Anfield in Angst

Jürgen Klopp könnte mit dem FC Liverpool den Titel verlieren


Trainer des FC Liverpool: Jürgen Klopp

Trainer des FC Liverpool: Jürgen Klopp

Von Katharina Federl

Liverpool ist unaufhaltsam durch die englische Liga marschiert - bis ein Brief aus Manchester kam. In der Corona-Krise fürchten Klub und Fans jetzt um den ersehnten Titel. Es ist nicht die einzige Sorge.

Liverpool - Eine weltweite Pandemie hatte Daragh Curley sicher nicht im Sinn, als er vor einigen Wochen einen Brief an Jürgen Klopp aufsetzte.

Und zur Verteidigung des zehnjährigen Jungen aus Manchester: Das Coronavirus grassierte schon längst in China, als jenes Schreiben beim FC Liverpool und dessen Teammanager eintrudelte. Und doch mag manch ein Fan der Reds derzeit wieder an den kleinen Daragh und seine Worte denken. Denn seither läuft rund um die legendäre Anfield Road irgendwie alles aus dem Ruder.

"Liverpool", schrieb Curley Mitte Februar, "gewinnt einfach zu viele Spiele". Und das mache ihn als Fan des großen Rivalen Manchester United sehr traurig. Also beendete er sein Schreiben an Klopp mit dem Satz: "Ich hoffe, ich habe Sie überzeugt, nicht die Meisterschaft oder jemals wieder ein Spiel zu gewinnen."

Englische Meisterschaft wäre für Liverpool die erste seit 30 Jahren

Damals also, als die Welt noch in Ordnung schien und der Fußball die Gefühlswelt vieler Liverpooler dominierte, marschierten die Reds unaufhaltsam durch alle relevanten Wettbewerbe. In der Premier League führte Klopps Team nach 27 ungeschlagenen Spieltagen sogar mit 22 Punkten Vorsprung vor dem Zweiten Manchester City. So konnte sich Scherzkeks Klopp auch die Zeit nehmen, dem kleinen Fan aus Manchester zu antworten. "Leider", schrieb er zurück, "kann ich Deinen Wunsch nicht erfüllen, zumindest nicht freiwillig."

Es passierte eher unfreiwillig. In der Champions League scheiterten die Reds knapp an Atlético Madrid, in der Premier League verlor der Spitzenreiter bald bei Kellerkind Watford.

Das alles wäre jedoch verschmerzbar gewesen. Das große Sehnen dieses traditionsreichen Vereins und seiner emotionalen Fans galt ohnehin nur dem einen Ziel: Der Meisterschaft, der ersten seit 30 Jahren. Die große Titel-Sause war in den Köpfen der Fans schon geplant. Es bräuchte schon höhere Gewalt, um auch Curleys zweiten Wunsch von der verpassten Meisterschaft noch zu erfüllen. Etwas wie Corona.

Premier League pausiert vorerst bis Ende April

Spät, aber heftig reagierte der englische Fußball auf die Pandemie. Der Spielbetrieb in den oberen Ligen pausiert vorerst bis Ende April. Ab der siebten Liga abwärts wurde die Saison sogar komplett beendet, mit vielen Härtefällen. Absteiger steigen nicht ab, Aufsteiger nicht auf und vermeintliche Meister bleiben ungekürt.

So wie auch Liverpool? "Bei den Fans gibt es schon Sorgen, vielleicht sogar die Angst, dass die Saison eventuell nicht zu Ende gespielt wird", erklärt Journalist und England-Experte Raphael Honigstein der AZ: "Nach 30 Jahren ist man jetzt nur noch zwei Spieltage vom Gewinn der Meisterschaft entfernt. Eine ganze Generation hat also noch nicht erlebt, wie sich der Titelgewinn anfühlt."

Angst um Gesundheit der Menschen überwiegt Sorge um Titel

Es scheint fast, als würde sich ein nationaler Titelfluch für Liverpool fortsetzen. Immer wieder mal waren die Reds in den vergangenen 30 Jahren nah dran, scheiterten aber knapp. Wie 2014, als Klub-Legende Steven Gerrard im entscheidenden Spiel in der Nachspielzeit ausrutschte und so Chelsea London den Sieg und die Meisterschaft ermöglichte. "Bei vielen Fans herrscht unterschwellig, die Angst, dass es nie klappen könnte", sagt Honigstein.

Stand jetzt hätte Manchester United wenig Grund zum Jubeln: In der Premier League geht der Titel an Liverpool, die Champions League haben sie verpasst.

Stand jetzt hätte Manchester United wenig Grund zum Jubeln: In der Premier League geht der Titel an Liverpool, die Champions League haben sie verpasst.

Doch noch gibt es Hoffnung. Wie in der bekannten Klub-Hymne "You'll Never Walk Alone" besungen, warten die Fans auf den "goldenen Himmel" am "Ende des Sturms". Auf eine Fortsetzung der Saison - und den Titel. Andernfalls droht der Liga das Chaos, finanziell wie organisatorisch. Übrigens: Manchester United, zuletzt wieder besser in Form, würde Stand jetzt die Champions League verpassen. Das dürfte auch Daragh Curley nicht gefallen.

Abgesehen davon gibt es in Liverpool gerade Wichtigeres: "Die Angst, wie sich die Krise auf die Gesundheit und die Existenz der Menschen auswirkt, ist auch in Liverpool das deutlich dominantere Thema. Da ist selbst ein möglicher Titel zweitrangig", so Honigstein. So oder so: Die Fans rund um Anfield bangen.

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