Straubinger Tagblatt

"Von Skandal kann keine Rede sein"


Der ärztliche Direktor Dr. Bernd Ottermann

Der ärztliche Direktor Dr. Bernd Ottermann

Von Redaktion idowa

Zu dem Bericht "Es herrscht eine wahnsinnige Wut im Haus" vom 26. Juni in der Straubinger Rundschau über den Anschlag auf eine Pflegerin in der Forensischen Klinik (idowa berichtete) bezieht Ärztlicher Direktor und Maßregelvollzugsleiter Dr. Bernd Ottermann wie folgt Stellung:

Die gewalttätige Attacke auf die erfahrene, seit nunmehr sechs Jahren in der hiesigen Klinik tätige Krankenschwester ereignete sich am Mittwochabend des 6. Januar 2010 (Heilige Drei Könige). Ein psychotischer Patient ging völlig unvermittelt mit Bleistift und zerbrochener Zahnbürste, an die er Metallteile mit Tesafilm befestigt hatte, auf die ahnungslose Krankenschwester los und versuchte, ihr mit den selbst gebauten "Angriffswaffen" ins Gesicht zu stechen. Dank eines Pflegers, der die Gefahr sofort erkannte und beherzt eingriff, erlitt die Mitarbeiterin glücklicherweise nur leichte Hautkratzer. Ihre psychische Traumatisierung ist weitaus schwerwiegender. Der Pfleger, der ihr zu Hilfe kam, zog sich tiefere Schnittverletzungen am Hals und an den Armen zu.

Nachdem der alarmierte Sicherheitsdienst die Situation unter Kontrolle hatte, galt die Priorität ärztlichen Handelns vorrangig den Verletzten. Der diensthabende Arzt widmete sich zunächst der Erstversorgung der Mitarbeiter und veranlasste anschließend die Weiterbehandlung im Elisabeth-Krankenhaus. Danach bewältigte er die medizinische Versorgung des Patienten. Dass dies alles keine leichten Aufgaben waren, versteht sich von selbst. Die beteiligten Mitarbeiter verhielten sich allesamt vorbildlich.

Als man mich einen Tag später von dem Vorfall informierte, brach ich umgehend meinen Urlaub ab, um die nachfolgenden Tage in der Klinik erreichbar zu sein. Wenn man der Klinikleitung heute den Vorwurf macht, dass sie, nachdem die Anzeige bereits erstattet war, nicht noch zusätzlich den aktiven Kontakt zur Presse gesucht hat, so bin ich bereit, dafür die alleinige Verantwortung zu übernehmen. Dies auch deshalb, weil ich während meiner dreitägigen Anwesenheit in der Klinik dazu Gelegenheit gehabt hätte. Insofern muss sich auch niemand sonst als ausschließlich ich selbst verpflichtet fühlen, für diesen Fehler einzustehen und sich dafür zu entschuldigen.

Wenn man fair sein will, muss man der Klinik aber auch zugutehalten, dass ihre schriftliche Anzeige ab dem 7. Januar vorlag. Wenn im Polizeibericht davon nichts erwähnt wurde, ist dies nicht darauf zurückzuführen, dass seitens der Klinik "interveniert" wurde. Die Unterstellung, in manipulativer Weise "Einfluss" auf Strafverfolgungsbehörden genommen zu haben, weise ich mit aller Deutlichkeit zurück! Die hiesigen Strafverfolgungsbehörden haben meine höchste Anerkennung. Insofern bin ich auch fest davon überzeugt, dass man dort jeglichen "Manipulationsversuchen" eine gehörige Abfuhr erteilt hätte. Sämtliche Anzeigeerstattungen, die seit der 20-jährigen Existenz der hiesigen Klinik erfolgt sind, liefen korrekt ab. Die Klinik hat stets eine "Null-Toleranz" gegenüber gewalttätigem Verhalten praktiziert. Ohne Wenn und Aber wurden sämtliche gravierenden Vorfälle angezeigt und auch öffentlich verfolgt. Die Erstattung einer Anzeige ist aus meiner Sicht die "unverhüllteste" Form einer öffentlichen Kenntnisgabe.

Die Strafverfolgungsbehörden werden ab dato in eigener Zuständigkeit tätig und die Klinik hat auf den weiteren Ablauf der Ermittlungen keinen Einfluss mehr. Dies gilt natürlich auch für die freie Entscheidung der Polizei, die erstattete Anzeige im Polizeibericht zu veröffentlichen oder nicht.

Im vorliegenden Fall bin ich davon ausgegangen, dass dies der Fall ist und habe deshalb auch erwartet, dass Presseanfragen in der Klinik eintreffen. Dies war aber weder bis zum 11. Januar noch während oder nach meinem Urlaub der Fall. Dieser Vorgang war aber nicht völlig überraschend. 14 Monate vor dem gegenständlichen Vorfall hatte die Klinik bereits einen ebenso gravierenden Zwischenfall zu verkraften, den sie am 4. September 2008 zur Anzeige gebracht hat. Einen Tag zuvor, am 3. September 2008, waren eine Oberärztin und eine Pflegerin von einem schizophrenen Patienten mit schweren Faustschlägen und Fußtritten traktiert worden. Die beiden Geschädigten erlitten erhebliche Verletzungen und waren längere Zeit dienstunfähig. Auch damals hat die Klinik nichts von der Presse gehört.

Zusammengefasst kann ich nur sagen, dass die Verantwortlichen stets Anzeige erstattet haben und deshalb auch jederzeit korrekt vorgegangen sind. Niemals gab es manipulative Bestrebungen, gravierende Vorfälle "unter der Decke" halten zu wollen. Weder aus Gründen einer "kleinlichen Angst vor einem Image-Schaden" noch aus anderen spekulativen Motiven heraus. Versuche von Manipulationen wären nicht nur aus moralischer Sicht höchst verwerflich, sondern dürften auch hinsichtlich ihrer Erfolgsquote bei null liegen.

Falls in der Vergangenheit jemals Probleme bei der öffentlichen Kundgabe von Vorfällen aufgetreten sind, dann haben diese meist im Bereich der ärztlichen Schweigepflicht oder im Bereich der Respektierung von Opferwünschen gelegen. Aber selbst dann wäre durch entsprechende Anonymisierung ausreichend Schutz zu garantieren.

Wenn der jährliche Herbstbasar bei den Besuchern bisher den Eindruck erweckt hat, dass es innerhalb der Klinik ein "Miteinander" gibt, so ist dieser Eindruck sicher nicht falsch, ungeachtet der Tatsache, dass die Klinikatmosphäre durch die Geschehnisse gelitten hat. Ob der Zusammenhalt der überwiegenden Mehrheit des Personals immer noch in gleichem Maße existent ist, wie dies in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war, löst aber auch Zweifel und Skepsis aus. Wobei der Vorfall vom Januar 2010 deshalb so starke Auswirkungen hatte, weil große Teile des Personals eine offensive Öffentlichkeitsarbeit erwartet hätten. Diesen Punkt kreide ich mir persönlich an, auch wenn es nachvollziehbare Gründe für andere Reaktionen gab.

Die Arbeit im forensisch-psychiatrischen Spannungsfeld erfordert in der gesamten Klinik ein gutes therapeutisches Milieu. Nur so ist ein wirkungsvoller Zugang zu den schwierigen Störungsbildern unserer Patienten möglich. Die Erweiterungen von ursprünglich 140 auf derzeit 240 Behandlungsplätze hat den Belastungsdruck auf unsere Mitarbeiter zweifellos erhöht. Ein zusätzliches Problem besteht auch darin, dass wir (ähnlich wie viele andere Häuser, die unter dem derzeitigen Ärztemangel leiden) erstmals in unserer Geschichte nicht alle Arztstellen besetzen können.

Die Neueinstellungen von erfahrenem Pflegepersonal (inzwischen hat die Klinik etwa 350 Mitarbeiter) lässt mich im Pflegebereich allerdings zuversichtlich in die Zukunft blicken. In den letzten sechs Monaten meiner hiesigen Tätigkeit habe ich mir ohnehin zum Ziel gesetzt, im Rahmen meiner Möglichkeiten den Zusammenhalt unseres Personals zu festigen.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, hat der Samstagsartikel im Straubinger Tagblatt bei mir nicht nur kritische Gedanken und nachdenkliche Gefühle, sondern auch konstruktive Motivationen hinterlassen.