Bewertungen im Internet
Im Netz der Restaurantkritiken - Fluch oder Segen?
4. August 2020, 13:58 Uhr aktualisiert am 4. August 2020, 13:58 Uhr
Online-Bewertungen sind ein Phänomen unserer Zeit. Anonym und nicht selten knallhart. Vor allem Gastronomen haben immer wieder daran zu knabbern. Denn Restaurantkritiken können den Ausschlag geben, wenn es um die Entscheidung für oder gegen ein Restaurant geht. Unter Umständen können Kritiken nicht nur geschäftsschädigend sein, sondern auch gesundheitliche Folgen haben, wie der Fall einer Wirtin aus Regensburg zeigt.
Google, Facebook oder das hierzulande etwas weniger weit verbreitete Portal Yelp - auf vielen Plattformen im Netz können Gäste Restaurants bewerten. Ursprünglich war das als Service für potenzielle Gäste und als Anregung für die jeweiligen Gastronomen gedacht. Mittlerweile wird dabei sehr hart ins Gericht gegangen. Und: Das System hat einen faden Beigeschmack, denn man muss kein Gastro-Experte sein oder über Know-How in der Branche verfügen, um die eigene, teils vernichtende Kritik anzubringen. Was zählt, ist allein das persönliche Empfinden. Und schon wird der Daumen wie im alten Rom nach unten oder oben gerichtet. Die "Kampf-Arena" ist mittlerweile vielfach Facebook oder einer der anderen großen US-Anbieter. Das Schnitzel zu dünn, die Pizza zu wenig belegt, das Cevapcici zu klein, das Ambiente nicht ansprechend und die Bedienung sowieso unfreundlich. Der Kunde ist eben König und kann sich alles erlauben - so scheint zumindest die landläufige Meinung zu sein.
Wann man juristisch dagegen vorgehen kann
So kommt es, dass die ohnehin schon durch die Corona-Krise leidgeplagten Gastronomen jeden Tag aufs Neue auf dem virtuellen Prüfstand stehen. Das weiß auch Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga). Er sagt: "Das ist nicht unproblematisch. Zumindest Schmähkritiken, falsche Tatsachenbehauptungen oder Beleidigungen gehen zu weit." Dagegen könne man juristisch vorgehen. Auf einer Stufe darunter bliebe den jeweiligen Gastronomen auch die Möglichkeit, negative Bewertungen, die ihrer Ansicht nach ungerechtfertigt sind, zu kommentieren. Ob das allerdings den gewünschten Erfolg hat, sei dahingestellt.
Die Ausmaße der Kritik im Internet kennt auch Franz Hopper. Seit fast 30 Jahren leitet er den Hotel- und Restaurantbetrieb im Landshuter Hof in Landshut. Demzufolge kann er sich auch noch die Zeit vor Facebook und Co erinnern. "Selbst waren wir davon bis jetzt zum Glück kaum betroffen, aber es hat sich schon was zum Negativen geändert", berichtet Hopper. Kollegen würden ihm häufiger ihr Leid klagen, dass es viel Kritik von Laien hageln würde. Hopper: "Das konnte ich auch schon beobachten. Da fehlen einfach die fundierten Kenntnisse." Und das nicht nur bei negativen Kritiken. "Erst neulich musste ich wieder schmunzeln. Da hat jemand auf Facebook das vermeintlich beste und frischeste Cordon-Bleu in ganz Landshut angepriesen. Aber als gelernter Koch hat man auf den ersten Blick schon gesehen, dass dieses Cordon-Bleu aus der Fritteuse kam."
Internet-Bewertungen als Chance
Franz Hopper sagt aber auch, dass dieses Internet-Phänomen insbesondere bei Neueröffnungen im Vergleich zu früher durchaus auch Vorteile bieten kann. Hopper: "Früher war das bei Neueröffnungen ein längerer Prozess, bis sich gute Qualität rumgesprochen hat. Wenn man aber heute von Anfang an gleich jede Menge gute Bewertungen im Internet erhält, dann ist das eine hervorragende Starthilfe." Doch über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, denn Geschmäcker sind verschieden. So ist man als Wirt schon vom ersten Tag an dem Wohlwollen des Gastes ausgeliefert - und dessen Kritiken. Das treibt mitunter die kuriosesten Blüten. So berichten Gastronomen immer wieder von Kritikern, die noch nie in ihrem Lokal gespeist haben. Und trotzdem gibt es eine schlechte Bewertung.
Was undifferenzierte Bewertungen unter Umständen anrichten können, das lesen Sie im Fall einer Regensburger Wirtin auf der nächsten Seite.
Nervenzusammenbruch, Depression und zehn Wochen Krankenhaus
Dass derlei Auswüchse nicht nur geschäftsschädigend sein können, das musste Conny Sperger am eigenen Leib erfahren. Die 46-Jährige hat Anfang 2016 gemeinsam mit ihrem Ehemann Anton den Spitalgarten in Regensburg übernommen. Unter widrigen Bedingungen. Der Spitalgarten war zwar bereits seit 33 Jahren eine etablierte Größe in der Regensburger Gastro-Szene. Aber eine Baustelle erschwerte den Neustart für das Ehepaar Sperger. Nach nur wenigen Monaten, etwa zu Beginn der Biergarten-Saison im April, gab's dafür auch schon die Quittung im Internet. Es hagelte nur so negative Kritiken. Der Stein des Anstoßes: Wurstsalat in Weckgläsern. Das stieß etlichen Gästen sauer auf. "Wir haben hier knapp 800 Plätze. Um im Tagesgeschäft die Gäste auch bei vollem Biergarten schnell bedienen zu können, hatten wir uns damals für diese Variante mit den Weckgläsern entschieden", erinnert sich Conny Sperger.
Ein "Schnitzel-Post" und die Folgen
So kam der Stein ins Rollen und war nicht mehr aufzuhalten. Plötzlich störten sich Gäste an allem Möglichen. Sperger: "Ein Gast postete auf Facebook, dass er aus der Küche nicht gehört hätte, wie der Koch sein bestelltes Schnitzel geklopft hat. Daraus schlussfolgerte er, dass das Schnitzel bei uns gar nicht selbst zubereitet sein kann." Ein Trugschluss. "Wir haben bei der Anzahl an Plätzen und Bestellungen gar nicht die Zeit, jedes Schnitzel zu klopfen. Daher erledigt das bei uns eine Metallplatte, die das Schnitzel plättet", erklärt Conny Sperger. Doch von all dem kriegen die Gäste draußen am Tisch natürlich nichts mit. Und trotzdem finden Spekulationen und Gerüchte unbeirrt ihren Weg ins Internet. Wie sich die 46-Jährige erinnert, hatte der "Schnitzel-Post" damals innerhalb von nur zwei Stunden knapp 300 Kommentare. Damit einhergehend ein weiteres Phänomen: denn wie die Regensburger Wirtin berichtet, wird heutzutage kaum noch Kritik vor Ort geäußert. Vielmehr wird damit gewartet, bis man vor dem heimischen Rechner sitzt oder man das Lokal verlassen hat, um sich sofort via Handy "an die Arbeit zu machen".
"Ich habe 20 Kilo in sechs Wochen abgenommen"
Seit 21 Jahren ist Conny Sperger mittlerweile in der Gastronomie tätig, aber was sie im Frühjahr 2016 erleben musste, war ihr bis heute eine Lehre. Damals nahm sie sich die unsachlichen Kritiken derart zu Herzen, dass sie im Mai einen Nervenzusammenbruch erlitt und starke Depressionen hatte. Zehn Wochen musste sie in einer Klinik verbringen, fünf weitere in der Reha. Das Erlebte setzte ihr derart zu, dass sie innerhalb von nur sechs Wochen 20 Kilo abnahm. "Seitdem schaue ich mir die ganzen Kritiken auf Facebook gar nicht mehr an. Außerdem arbeite ich nur noch tagsüber", erzählt die 46-Jährige. Lediglich die Kritiken auf Google würde sie einmal pro Woche überprüfen. Dort kann man undifferenzierte Bewertungen zumindest melden. Doch auch das ist meistens ein Schuss in den Ofen, wie Conny Sperger weiß: "Ich habe in der Vergangenheit schon ein paar dieser Kritiken bei Google gemeldet, vom Unternehmen aber nie eine Rückmeldung erhalten." Mittlerweile habe sich die Situation aber ohnehin beruhigt und der Spitalgarten wieder Fuß gefasst in der Domstadt.
Wie man negative Bewertungen zu Geld macht
Dass man negative Bewertungen aber auch ins Gegenteil umkehren kann, zeigt das Beispiel von Davide Cerretini, der 2009 ein italienisches Restaurant in Kalifornien eröffnete. Weil er sich weigerte, Werbungen auf dem Bewertungs-Portal Yelp zu schalten, verschwanden positive Bewertungen innerhalb von Stunden. Stehen blieben stattdessen nur die negativen Bewertungen. Das ließ der Restaurant-Inhaber nicht auf sich sitzen und legte sich mit dem Unternehmen an. Dabei griff er zu kuriosen Maßnahmen. Der Küchenchef stellte ein Schild vor seinem Restaurant auf: "Gib uns eine Ein-Stern-Bewertung auf Yelp und du bekommst 25 Prozent Rabatt auf jede Pizza. Beleidige uns auf Yelp."
Später erhöhte er den Rabatt sogar auf 50 Prozent. Das war nicht nur medienwirksam, sondern schlug ein wie eine Bombe. Immer mehr Gäste schlossen sich an und hinterließen offensichtlich sarkastische negative Bewertungen für das Botto Bistro. Schon bald waren es daraufhin rund 2.000 Ein-Stern-Bewertungen innerhalb kürzester Zeit. Gäste zeigten sich solidarisch und verzichteten sogar auf den Rabatt. Und für den gewieften Gastronom klingelte die Kasse wie nie zuvor.