Kriminaler in Rente

Franz Listl lebte jahrzehntelang gefährlich


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Zum Abschied haben Franz Listls Kollegen ihm ein Fotobuch geschenkt.

Jahrzehnte lang lebte Franz Listl gefährlich. Er hat als Zivilfahnder Mörder, Räuber und Vergewaltiger festgenommen. Damit möglichst wenige das erleben müssen, was für ihn Alltag war, hat Listl im Auftrag der Kripo Bürger beraten, wie sie ihr Heim gegen Einbrecher sichern können. Im Januar 2018, zu seiner Pensionierung, haben wir uns mit ihm getroffen. Ein Interview über Katzenhäuser, Einbruchsschutz als Christenpflicht und schwere Jungs mit bayerischen Namen.

Franz Listl: Und, haben S’ die Lasershow am Stadtplatz gesehen?

Straubinger Tagblatt: Die Kollegin war da und hat berichtet.

Bei uns haben die Nachbarn im Neubaugebiet an Silvester kräftig geschossen. Ich versteh’s: Die erste Jahreswende im eigenen Haus, vielleicht mit Familie, Freunden.

Die Lage am Ortsrand ist ja einbruchstechnisch eher gefährlich.

Eigentlich schon, aber nicht nur deswegen. Eine neue Siedlung, wo die jungen Herrschaften beide arbeiten müssen, weil sie Schulden wegen des Baus haben. Beide sind Zinsknechte. Wenn sie Kinder haben, dann bringen sie die tagsüber zur Oma. Wenn dann jemand durch dieses Neubaugebiet fährt, sieht er nur die Katzen in den Fenstern sitzen. Lauter Katzenhäuser.

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Listl in seinem Wohnzimmer in Parkstetten. 

Das freut Einbrecher.

Wenn man von seinem Haus Schutz erwartet, muss man aufrüsten. Ein Haus bietet Komfort, Schutz und Ersparnis zur Mietwohnung – da muss man bereit sein, ihm etwas wiederzugeben. Es sollte nicht immer die Pflicht des Bürgers sein, etwas zu tun. Aber er muss natürlich aufpassen auf sein Eigentum. Das steht im Grundgesetz, das steht in den zehn Geboten. Als Christ sollte man schwache Menschen gar nicht erst in Versuchung führen, bei einem einzubrechen.

Eigentlich sollte der Staat das Eigentum der Bürger schützen, nicht er selbst, wie im Wilden Westen.

Der Staat gibt aber sehr viel Geld für andere Dinge aus. Wenn man liest, wer bei den GroKo-Verhandlungen wofür eintritt, sieht man, wo die Reise hingeht. Der Bürger, der alles finanzieren muss, bleibt weiterhin auf der Strecke. Da müsste man andere Schwerpunkte setzen.

Sie haben Einbrecherbanden angesprochen. Die profitieren von offenen Grenzen. Wäre das so ein Schwerpunkt?

Bürger sind so eingeschnürt, dass sie nicht anders können, als rechtschaffen zu sein. Sie wollen ihren Arbeitgeber nicht brüskieren, den Namen ihrer Eltern nicht in den Schmutz ziehen. Man kennt sich. Wer zu uns über die Grenze kommt, den kennen wir oft nicht. Da wissen wir bei manchen nicht mal das Alter. Was Einbrüche angeht, sind seit der EU-Osterweiterung Rumänen und Bulgaren ein Problem.

"Eine Chance, wenn er hat - der macht uns alle"

Wie war es, als schwere Jungs noch bayerische Namen trugen?

Da gab’s den Bernhard G. (Name geändert, d. Aut.). Der hat entlang der B 20 in den 90er Jahren 13, 14 Banküberfälle begangen. Als er danach ausreisen wollte, haben wir ihn ins Amt gelotst, wo er sich einen neuen Ausweis abholen sollte. Da haben wir ihn abgepasst und festgenommen. Oder den Hubert F. (Name geändert, d. Aut.). Der hat 18 oder 19 Überfälle begangen und war immer bewaffnet mit einem Vorderschaft-Repetierer.

Was ist das?

Eine Pumpgun. Die hat er links getragen, mit einer Armbewegung ganz martialisch durchgeladen. Das hört sich in der Bank drin gut an. Da haben die Angestellten teilweise in die Hose gepinkelt. Der „Oschbackert“, nannten wir ihn.

Wieso das?

Er war relativ korpulent.

War er bewaffnet, als Sie ihn festgenommen haben?

Nein. Da lag er im Bett, Mitte 30, im Kinderzimmer in der Wohnung seiner Mama, frisch vom Puff gekommen. Wir haben ihn eine Zeit lang schlafen lassen, damit er noch einen schönen Traum hat. Das wird sein letzter gewesen sein. Wir haben ihn, nackt, wie er war, aus dem Bett gerissen und sind mit ihm die Stiege runter. Unten in eine Decke gehüllt, gefesselt, Kopfmütze auf und fertig. Wir wussten: Eine Chance, wenn wir ihm geben – der macht uns alle.

Wie viel Jahre haben die beiden bekommen?

So um die zwölf, 15 Jahre.

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Wie kommt man solchen Jungs auf die Schliche?

Einer hat die Sparkasse Kirchroth überfallen und 30.000 Mark geraubt. Er hatte sich für den Überfall in Regensburg ein Motorrad ausgeliehen und einen Helm. Darüber sind wir ihm draufgekommen. Wir haben ihn später festgenommen und gefragt, ob er gern Motorrad fährt. Da wusste er, was wir wissen, und dass er jetzt fett ist.

Hatte der auch einen Spitznamen?

Nein. Der war normalfigurig.

Das hört sich alles relativ lässig an. Wurde es auch mal gefährlich?

Ja, in meiner Zeit als Zivilfahnder in München. 4. April 1981, ein Samstag. Anti-Kernkraft-Demonstration vor der Feldherrenhalle. Nach einer Schlägerei habe ich meine Kollegen verloren, der schwarze Block hat mich in einem Hinterhof in die Zange genommen. Sie haben mir eine Drahtschlinge um den Hals gelegt und zugezogen. Rausgehauen haben mich dann Kulissenschieber vom Staatstheater. Sonst hätten mich die da hinten umgelegt.

Was macht das mit einem?

Eigentlich nix. Wenn man’s überstanden hat, freut man sich, geht in die Arbeit und die Kollegen klopfen einem auf die Schulter.

Ok.

"An einer Leine hatte sie ihren toten Hund hängen"

Beim Sprengstoffanschlag auf die Wies’n habe ich beim Autoskooter Distel gerade eine Schlägerei geschlichtet. Am Funk hat’s nur geknistert, weil über uns das Drahtgitter war. Auf der Straße hörte ich dann, alle frei verfügbaren Kräfte nach vorne. Was haben Sie da vorgefunden? Der Platz war relativ leer. Ich dachte mir, große Schlägerei. Aber: Diese Stichverletzungen, die stammen nicht von Schlägen. Also, Messerstecherei. Dann sehe ich einen, dem der Haxen fehlt. Au weh, habe ich gedacht. Keine Messerstecherei. Man steht da, geschockt, gelähmt. Dann hört man die Leute schreien, und nimmt sich einfach der Verletzten an. Ich habe dann einer Frau mit der Krawatte den Oberschenkel abgebunden und mit dem Schlagstock zugedreht. An einer Leine hatte sie ihren toten Hund hängen.

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42 Jahre bei der Polizei bieten reichlich Stoff für ein Fotobuch.

Was haben Sie in Straubing erlebt?

Mörder hab’ ich festgenommen, mei ... Räuber, Einbrecher – Einbrecher auf frischer Tat. Einmal sehen wir zu zweit auf Streife ein eingeschlagenes Fenster an der Handwerkskammer. Von drinnen hören wir Radiomusik. Wir fordern Verstärkung an und gehen rein. Mein Kollege nimmt einen Einbrecher im Videoraum fest, ich gehe der Radiomusik nach. Da sehe ich, wie ein Täter mit einer Axt den Getränkeautomaten aufschlägt. Das Radio hat er angemacht, um seinen Arbeitslärm zu übertönen. Ich schreie ihn an, er erschrickt fürchterlich und macht sich augenblicklich in die Hosen.

So glimpflich ist es ja nicht immer ausgegangen. Wie verändert sich da der Blick auf die Leute, wenn man mit Schwerverbrechern zu tun hat?

Von allen Menschen sind vielleicht drei, vier Prozent polizeilich relevant. Man darf nicht alles schlecht sehen. Aber wenn man mal so einiges erlebt hat, geht die Romantik dahin. Heilige gibt’s vielleicht im Himmel. Herunten hab’ ich noch keinen gesehen.

Also könnte jeder auf die schiefe Bahn geraten?

Grundsätzlich werden nur ganz wenige kriminell. Eine Prüfung ist es doch für viele. Mach ich’s, oder lass ich’s? Die meisten entscheiden sich doch für die Ehrlichkeit.

Also ist es eine Entscheidung?

Ja. „Und führe mich nicht in Versuchung“, heißt es in der Bibel. Der eine kann widerstehen, der andere nicht. Ich meine, es gibt überwiegend ehrliche und anständige Leute. Und es gibt einige wenige, denen muss man ordentlich begegnen, mit allen Mitteln des Rechtstaats.

Lesen Sie oft in der Bibel?

Ja, schon. Schadet nicht. Die Bibel bietet eine Richtung fürs Leben.

Sind Sie Verbrechern gegenüber eher alttestamentarisch eingestellt, Aug’ um Aug’, Zahn um Zahn – oder halten Sie’s mit der Bergpredigt?

Wir müssen uns da von den Verbrechern unterscheiden. Schauen Sie: In der Oberpfalz ist die verkohlte Leiche eines Rumänen gefunden worden, Mitglied einer Einbrecherbande. Diese Banden sind streng hierarchisch organisiert, das wissen wir aus Vernehmungen. Der Capo schickt seine armen Knechte hinaus, und wenn einer zu wenig nach Hause bringt, wird er diszipliniert. Vielleicht einmal geschlagen, vielleicht erschlagen. Und dann findet man eine verkohlte Leiche. Die Capos findet man fast nie.

"Acht Stunden Arbeit für sich - ein, zwei Stunden für andere"

42 Jahre Polizei – was bleibt?

Tolle Erinnerungen, Kameradschaften – Freundschaften. Man hat verlässlich sein Geld verdient, da ist man dankbar dafür.

Kann man den Polizistenblick jemals ablegen?

Der wird mich auch weiterhin begleiten. Dass ich ein bisschen schneller war als die anderen, hat mich überleben lassen.

Wie verbringen Sie nun Ihre Zeit?

Schützenmeister der Donauschützen Reibersdorf bin ich, und Kirchenpfleger in Parkstetten – das macht Arbeit. Zudem bin ich stellvertretender Bürgermeister in Parkstetten, da besuche ich Sitzungen oder gehe mal zu einem Geburtstag. Ich bin in Ausschüssen, Aufsichtsräten – und Familie habe ich auch.

Also weiterhin Einsatz für die Gesellschaft?

Die Gesellschaft gibt jedem etwas. Wenn man Zeit und Lust hat, sollte man der Gesellschaft auch was zurückgeben. Das sage ich auch meinen Kindern. Jeder ist gefordert, jeder sollte nicht nur acht Stunden arbeiten für sich, sondern darüber hinaus eine Stunde oder zwei für die Gesellschaft. Damit’s rund läuft.

Franz Listl war zehn Jahre lang technischer Fachberater bei der Kripo Straubing. In seinen 42 Jahren bei der Polizei war er mehr als 19 Jahre Zivilfahnder, anfangs in München, 16 Jahre davon in Straubing. Das Interview erschien erstmals in der Straubinger Rundschau vom 5. Januar 2018.