrationsbeirats stärken.

Die SPD-Stadtratsfraktion hat sich deshalb dafür entschieden, die "Internationale Liste der progressiven Sozialdemokrat:innen" zu unterstützen. Das ist eine Gruppe von 16 Münchnerinnen und Münchnern aus zwölf verschiedenen Nationen. Zum Beispiel setzen sie sich für bessere Bedingungen für Geflüchtete und für eine bessere Förderung von Kindern mit Migrationsbiografie ein.

Die SPD hofft, dass diesmal die Wahlbeteiligung steigt. Denn diese lag beim vergangenen Mal bloß bei drei Prozent. Der Stadtrat hat sich deshalb (mit einer Mehrheit aus CSU und Grünen und gegen die Stimmen der SPD) dafür entschieden, dass nicht mehr alle Mitglieder direkt gewählt werden. Der Stadtrat wird zehn Mitglieder benennen, 40 stehen zur Wahl.

Das Wahlrecht der Migranten sei damit beschnitten worden und das sei ein großer Fehler von CSU und Grünen gewesen, findet SPD-Chef Köning. Auch der Migrationsbeirat selbst war dagegen, dass er nicht mehr ausschließlich direkt gewählt wird.

Aber was bewirkt der Migrationsbeirat überhaupt? Bei allen Beschlussvorlagen, die mit Migration zu tun haben, wird der Beirat um eine Stellungnahme gebeten. Außerdem organisiert er Gedenkveranstaltungen und Feste. Auch über ein eigenes Budget von 160 000 Euro kann der Migrationsbeirat verfügen. Er fördert damit im Jahr um die 120 Integrationsprojekte. Und er kann selbst Impulse setzen.

Lara Galli, die die sozialdemokratische Liste anführt und die bereits Mitglied des Migrationsbeirats ist, nennt eine Reihe von Projekten. Zum Beispiel setze sich der Migrationsbeirat dafür ein, dass sich die Pflege in München mehr auf die Bedürfnisse von Migranten einstellt. Einen ganzen Katalog an Forderungen übergab der Migrationsbeirat dem Stadtrat. "Ältere Migranten haben viel seltener einen Schwerbehinderten-Ausweis", sagt SPD-Fraktionschefin Anne Hübner. Das Sozialreferat müsse nun daran arbeiten, das zu ändern.

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"Der Beirat ist eine Brücke"

Viele Migranten denken, sie müssen hier in Deutschland alles alleine machen. Unsere Aufgabe ist auch, ihnen zu erklären, dass das nicht so ist", sagt Lara Galli, die bei den Wahlen des Migrationsbeirats für die sozialdemokratische Liste kandidiert. Den Beirat bezeichnet sie als "Brücke" - zwischen den Bürgern, der Verwaltung und der Stadt.

Galli kommt aus Italien, lebt schon seit 20 Jahren in München und arbeitet für eine italienische Gewerkschaft. Sie ist davon überzeugt, dass ohne Integration auch die Wirtschaft stagnieren wird. Ihr Motto ist: "Wir sind nicht alle gleich, aber wir sollten alle die gleichen Rechte haben."

Lara Galli ist bereits Mitglied des Migrationsbeirats. Was hat sie dort bewirkt? Zum Beispiel hatte die Obdachlosen-Unterkunft in der Bayernkaserne früher nur im Winter auf. Ihr erster Antrag als Mitglied des Beirats sei gewesen, das zu ändern. Seitdem können Obdachlose dort auch im Sommer Schutz suchen. Außerdem habe sie sich dafür eingesetzt, ein Projekt zu fördern, das sich mit Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen befasst. Ziel sei, Ärzte und Pfleger in Krankenhäusern in diesem Bereich besser auszubilden.

Außerdem habe sie mit dem Migrationsbeirat Demos und Diskussionen durchgeführt - etwa zu historisch belasteten Straßennamen.

Mehr Sprachkurse

Anes Hasanbegovic (23) hat geschafft, wovon er träumte: Er kam 2015 aus Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina, nach München, lernte Deutsch, machte Abitur und studiert heute Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft.

Er ist davon überzeugt, dass die Sprachvorbereitungsklasse, die er am Gymnasium in München besuchen durfte, entscheidend dafür war. Anes Hasanbegovic will sich deshalb dafür einsetzen, dass es solche Klassen an den meisten Schulen in München gibt. Außerdem trägt er den Pulli mit der Europa-Flagge nicht zufällig. Anes Hasanbegovic will die "Idee Europas" in München verbreiten.

Mehr Chancen für Geflüchtete

Ziel von Görkem Sahin, die auch auf der sozialdemokratischen Liste bei den Migrationsbeiratswahlen kandidiert, ist vor allem, dass Geflüchtete gerecht behandelt werden und die gleichen Chancen in München haben.

Görkem Sahin ist 1984 in München geboren, hat türkische Wurzeln und ist SPD-Mitglied. 2017 wurde sie in den Migrationsbeirat gewählt.

Zu ihren Erfolgen zählt sie die "Integreat"-App, die sie mit umsetzte und die Migranten helfen soll, sich in München zurechtzufinden, erklärt Görkem Sahin. Es gibt auf der App etwa Infos zu Sprachkursen und Beratungen, in 15 verschiedenen Sprachen.

Außerdem besuchte Görkem Sahin viele Asylbewerber-Unterkünfte, fragte bei den Bewohnern nach, was sich verbessern muss.