Biograf im AZ-Interview

Jürgen Klopp und der FC Bayern: Würde das überhaupt passen?


War zeitweise auch mal beim FC Bayern im Gespräch: Jürgen Klopp, mittlerweile beim FC Liverpool auf der Trainerbank.

War zeitweise auch mal beim FC Bayern im Gespräch: Jürgen Klopp, mittlerweile beim FC Liverpool auf der Trainerbank.

Von Michael Schleicher / Online

In Teil eins der AZ-Serie zum Spiel des FC Bayern in Liverpool spricht Klopps Biograf Raphael Honigstein über die Stärken des Trainers: "Er ist glaubwürdig."

München - Raphael Honigstein im AZ-Interview. Der 46-jährige Münchner lebt als Sportjournalist und Autor in London. Er hat die Klopp-Biografie "Ich mag, wenn's kracht" geschrieben.

AZ: Herr Honigstein, der FC Bayern trifft im Champions-League-Achtelfinale auf Jürgen Klopps FC Liverpool. Sie haben die Klopp-Biografie "Ich mag, wenn's kracht" geschrieben. Welchen Status hat der Coach inzwischen bei den Liverpool-Fans erreicht?
RAPHAEL HONIGSTEIN: Klopp hatte von Anfang an den Status als großer Hoffnungsträger, der Liverpool die erfolgreiche Zeit zurückbringt, der als Trainer Titel gewinnt, der für Gefühle sorgt, mit dem man sich zeigen lassen kann. Es wird oft unterschätzt, aber in der Premier League sind die Trainer auch die Gesichter der Vereine. Man freut sich in Liverpool, dass man jemanden hat, der gut reden kann, der meistens gut aussieht, wenn er etwas erzählt, der glaubwürdig ist und jemand, an den man sich anlehnen kann wie an einen Vater. Gerade in Liverpool mit der Geschichte um Bill Shankley und Bob Paisley (Liverpools Trainer der 1960er, 1970er und 1980er, Anm.d.Red.) ist das ein wichtiges Thema. Der Trainer muss den ganzen Verein führen, man will das Gefühl haben, dass man bei dem Trainer in guten Händen ist.

Inwiefern hat Klopp die erfolgreiche Zeit bei Borussia Dortmund geholfen?
Es war bei den Liverpool-Fans gleich dieses Grundvertrauen da, die Hoffnung. Du musst dann natürlich zeigen, dass du das Team entwickeln kannst und der Verein weiterkommt. Liverpool kommt jetzt immer näher an die eigenen Ansprüche heran. Das ist wichtig für einen Verein, der sich für eine Spitzenmannschaft hält, jetzt aber seit fast 30 Jahren nicht mehr Meister geworden ist. Es gab ja schon ein paar Ups and Downs in den ersten 18 Monaten. Aber mittlerweile ist man sehr, sehr glücklich mit Klopp.

Honigstein: Die Leute arbeiten gern mit Klopp zusammen

Wie schafft es Klopp, Menschen für sich zu gewinnen?
Er hat ein unheimliches Charisma, eine Ausstrahlung. Ich glaube, man möchte für ihn etwas machen. Er gibt dir ein gutes Gefühl, die Leute arbeiten gern mit ihm zusammen. Aber er hat natürlich auch eine große Kompetenz, das wird oft übersehen. Wenn die Spieler nicht das Gefühl hätten, dass Klopp sie weiterbringt, dass sie Erfolg haben können, dann kannst du Spieler hundert mal umarmen, dann sind sie irgendwann weg. Diese Idee des Menschenfängers stimmt bei Klopp, aber das hat eben auch damit zu tun, dass er keinen Unsinn erzählt. Die Leute merken sehr schnell, dass sie erfolgreich sein können, wenn sie sich an das halten, was er ihnen vorgibt.

Der FC Bayern bedauert die Entscheidung wohl immer noch, 2008 lieber Jürgen Klinsmann anstelle von Klopp geholt zu haben.
Es ist jetzt schon zehn Jahre her, seitdem hat Bayern auch viel richtig gemacht. Ich glaube eher, dass der Hamburger SV dieser Chance auf Klopp nachtrauert, wenn man sieht, wie sich der Klub entwickelt hat im Vergleich zu Dortmund (lacht). Aber klar: Bayern hätte Klopp gern gehabt, auch in der Zeit danach und wahrscheinlich heute immer noch.

Würde das überhaupt passen?
Aktuell sicher nicht. Klopp ist total glücklich beim FC Liverpool, und der Verein ist total glücklich mit ihm. Ich denke eher, dass er seinen Vertrag über 2022 hinaus noch einmal verlängern wird. Wenn er Meister oder Champions-League-Sieger werden sollte, wird er zu 99,9 Prozent verlängern. Das heißt aber nicht, dass er nie zum FC Bayern gehen wird. Klopp sagt schon allein aus logischen Gründen, dass Bayern zu den besten Vereinen der Welt gehört. Er ist flexibel und ehrgeizig genug, um über diese Chance nachzudenken, falls sich noch mal eine Möglichkeit ergibt.

Spielt Klopp gern gegen Bayern? Seine Bilanz in direkten Duellen ist ja nicht so gut.
Rein taktisch liegt Klopp eine Mannschaft, die so spielt wie der FC Bayern. Die Stärken von Klopp-Mannschaften, das Kontern und Umschalten, kommen da gut zum Tragen. Diese Räume, die Bayern bietet, kann Liverpool ausnutzen. Gleichzeitig war der FC Bayern bislang die Mannschaft, die Klopp die großen Erfolge kaputt gemacht hat. Die Champions League 2013 natürlich, aber auch den einen oder anderen Pokal. Dortmund wäre vielleicht auch öfter Meister geworden. Der FC Bayern und Pep Guardiola, der ja auch noch mit Bayern zu tun hat und jetzt Trainer von Manchester City ist, sind immer die großen Gegenspieler gewesen. Auch aus dem Kontext heraus, dass Bayern und ManCity finanziell immer vor Klopps Mannschaften standen, und er nur mit sehr viel Einsatz auf Augenhöhe kommt, ist es für ihn eine Auszeichnung. Liverpool hat nicht Citys nahezu grenzenlose Mittel, Klopp kann trotzdem Meister werden. Diese Underdog-Attitüde ist nicht gespielt, weil Klopp bisher immer einen Nachteil hatte und das ausgleichen musste. Einerseits ist das sehr reizvoll für Klopp, andererseits aber auch ein bisschen frustrierend. Bayern hat ihm ja auch einige Spieler weggekauft, das hat an ihm genagt.

Vor allem bei Mario Götze.
Ja, richtig. Das ging aber mehr in die Richtung, dass es ihm für den Spieler leid getan hat.

Honigstein: Liverpool hat leichte Vorteile

Ist Klopp den Engländern sympathischer als Guardiola?
Klopp passt auf jeden Fall besser zu einem Klub wie Liverpool. City ist ein ganz kleiner Verein, der über Nacht zur Spitzenmannschaft wurde. Da arbeiten hochprofessionelle Leute. City spielt super. Aber ich glaube, die emotionale Bindung zu den Leuten ist nicht sehr groß. Bei Jürgen und Liverpool gibt es eher das Gefühl der Familie, der Bindung, der Verständigung. Das hängt mit den unterschiedlichen Charakteren zusammen. Guardiola ist nicht der wärmste Trainer. Er umarmt auch seine Spieler, liebt sie auf einem bestimmten Niveau auch, aber er ist eher introvertiert, was sein soziales Engagement in der Kabine angeht. Klopp ist einer, der, wenn er wollte, morgen in einem roten Doppeldecker durch Liverpool fahren und sich Blumen zuwerfen lassen könnte.

Wer ist der Favorit bei Liverpool gegen Bayern?
Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Chancen 60:40 für Liverpool stehen. Bayern hat super, super Spieler, aber keine super Mannschaft. Bei Liverpool sehe ich es genau andersherum. Klar, Liverpool hat auch super Spieler, aber die Mannschaft an sich funktioniert. Spieler wie Joel Matip, James Milner oder Jordan Henderson haben vielleicht nicht das Niveau, um bei Bayern zu spielen. Sie funktionieren aber bei Liverpool, weil diese Mannschaft weiß, was sie macht, sie eine Identität hat, einen Plan - also alles, was Bayern derzeit nicht hat. Und wenn man überlegt, dass die Stärken von Liverpool auch noch ziemlich genau den Schwächen des FC Bayern entsprechen, kann man eigentlich nicht davon ausgehen, dass Bayern durchkommt. Es wird nicht eindeutig werden. Aber ich sehe Liverpool am Ende vorne.

Lesen Sie auch: Bayern-Torwart Neuer glaubt an Einsatz gegen Liverpool