Überblick
Nagelsmanns Selbstläufer
5. März 2023, 17:52 Uhr aktualisiert am 5. März 2023, 17:52 Uhr
Schlusspfiff. Durchatmen, kurz die rechte Faust.
2:1 - gerade noch mal gut gegangen. Dabei hätte es Trainer Julian Nagelsmann vier Tage vor dem Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Paris St.-Germain so schön haben können: Ein überzeugender Pflichtsieg seines FC Bayern bei Abstiegskandidat VfB, die Tabellenführung zurückerobert. Dann das Ding abhaken und all die gedankliche Kraft auf PSG richten.
Pustekuchen. Denn trotz der 2:0-Führung wurde es wie schon so häufig in dieser Saison "am Ende etwas wacklig" wie Leon Goretzka motzte und damit unnötig knapp wie spannend. Im ZDF konkretisierte der Mittelfeldspieler leicht angefressen: "Nach dem 2:0 müssen wir in der Lage sein, so einen Gegner, der selbst gar nicht mehr dran geglaubt hat, zu kontrollieren."
Haben die Bayern aber nicht. Nach dem Anschlusstreffer von Juan Perea (88.) per Kopf erzielte Tanguy Coulibaly, ebenfalls per Kopf und mit noch viel mehr Freiraum im Strafraum, beinahe den Ausgleich (90.+3).
Die Generalprobe vor dem Kracher in der Königsklasse geriet also zur Zitterpartie mit deutlichem Makel - das kann Nagelsmann nicht gefallen. Vor allem, weil der 35-Jährige anstelle eines weiteren Brustlösers nach dem überzeugenden 3:0 gegen Union Berlin am Wochenende zuvor erneut eine Diskussion mit nach Hause nahm über die A8 von Stuttgart nach München.
Und zwar die über seinen zweiten Anzug, die Ersatzspieler. Hatte Nagelsmann, der in Gedanken an den Mittwoch und das die gesamte Saison - und damit seine Arbeit - definierende Rückspiel gegen PSG zu früh, ja zu sorglos gewechselt?
Dass just vor dem geplanten Dreierwechsel in der 63. Minute das 2:0 durch Eric Maxim Choupo-Moting fiel, trug sogar zusätzlich zur Beruhigung bei. Denn schon vor dem Tor des Mittelstürmers stand das Offensivtrio Sadio Mané, Leroy Sané und Serge Gnabry an der Seitenlinie parat. Schlappe 195 Millionen Euro Marktwert (laut "transfermarkt.de") und zusammengerechnet 34 Saisontore in allen Wettbewerben.
Deren Ertrag in der guten halben Stunde in Stuttgart: Nahezu null. Nicht gut ausgespielte Kontersituationen, kaum Torgefahr, geringe Körperspannung.
Was neben der Herausnahme der Leistungsträger Jamal Musiala, Kingsley Coman und Choupo-Moting (sämtlich zur Schonung für Mittwoch) die Mannschaft schwächte. Goretzka fehlten tatsächlich die Worte: "Wir haben so einen super Kader, der muss auch in der Lage sein - ja, äh - auch Wechsel zu machen." Es sei "schon okay", wenn man "drei Weltstars in der 63. Minute einwechselt", meinte Nagelsmann schnippisch, das seien schließlich "keine U19-Spieler".
Er erinnerte daran, dass "die Spieler den Anspruch haben, zu spielen, um sich zu zeigen für ein Spiel wie am Mittwoch".
Chance nicht genutzt. Sky-Experte und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus erkannte "einen Bruch" im Spiel. Besonders Sané und Gnabry hätten die Möglichkeit gehabt, sich für Paris aufzudrängen, "aber da ist nichts passiert".
Negativ für Nagelsmann: Die in der Vorrunde bis zur WM in Katar mit Toren, Vorlagen, Spielwitz und Spielfreude glänzenden Gnabry und Sané hängen wieder in einem rätselhaften Tief, was ihre Körpersprache auf dem Platz dokumentiert.
Positiv für den Trainer: Die Aufstellung für das Paris-Spiel wird zum Selbstläufer, sie steht schon. Die Stuttgart-Elf darf ran: Josip Stanisic verteidigt für den gesperrten Benjamin Pavard (siehe Seite 18) und in der Offensive hat sich das 3-4-2-1-System mit den Zehnern Musiala und Müller sowie Stoßstürmer Choupo-Moting bewährt. Für die erwähnten Außenstürmer bleibt nur die Jokerrolle.
Die Intensität habe am Ende "ein bisschen gefehlt", monierte Nagelsmann und blickte voraus: "Wenn wir diese zu 100 Prozent auf den Platz bringen und mit unserer Qualität paaren, dann sind wir schwer, zu schlagen - und einer der besten Herausforderer in Europa."
Beweistermin: am Mittwoch gegen Kylian Mbappé, Lionel Messi & Co.