Ölkonzerne
Warum Exxon und Co. im Geld schwimmen
7. Februar 2023, 6:53 Uhr aktualisiert am 7. Februar 2023, 6:57 Uhr
Es ist einer der großen Aufreger der Energiekrise: Während Verbraucher unter hohen Preisen fürs Heizen oder Tanken ächzten, verdiente die Ölindustrie im vergangenen Jahr besser denn je. Shell und BP in Großbritannien, ExxonMobil und Chevron in den USA, TotalEnergies in Frankreich - dank der infolge des Ukraine-Kriegs kräftig gestiegenen Öl- und Gaspreise fuhren die "Big Five" genannten Schwergewichte der Branche horrende Gewinne ein.
Dass in Zeiten hoher Inflation und steigender Leitzinsen, aber auch globaler Erwärmung und Klimakrisen ausgerechnet der Öl- und Rohstoffsektor im Geld schwimmt, sorgt bei vielen Menschen für Empörung. Kritiker fordern höhere Investitionen in Förderprojekte und Erneuerbare Energien von den Konzernen, die über Aktienrückkäufe und Dividenden enorme Summen an ihre Investoren verteilen.
Allein der größte US-Ölkonzern Exxon strich 2022 einen Nettogewinn von knapp 56 Milliarden Dollar ein - rund 140 Prozent mehr als im Vorjahr und das höchste Ergebnis in der mehr als 140-jährigen Geschichte des Unternehmens. Experten gehen davon aus, dass Exxon, Chevron, BP, Shell und Total im vergangenen Jahr zusammen einen Profit von rund 190 Milliarden Dollar gemacht haben.
Entscheidend waren die gestiegenen Energiepreise. Der Preisschock durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine machte Rohöl im Frühjahr so teuer wie seit über zehn Jahren nicht. Das Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent kostete zeitweise fast 140 Dollar. Seitdem ging es aber wieder nach unten, zuletzt lag das Barrel bei rund 80 Dollar.
Die hohen Preise sind nicht der einzige Grund für die Mega-Profite. "Anders als die Gewinne haben die Ölpreise keine Rekorde erreicht", erklärte die deutsche Ökonomin Isabella Weber von der University of Massachusetts im September bei einer US-Kongressanhörung. Niedrige Produktionskosten seien auch ein wichtiger Faktor. So habe die Branche teure Förderanlagen wegen des Nachfrageeinbruchs in der Pandemie stillgelegt und noch nicht wieder voll in Betrieb genommen - obwohl die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Krise den weltweiten Ölbedarf wieder erhöht habe und das Angebot durch den Ukraine-Krieg und Sanktionen gegen Russland beschränkt worden sei.
Der globale Ölverbrauch lag 2022 laut US-Regierungsangaben leicht unter dem Vor-Corona-Niveau von 2019. Es gebe schlichtweg wenig Anreize für Ölkonzerne, die Produktion auszuweiten, meint Expertin Weber. "Wer will schon mehr fördern, um weniger zu verdienen?"
Im Oktober bezeichnete US-Präsident Joe Biden Unternehmen wie Exxon öffentlich als "Kriegsgewinnler", die ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nachkämen. Die Verbalattacke erfolgte im US-Wahlkampf, sie zeigt jedoch, wie die Branche die Gemüter erhitzt. Biden kündigte an, Optionen prüfen zu lassen, um die Ölindustrie in die Pflicht zu nehmen. Europa war da schon einen Schritt weiter: Die EU beschloss im September, die spektakulären Profite von Energiefirmen mit einer sogenannten Übergewinnsteuer zu belegen. Mit dem Geld sollen Entlastungen für Bürger und Firmen finanziert werden. Exxon hat bereits angekündigt, die Steuer juristisch anzufechten.
Einzelne Konzerne produzieren meist zu wenig, um das globale Ölangebot stark zu beeinflussen. Preismacht hat vor allem die Öl-Allianz Opec+. Der Einfluss des von dem großen Förderstaat Saudi-Arabien angeführten Kartells, das 2016 um zehn Nicht-Opec-Länder - darunter Russland - erweitert wurde, ist mit einem weltweiten Marktanteil von etwa 40 Prozent erheblich.
Entscheidend ist zudem der weltweite Ölbedarf, der von der Konjunktur abhängt. So mussten die Multis während der Wirtschaftsflaute in der Corona-Krise zeitweise weit unter ihren Produktionskosten verkaufen. 2020 machte Exxon 22,4 Milliarden Dollar Verlust. Die Konzerne sehen sich zu Unrecht am Pranger: "Die Dämonisierung der Ölindustrie muss aufhören", klagte der US-Branchenverband WSPA im Oktober.
Dass die Unternehmen nicht mehr Geld in die Hand nehmen, um in Zeiten von Knappheit und hohen Preisen mehr Energie bereitzustellen, ist ein häufig zu hörender Vorwurf. Exxon-Chef Darren Woods weist ihn zurück: "Unsere Ergebnisse haben zwar klar vom günstigen Marktumfeld profitiert, doch die antizyklischen Investitionen, die wir vor und während der Pandemie getätigt haben, lieferten den Menschen die benötigte Energie, als die wirtschaftliche Erholung einsetzte und das Angebot knapp wurde". Exxon als Helfer in der Not? Tatsächlich gab der größte westliche Ölkonzern 2022 nach eigenen Angaben rund 22,7 Milliarden Dollar für Investitionen in Ausrüstung sowie Erkundungs- und Förderprojekte aus - bei einem Umsatz von 413,7 Milliarden.
Chevron kündigte jüngst an, in großem Stil Gewinne an seine Aktionäre zu verteilen. So sollen ab April Aktien im Wert von bis zu 75 Milliarden Dollar zurückgekauft werden. Dazu will Chevron den Anteilseignern eine Quartalsdividende von 1,51 Dollar je Aktie zahlen - gut sechs Prozent mehr als in den vorherigen drei Monaten. Chevrons Gewinnausschüttungen sorgten angesichts des krassen Volumens für Aufsehen, doch auch der Rest der Branche vernachlässigt seine Aktionäre nicht. Den Puls von Kritikern, die sich mehr Investitionen wünschen, lässt das weiter steigen. US-Präsident Biden hat sich bereits für eine Sondersteuer auf Aktienrückkäufe ausgesprochen.
Die Öl- und Gasindustrie sei ein robuster Treiber der US-Wirtschaft - von dem Millionen amerikanischer Haushalte durch direkten Aktienbesitz, Anteile an Investmentfonds, Altersvorsorge- oder andere Finanzprodukte profitierten, heißt es vom Lobbyverband American Petroleum Institute. Laut Ökonomin Weber sind die tatsächlichen Gewinner der Öl-Bonanza aber vor allem wohlhabende Investoren, Finanzprofis der Wall Street und Vermögensverwaltungen. Verlierer seien hingegen arme Menschen sowie Firmen und Regierungen, die unter hohen Energiepreisen litten. Aktienrückkäufe und Dividenden dienen zudem der Kurspflege und der Aufhübschung bestimmter Bilanzkennziffern - das kann auch dem Management stark zugute kommen.