Überblick

Taktik-Experte: "Bayern hat immer noch die Qualität, Manchester City extrem wehzutun"

Was macht Thomas Tuchel beim FC Bayern anders als Vorgänger Julian Nagelsmann? In der AZ erklärt Taktik-Experte Thomas Broich vor dem Champions-League Knaller gegen Manchester City den Unterschied


Das Duell der Taktik-Tüftler: Pep Guardiola (l.) gegen Thomas Tuchel. Auch der Katalane hat sich laut Taktik-Experte Thomas Broich immer weiter entwickelt.

Das Duell der Taktik-Tüftler: Pep Guardiola (l.) gegen Thomas Tuchel. Auch der Katalane hat sich laut Taktik-Experte Thomas Broich immer weiter entwickelt.

Von Krischan Kaufmann

AZ: Herr Broich, ist für einen Taktik-Experten wie Sie nach dem Clasico gegen den BVB (4:2) und den beiden Partien gegen Freiburg im Pokal (1:2) und in der Liga (1:0) schon offensichtlich, was Thomas Tuchel im Spiel der Bayern bislang verändert hat?

THOMAS BROICH: Man hat den Eindruck, dass es bei Bayern gerade eher um Stabilität geht. Die spielerischen Lösungen werden kommen, aber es ist schwieriger, weil die Ausrichtung aktuell gar nicht so offensiv ist. Wenn man sich die Box-Besetzung (eigene Spieler im gegnerischen Strafraum, d. Red.) der Bayern unter Julian Nagelsmann anschaut, da waren gefühlt sieben Jungs mit dabei. Jetzt spielen die Bayern eher ein klassisches 4-3-3, das heißt, dass die drei Stürmer und zwei Achter bei Ballbesitz für die Offensive zuständig sind und der Rest, also Joshua Kimmich und die Viererkette, sich um die Balance, um den Spielaufbau kümmern soll. Dass man sich da nicht Chancen im Minutentakt rausspielt, ist normal.

sized

Der ehemalige Fußball-Profi (u.a. 1. FC Köln, 1. FC Nürnberg) arbeitet als Taktik-Experte und Kommentator für die ARD. Seit 2022 ist der gebürtige Münchner (42) als "Leiter Methodik" im Nachwuchsbereich von Hertha BSC Berlin tätig.

sized

"Wenn Du so viele Abschlüsse generierst wie City, dann ist ein Killer-Stürmer wie Haaland natürlich goldwert", sagt Thomas Broich über Erling Haaland.

Hundertprozentig stabil wirkt das Bayern-Spiel trotz der Umstellungen noch nicht.

Dieses Gefühl der Verwundbarkeit ist noch da. Auch die Freiburger haben es geschafft, aus nicht zwingenden Situation plötzlich Riesen-Chancen zu kreieren. Diese Anfälligkeit muss weg. Dass Mannschaften, die eigentlich deutlich unterlegen sind, nur ein paar ausgewählte Momente brauchen, um den Bayern gefährlich werden zu können - das muss das Team in den Griff bekommen. Deshalb geht es jetzt für Tuchel nicht so sehr ums Spielerische.

Aber müsste man nicht in so wichtigen Duellen gegen so hochkarätige Gegner wie Manchester City heute (bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet) nicht mehr auf spielerische Lösungen setzen?

Ich finde den Ansatz von Thomas Tuchel eigentlich sehr clever. In diesen Spielen ist es eher gefährlich, in einen Konter zu laufen, weshalb es wichtig ist, zuerst mal eine Grundkompaktheit zu haben. Und die Räume für Bayern ergeben sich ja von alleine, das muss man auch gar nicht coachen. Wenn Serge Gnabry, Leroy Sané, Kingsley Coman, Jamal Musiala und wie sie alle heißen mit Tempo auf eine Abwehr draufgehen - dass die dabei Torchancen kreieren, ist ja völlig klar. Die Baustelle war eher die fehlende Balance im Bayernspiel.

Wer ist für die fehlende Balance verantwortlich: die Mannschaft oder der Trainer?

Das Problem zieht sich bei Bayern ja schon durch die gesamte Saison. Die Spieler wissen eigentlich, dass sie die Qualität haben, um solche Dinge zu regeln - ganz egal, wer gerade Trainer ist. Ich halte es also eher für ein Kopfproblem.

Eine Folge davon: Die berühmte Bayern-Dominanz ist weg. Wie kam es dazu?

Bei Bayern wurden unter Nagelsmann völlig automatisierte Abläufe, die über fast ein Jahrzehnt funktioniert haben, im Sinne eine Weiterentwicklung, einer Verbreiterung des Repertoire verändert. Das kann aber auch dazu führen, dass die eigene Identität auf dem Platz verloren geht. Vielleicht haben sich manche Spieler in neuen Systemen nicht so wohl gefühlt, bzw. nicht verstanden, warum ein System verändert wird, in dem man doch so erfolgreich ist.

Klingt logisch, schließlich heißt es nicht umsonst: Never change a running system. . .

Fußball lebt von der ständigen Weiterentwicklung, sonst ist man zu ausrechenbar. Vor allem fehlt so ein neuer Impuls, denn man muss Spieler gedanklich wach halten. Das beste Beispiel, wie man das als Trainer macht, ist Pep Guardiola.

Warum?

Er ist für mich der 4-3-3-Trainer schlechthin - und spielt mittlerweile mit einer Dreierkette. Und der Erfolg gibt im recht. Eine gewisse Flexibilität macht also durchaus Sinn.

Gerade gegen City-Urgewalt Erling Haaland könnte eine fehlende Balance nun zum vorzeitigen K.o. führen. Was macht den Norweger so gefährlich?

Wenn Du so viele Abschlüsse generierst wie City, dann ist ein Killer-Stürmer wie Haaland natürlich goldwert. Im Konter sowieso, aber auch im Pressing. Klar, er ist nicht sonderlich ins Kombinationsspiel eingebunden. Aber das ist zu verschmerzen. Denn sobald eine Halbfeldflanke reinfliegt oder ein scharfer Ball vorne landet - einer, der immer dasteht, ist: Haaland! Dass Haaland bei City funktioniert, wundert mich also nicht.

Das macht nicht unbedingt Hoffnung auf ein Weiterkommen der Bayern.

Bayern war in der Champions League bislang so stark. Das war doch eine Wahsninns-Leistung, PSG im Viertelfinale so alt aussehen zu lassen. Ich bin optimistisch, weil die Bayern stabiler werden und vor allem, weil sie immer noch die Qualität haben Manchester City extrem wehzutun. Sie werden sicher nicht nur hinterherlaufen, dafür sind sie viel zu griffig.