Überblick
Tuchel setzt auf Stärke statt Strafen
4. April 2023, 12:18 Uhr
Beim FC Chelsea, Thomas Tuchels Ex-Klub, werden die Stars bereits ab der ersten Minute Verspätung zur Kasse gebeten.
500 britische Pfund kostet die kleine Sünde, wie Nationalspieler Kai Havertz kürzlich im Youtube-Format "Ein Tag mit" von Kai Pflaume verriet. Bei 20 Minuten zu spät sind das immerhin schon 10.000 Pfund. Das schmeckt auch hoch bezahlten Profis nicht. Aber klar: Ohne Disziplin geht's nicht.
Die Spieler des FC Bayern kamen im Vergleich bislang etwas günstiger weg: Zwischen 1000 und 3000 Euro sollen Verfehlungen wie Unpünktlichkeit gekostet haben. Anlass waren diverse Undiszipliniertheiten in den vergangenen Monaten, Leroy Sané etwa verpasste sogar einmal die Abfahrt des Mannschaftsbusses zum Flughafen vor dem Auswärtsspiel in Mönchengladbach.
Daher griff Ex-Trainer Julian Nagelsmann irgendwann durch und segnete den von Team-Psychologe Max Pelka und Teammanagerin Kathleen Krüger erarbeiteten Strafenkatalog ab.
Seitdem soll es weniger Verspätungen gegeben haben. . .
Nagelsmann-Nachfolger Thomas Tuchel hält ein solches Instrument allerdings für nicht zwingend notwendig - er setzt nun auf das Prinzip Stärke statt Strafe. "Ich wünsche mir, dass wir so ein Miteinander prägen, dass wir ohne auskommen", sagte der neue Coach auf der Pressekonferenz vor dem Pokal-Viertelfinale gegen den SC Freiburg, "dass wir diszipliniert sind und eine Selbstverständlichkeit entwickeln, gewisse Regeln einzuhalten, ohne die es nicht geht. Stichwort starker Klub: Ich glaube, dass wir bei Bayern diese Kraft von Haus aus haben."
Tuchel vertraut also auf die Eigenverantwortlichkeit der Stars, auf Respekt gegenüber den Mitspielern - und nicht zuletzt ihm gegenüber: Der Trainer ist sich sicher, dass er mit seiner Art der Mannschaftsführung und Autorität die Kabine im Griff hat. Das ist zugleich ein deutliches Zeichen von Stärke. "Ich habe nichts gegen einen Strafenkatalog", führte Tuchel weiter aus. "Ich finde, er muss dann aus der Mannschaft kommen, weil die Mannschaft das kontrollieren muss. Ich sehe mich nicht in der Rolle, dass ich schaue, wer pünktlich durchs Tiefgaragentor reinfährt. Ich habe keine Lust, da Polizist zu spielen."
Bei Sané war es irgendwann so weit, dass jede Minute Verspätung eine Meldung wert war. Damit soll Schluss sein. "Natürlich fängt ein Training pünktlich an, natürlich fängt die Spielersitzung pünktlich an", erklärte Tuchel: "Und selbstverständlich beginnt es mit mir. Aber auch ich werde irgendwann zu spät kommen, es ist ganz normal, dass es jedem mal passieren kann."
Daher wisse er nicht, ob er "die Endgültigkeit eines Strafenkatalogs so mag", ergänzte Tuchel, nach dem Motto: "Der fliegt aus der Startelf, mal ganz extrem. Jeder kann zu spät kommen, dann kommt es drauf an, wie jemand zu spät kommt: Ob es ihm peinlich, unangenehm ist, ob er von sich aus anbietet, alle zum Essen einzuladen, oder ob es ihm egal ist. Dann liegt das Problem ja wahrscheinlich eh schon wieder tiefer."
Apropos Strafen: Unbekannt ist weiter, ob Manuel Neuer nach seinem kritischen Interview bezüglich der Entlassung von Ex-Torwarttrainer Toni Tapalovic sanktioniert wird. "Wir sind im Austausch, wir sprechen miteinander", sagte Vorstandschef Oliver Kahn bei "Sky90": "Was da alles passiert ist mit der WM und diesem Unfall, muss man sagen: Den FC Bayern hat schon immer ausgezeichnet, dass wir seine Leistungen nicht vergessen." Nach AZ-Infos hat Neuer einen guten Draht zu Tuchel, seine Reha läuft nach Plan. Der Torhüter ist oft auf dem Fahrradergometer unterwegs, zum Start der Sommer-Vorbereitung will er wieder mit dem Team trainieren.