Luise Klemens im AZ-Interview
Gewerkschafterin zur Corona-Krise: "Wir machen uns Sorgen"
3. April 2020, 11:51 Uhr aktualisiert am 3. April 2020, 11:51 Uhr
Die Gewerkschaft Verdi fühlt sich in der Corona-Krise übergangen. Und hofft auf ein Umdenken. Die AZ hat mit Luise Klemens, der Landesbezirksleiterin von Verdi in Bayern, gesprochen.
AZ: Frau Klemens, Arbeitnehmer müssen sich mit vielen neuen Themen beschäftigen: Kurzarbeit, Infektionsschutz. Viele Dinge, die jetzt wichtig sind, waren vor ein paar Wochen noch niemandem geläufig. Wurden die Arbeitnehmer gut informiert?
LUISE KLEMENS: In den Branchen, die wir vertreten, herrscht Verunsicherung. Viele haben keine Erfahrungen mit Kurzarbeit und wissen gar nicht, was sie dürfen. Wir haben daher eine Hotline eingerichtet, um Arbeitnehmer zu informieren. Viele Betriebe scheinen in der Krise zu vergessen, dass es Betriebsräte gibt und auch ein Mitspracherecht. Die Mitbestimmung wird einfach ausgesetzt. Es heißt dann: Unterschreib diesen Vertrag oder du wirst entlassen. Auch öffentliche Arbeitgeber sind in Sachen Kurzarbeit nicht immer Vorbilder.
Thema Kurzarbeit: Wie stehen Sie zu der Maßnahme?
Grundsätzlich ist Kurzarbeit besser, als dass Leute ihren Job verlieren. Aber dass sie nur 60 Prozent ihres Einkommens erhalten, ist zu wenig! In München kann damit keiner die Miete bezahlen. Wir erwarten eine deutliche Nachbesserung. Wurden Sie denn bei der Entscheidungsfindung eingebunden, oder wurden sie vergessen, weil schnell gehandelt werden musste? Es ist nichts gegen schnelles Handeln zu sagen. Aber bei den Beratungen der Staatsregierung wurden wir zu Beginn gar nicht einbezogen. Inzwischen hatten wir ein erstes Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. Da hat sich Markus Söder entschuldigt und angekündigt, es solle einen Runden Tisch geben. Der ist nun als Videokonferenz für den 8. April terminiert. Sehr spät, aber immerhin.
Welche Maßnahmen würden Sie sich für die Arbeitnehmer wünschen?
Da gibt es zum Beispiel das Thema Kinderbetreuung. Diese wurde ja für systemrelevante Berufe garantiert. Doch im Einzelhandel funktioniert das noch nicht gut. Ich kann nicht die Ladenöffnungszeiten ausweiten, aber dann die Beschäftigten alleine lassen. Auch der Infektionsschutz ist wichtig. Wer will denn jetzt den ganzen Tag an einer Kasse sitzen, mit Hunderten Kunden agieren und das ganz ohne Schutz? Wir machen uns Sorgen um unsere Kollegen! Aber Masken sind ja immer noch Mangelware. Da wird man sich nach der Krise allgemein fragen, was müssen wir als Land in Zukunft auf Vorrat haben, was müssen wir in Deutschland produzieren.
Gibt es Unternehmen, die sich zur Zeit gut um Ihre Angestellten kümmern? Wird die Lage von manchen ausgenutzt?
Wir haben zum Beispiel einen guten Tarifvertrag mit der Telekom ausgehandelt. Es wird sich um die Mitarbeiter gekümmert, gerade beim Thema Kündigungsschutz ist das vorbildlich. Mit anderen Unternehmen, zum Beispiel Douglas oder Dehner haben viele Arbeitnehmer hingegen schlechte Erfahrungen gemacht. Beim Thema Kurzarbeit haben die Mitarbeiter einfach angelogen. Dann werden bei Douglas emotionale E-Mails an die Beschäftigten geschrieben, aber das Gehalt nur fünf Prozentpunkte auf 65 Prozent aufgestockt. Manche Unternehmen versuchen, aus der Krise Profit zu schlagen. Wie kann es sein, dass Firmen mit teils riesigen Jahresgewinnen keine Miete mehr zahlen? Bei manchen herrscht die Einstellung: Jetzt in der Krise mache ich, was ich schon immer mal machen wollte. Das ist unmoralisch.
Haben Sie eine Prognose, wie sich die Krise auf Ihre Anliegen auswirken könnte? Wird Menschen in systemrelevanten Berufen mehr Anerkennung zuteil? Wird die Krise genutzt, um rücksichtslos eigene Interessen durchzusetzen?
Wir müssen darauf achten, dass jetzt keine schnellen Gesetze durchgewunken werden, die unserer demokratischen Gesellschaft und der Mitbestimmung dauerhaft schaden. Wenn die Krise vorbei ist, muss vieles sofort wieder aufhören. Wir dürfen unsere Grundrechte nicht aufgeben. Wir werden uns danach viele Fragen stellen müssen. Darf man unser Gesundheitssystem auf diese Art privatisieren? Müsste ich Arbeitnehmern in Pflege und Einzelhandel nicht mehr zahlen? Ein Danke reicht nicht. Ich hoffe die Wahrnehmung, dass bestimmte Berufe sehr wichtig sind, wird bei den Menschen im Gedächtnis bleiben. Wir werden uns dafür einsetzen, dass die Arbeitnehmer auch entsprechend bezahlt werden. Denn billig hat immer seinen Preis, das erleben wir im Moment.