Armenküche
Schwester Brigitte: "Kloans Weiberl", großes Herz
28. Juli 2018, 10:00 Uhr
Wenn sie nicht so viel gearbeitet hätte, sagt Schwester Brigitte, wäre sie vielleicht größer geworden. Stattdessen wird sie immer kleiner, meint sie lachend. Seit fast 20 Jahren betreibt die kleine, starke Frau die Armenküche des Ursulinenklosters, vor Kurzem ist sie 85 Jahre alt geworden. Wem sie mit ihrer Arbeit nicht helfen kann, sagt sie, für den betet sie zumindest: „Man muss für so viele Leute beten, die koan Herrgott mehr ham, sondern nur schlechte Gedanken, damit’s niemanden umbringen.“ Eine halbe Stunde betet sie jeden Morgen, denn es gibt viele, die keinen Herrgott mehr haben.
Wenn sie in der Zeitung von Einbrüchen oder Überfällen liest, wird sie wütend. „Unserem Land geht’s so gut. Wenn jemand Hunger hat, soll er herkommen. Ich hab noch keinen ausgefragt, ob er arm oder reich ist.“ Wer sich in ihrer Armenküche anständig aufführt, bekommt anständiges Essen. Und wer sich nicht anständig aufführt, fliegt raus. „Ich bin zwar a oids, kloans Weiberl, aber i hab koa Angst“, sagt die kleine Frau und fixiert einen mit ihren wachen Augen für einen Moment, bevor sich ihr Gesicht zu einem gütigen Lächeln entspannt.
68 Jahre „schleppen, so viel schleppen“
Die Kraft hat sie von ihrer Mutter, erzählt Schwester Brigitte. Die Mutter war Älteste von sechs leiblichen Geschwistern und acht neu angeheirateten, arbeitete als Dienstmagd auf Höfen, während die jungen Männer in Schützengräben lagen. „Da können Sie sich vorstellen, was die Frau als Kind schon mitgemacht hat. Und trotzdem ist sie 95 Jahre alt geworden.“
Die Arbeitsmoral ihrer Mutter behält sich Schwester Brigitte seit 85 Jahren: „Ich bin nicht zum Faulenzen geboren“, sagt sie, „sondern zum Arbeiten.“ Von Faulpelzen hält sie überhaupt nicht viel: „Wer nicht arbeitet, soll zumindest in d’Kirch geh’ und beten.“
Mit 17 Jahren, 1950, ist Schwester Brigitte ins Ursulinenkloster gegangen, um beides zu tun: beten und arbeiten. Vor allem arbeiten. Erst drei Jahre lang im damaligen Gemüsegarten, wo heute das Internat steht, danach putzte sie Schulzimmer, pflückte Obst am Thurnhof und trug es kistenweise in den Keller. Einmal fiel sie von einer Leiter am Kirschbaum und brach sich den Knöchel. Sie schleppte Kohle zum Kachelofen, 50 Getränkekästen pro Woche in der Realschule. „Schleppen, so viel schleppen.“
Dann wurde das Ursulinen-Gymnasium umgebaut. Auch eine Armenküche sollte dabei entstehen, zuvor war das Essen über ein Loch in der Pforte ausgegeben worden. Die Oberin fragte die 20 Ursulinen-Schwestern, wer bereit sei, die Arbeit zu machen. „Keiner rührt sich, eine schaut die andere an“, erinnert sich Schwester Brigitte. „Und ich hab meinen Finger gehoben. Ich war die einzige, die den Finger gehoben hat.“ Da war sie 65 Jahre alt.
Für die Wohltäter und die Bekehrung der Terroristen
Nur geputzt und gearbeitet hatte sie vorher, „nix kinna und nix g’habt“. Anfangs kochte sie wenig, weil „kein Geld und keine Sach“ da war. Dann kamen Spender, Wohltäter. „Wenn ich die nicht hätte, könnte ich nicht so viel Gutes tun.“ Darum betet sie morgens für die Wohltäter genauso, wie sie für „die Bekehrung der Terroristen“ betet. „Frau Karl-Fischer von Ihrer Zeitung war die erste, die vor Weihnachten mal reingekommen ist zu mir und mit mir geredet hat“, erzählt Schwester Brigitte. „Mei, hab i mi gfreid.“
Über ihre Wohltäter und die Bekehrung der Terroristen unterhalte sie sich mit Gott immer morgens, nach dem Aufstehen um 5.30 Uhr. „Ich sag immer: Schau, mir geht’s noch so gut, hab mein Verstand, kann was Gutes tun – geh’, hilf dene Leid a.“ Um 6.30 Uhr ist Chorgebet, danach liest sie beim Frühstück Zeitung (und ärgert sich über Verbrecher), dann wird gearbeitet – mit Pause für Kaffee, Zeitung und Nickerchen – bis um 18 Uhr, Abendmesse, dann Abendessen, dann „Dahoam is Dahoam“. „Des gfoid ma scho“, sagt sie und gluckst.
Im Fernsehen schaut sie sonst nur Tierfilme, „Tiere mag ich gern.“ Besonders Vögel, im Garten unterhält sie sich immer mit den Amseln. Bis in den Straubinger Tiergarten sei sie aber noch nicht gekommen. „Früher war’s ein strenges Kloster, da hat man nicht rausgehen dürfen. Und was nützt’s mir jetzt, wenn ich körperlich nicht mehr kann?“
Die Amseln füttert sie und redet ihnen gut zu. Sie werden zutraulich, wenn man sie freundlich behandelt. Aber zu weit darf man es sie nicht treiben lassen, sagt sie, in die Küche dürfen sie nicht. In der Armenküche lernt man die Leute kennen, wie sie sind, erzählt Schwester Brigitte. Ob sie zufrieden sind mit dem, was man ihnen gibt – oder mürrisch.
Angst vor ruppigen Gästen hat sie nicht, betont sie. „Wenn’s keine fünf Minuten warten können, kinnan’s glei geh.“ Und: „Geld gibt’s nicht.“ Und: „Wer fordert, bekommt gar nix.“ Und sowieso: „Wenn mi einer niederschlägt, was hat er dann? Er kommt in den Knast und i darf in Himmel nauf.“
„Meine Helfer sind meine Engel“
Zwischen zehn und 15 Arme speist Schwester Brigitte jeden Montag, Dienstag, Mittwoch und Freitag. Nach dem Mittagessen gibt es noch etwas zum Mitnehmen für später. Rüdiger, seit vier Jahren dabei, und Ingela, seit sechs Jahren, helfen ihr. „Meine Helfer sind meine Engel.“ Treu und ehrlich seien sie, und ehrlich sei wichtig: Ein früherer Helfer habe lange Finger gehabt. „Der ist gut aufgehoben. Knast.“
Nach Operationen am Knie und dem Herzen braucht Schwester Brigitte die Unterstützung, „jeder Schritt tut weh“. „Ich hab immer gehofft: Lieber Gott, vielleicht darf ich doch eher heim. Aber meine Armen draußen sagen immer: ,Schwester, mir brauchma eahna‘.“
Darum hält sie durch. „Ich höre erst zu arbeiten auf, wenn ich nicht mehr aus dem Bett komme“, sagt sie, und lacht. „Solange ich arbeiten kann, hat der Kopf keine Zeit einzurosten.“ Wer soll ihre Armenküche einmal weiterführen, wenn sie nicht mehr kann? Darauf hat Schwester Brigitte noch keine Antwort.
„Der liebe Gott hat noch Freude mit meiner Arbeit.“ Sie sehe an ihren Mitschwestern, dass arbeiten zu können ein Geschenk sei: „Da sind welche fünf Jahre jünger und wissen den Wochentag nicht oder finden die Stelle im Gebetbuch einfach nicht.“ Und um eine Armenküche führen zu können, muss man „den Kopf beinand“ haben. Ihre Mutter wurde 95 einhalb. „Bis 90 is noch ganga, aber die letzten fünf Jahre – Pflegefall“, sagt Schwester Brigitte. „Wenn ich nicht mehr arbeiten kann, dann holst mi hoam.“