Gäuboden aktuell

Titelstory: Essen verwenden statt verschwenden


Waren im Wert von rund 15 Euro - erstanden für drei Euro über die App "too good to go".

Waren im Wert von rund 15 Euro - erstanden für drei Euro über die App "too good to go".

Von Marion Bremm und Redaktion PR und Sonderthemen

Ich war "Leichengräber". Mein Friedhof: Der Kühlschrank in der Gemeinschaftsküche der Redaktion. Bei uns findet man sicher keine ungenießbaren Lebensmittel! Schön wär's, meine Toten waren: ein verschimmelter Käse, eine Flasche ranziges Öl und zwei offene Frischkäseaufstriche, die seit mehr als vier Monaten abgelaufen waren.

Was bei uns im Kleinen passiert ist, ist ein weltweites Problem. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) landen rund 1,3 Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr ungenutzt in der Tonne. Was kann man dagegen tun?

Keine Chance für viele Lebensmittel

Dr. Klaus Breese, Vorstand des ehrenamtlich arbeitende Vereins "G'wandelt wird!" aus Straubing, sieht einen Werteverfall in der Gesellschaft: "Man muss den Menschen wieder beibringen, Respekt vor den Produkten zu haben." Das beginnt für ihn beim Produzenten und endet beim Konsumenten. "Wir haben reichlich Normen, die keinen Sinn ergeben, und bei den Verbrauchern herrschen Idealvorstellungen von Lebensmitteln, die man so nicht unbedingt gutheißen muss." Damit meint Breese immer volle Regale im Supermarkt und makellos aussehendes Gemüse. "Wären die Lebensmittel in Deutschland teurer, so gäbe es wohl auch eine größere Wertschätzung." Doch leider sei "der Druck der Straße noch nicht groß genug", ist sich Dr. Breese sicher.

Bereits entlang der Wertschöpfungskette vor dem Kunden werde zu viel weggeschmissen, sagt Heike Oehler, ein Gründungsmitglied des Vereins. Vieles bekommt der Konsument gar nicht zu sehen. "Damit kann er sich zum Beispiel gar nicht für krumme Gurken entscheiden."

Könnte eine Steuer auf bestimmte Lebensmittel etwas ändern? "Das wäre ein reiner Ablasshandel", sagt Tobias Baumeister, ebenfalls im Verein aktiv. Eher sollte man unter anderem die Preise bei der Fleischerzeugung steigern, so erhöhen sich die Kosten für den Konsumenten auf dieses Lebensmittel ganz automatisch. Ein Luxusprodukt werde Fleisch trotzdem nicht. "Das sieht man an Eiern. Auch hier kann man wählen - und jeder entscheidet, was einem die Haltung der Tiere wert ist."

Auf der Strecke vom Produzenten zum Kunden geht an zahlreichen Stellen Essen verloren.

Auf der Strecke vom Produzenten zum Kunden geht an zahlreichen Stellen Essen verloren.

Was ist "Containern"?

Laut Duden versteht man unter "Containern", dass Personen "weggeworfene, noch genießbare Lebensmittel zum Eigenverbrauch aus dem Abfallcontainer (eines Supermarktes) holen."

Nach derzeit geltendem Recht in Deutschland begeht man damit eine Straftat. Für Heike Oehler unverständlich: "Warum soll es Diebstahl sein, wenn man augenscheinlich Wertloses mit nach Hause nimmt?" Dr. Klaus Breese fragt hingegen, warum es Leute gibt, die containern müssen und nicht einfach der Staat deren Lebensmittel zahlt. Dagegen sieht Tobias Baumeister das unbefugte Einsteigen juristisch als Hausfriedensbruch, während er ethisch anderer Meinung ist.

"Mindestens haltbar bis..." bedeutet nicht "tödlich ab..."

"Quatsch" nennt Oehler das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Dies gibt an, bis wann ein Lebensmittel seine spezifischen Eigenschaften wie Geruch, Farbe und Geschmack behalten soll - es sagt nicht, ab wann ein Produkt zwingend ungenießbar ist. Natürlich müsse sich der Hersteller auf diese Weise absichern. Aber mehr als eine "nette Information" ist das MHD für Oehler nicht. "Die eigenen Sinne sind unser bestes "Selbstsicherungssystem". Rieche der Joghurt noch gut und hat er seinen gewohnten Geschmack, solle man ihn essen.

Genauso sieht das Daniela Krehl, Fachberaterin für Lebensmittel und Ernährung von der Verbraucherzentrale Bayern e.V. Oft verwechselt werde das MHD aber mit dem Verbrauchsdatum. "Das Verbrauchsdatum sollte man einhalten, denn bei sehr empfindlichen Produkten wie Bratwürsten oder Lachs kann man Verdorbenes nicht schmecken und schwere Lebensmittelvergiftungen sind dann keine Seltenheit."

Das MHD ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, jedoch sichert sich der Produzent dadurch ab. "Auch darf der Händler Ware, die das Haltbarkeitsdatum bereits überschritten hat, verkaufen. Er übernimmt hier aber die Garantie, dass die Produkte einwandfrei sind." Wie steht die Verbraucherzentrale zum Mindesthaltbarkeitsdatum? "Wir sehen das Datum als Orientierung für den Verbraucher, wenn er zuhause ist - so weiß ich, welches Produkt ich zuerst gekauft habe und damit auch zuerst verbrauchen sollte", sagt Krehl.

Einige Tipps für den Umgang mit dem Haltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln.

Einige Tipps für den Umgang mit dem Haltbarkeitsdatum auf Lebensmitteln.

Eigene Erfahrung: Die Smartphone- App "too good to go"

Seit 2016 gibt es "too good to go" - eine Anwendung für das Handy mit dem Ziel, Lebensmittel zu retten. Zunächst wählt man seine Stadt aus und sieht dann Supermärkte und Restaurants, die bei "too good to go" registriert sind. In Straubing sind das die Nordsee-Filiale (Ludwigsplatz 32) und der real-Supermarkt (Ittlinger Straße 224). "Es werden immer mehr Leute, die die App nutzen", stellt eine Verkäuferin der "Nordsee" fest, meine erste Anlaufstelle. Mein Smartphone zeigt mir an, dass noch "ein Stück" vorhanden ist - verwunderlich, denn es ist erst 11 Uhr morgens, der Abholzeitraum ist zwischen 18.40 Uhr und 19 Uhr. Was man erhält, ist jedes Mal anders, je nachdem, was nicht verkauft wurde. Bei mir waren es eine Garnelen- Box sowie zwei belegte Fischsemmeln - für nur 2,90 €, die ich vorab über das Smartphone zahle. Anschließend fahre ich zu "real", denn dort kann ich meine vorbestellten "Brot- und Backwaren" zwischen 19.30 Uhr und 20 Uhr abholen. An der Rezeption stehen bereits vier volle Papiertüten zu je drei Euro. Ich bin die Zweite, die sich Johannisbeertaler, zehn Brezen, 1,5 Kilogramm Brot und vieles mehr in einer der Tüten mitnimmt. Keines der Lebensmittel läuft am heutigen Tag ab. "An Obst und Gemüse gibt es meistens genauso viel, ist aber immer sehr schnell weg. Das ist doch eine tolle Sache, das Wegwerfen würde ja in der Seele schmerzen", sagt die Mitarbeiterin hinter der Theke. Und das stimmt. So konnte ich bis Montag Abend, dank Gefriertruhe und einem spontanen Picknick mit Freunden, günstig und gut essen.

Gerade in Straubing gibt es zahlreiche Möglichkeiten, der Lebensmittelverschwendung entgegenzutreten.

Gerade in Straubing gibt es zahlreiche Möglichkeiten, der Lebensmittelverschwendung entgegenzutreten.