Notzinger Doppelmord
Aus „Verlust einer Plombe“ gemordet
28. Februar 2013, 16:03 Uhr aktualisiert am 28. Februar 2013, 16:03 Uhr
Dem 22-jährigen Christoph W. droht für den grausamen Mord an den Eltern seiner ehemaligen Verlobten die Höchststrafe - sollte die erste Strafkammer des Landgerichts Landshut der Diagnose von Prof. Norbert Nedopil folgen: Der forensische Psychiater der Universität München attestierte W. am Donnerstag eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Diese habe bei der Tat aber eine untergeordnete Rolle gespielt. Christoph W. sei voll schuldfähig.
Dass er am 30. März 2012 in das Haus der Eltern seiner Ex-Freundin in Notzing eingedrungen ist und diese getötet hat, hat Christoph W. zu Prozessbeginn gestanden. Daher geht es jetzt in erster Linie um die Frage, ob er die kommenden Jahre in der Psychiatrie oder lebenslang im Gefängnis sitzen wird. W. hat Heidi und Franz Xaver R. dafür verantwortlich gemacht, dass sich die 18-jährige Cornelia R. zwei Wochen vor der Tat von ihm getrennt hatte. Zur Strafe und aus Rache, so die Staatsanwaltschaft, hat er das Ehepaar nacheinander massakriert. Ist jemand, der so etwas tut, noch zurechnungsfähig?
Prof. Norbert Nedopil, der Christoph W. begutachtet hat, sagt ja. Der 22-Jährige leide an einer Persönlichkeitsstörung, die sich aus emotionaler Instabilität, Minderwertigkeitskomplexen und einem selbstmitleidigem, dramatisierendem Verhalten zusammensetze. "Diese geht aber nicht so weit, dass sie die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt hat." Das Verbrechen war laut Nedopil keine Affekttat. Es habe sich um ein über Stunden hingezogenes Tatgeschehen gehandelt - und das an einem Tag, den sich der Anlagenmechaniker eine Woche zuvor extra bei seinem Arbeitgeber freigenommen hatte. Nach den Morden zwang er Cornelia R., ihm bei der Beseitigung der Leichen behilflich zu sein. "Er hat die Hindernisse, die seinem Lebensziel im Weg waren, einfach beiseite geräumt." Als Lebensziel bezeichnete Nedopil die Eheschließung mit Cornelia R., wobei es nicht um die 18-Jährige als Individuum gegangen sei. Die Idee, ein Haus zu bauen und eine Familie zu gründen, habe Christoph Ws Leben eine Perspektive gegeben. Dieses Ziel habe er auch mit den Vorgängerinnen von Cornelia W. verfolgt. Stets waren es Mädchen, die wesentlich jünger waren als er und noch unerfahren. Jedes Mal, wenn die jungen Frauen aufgrund ihrer Entwicklung mit ihm Schluss gemacht haben, hätte W. wenige Tage später schon wieder neue Partnerinnen gehabt. Nedopil verglich den Vorgang mit dem "Verlust einer Plombe": "Ist das Loch im Zahn wieder ausgefüllt, ist alles wieder gut."
Christoph Ws Leben hatte dringend einer Perspektive bedurft. "Er war von Anfang an der Prügelknabe", sagte Prof. Nedopil. Selbst in der Familie sei er früh zum "einzelgängerischen Außenseiter" geworden. Seine Geschwister seien leistungsfähiger gewesen und daher von den Eltern bevorzugt worden. Seinem Vater habe er es nie recht machen können. Mehrmals habe dieser ihn geschlagen - bis hin zum Armbruch, der nach außen hin als Unfall deklariert wurde. "Ausgerechnet von diesem Mann hat er dann das impulsive und aggressive Temperament übernommen", so Nedopil. Dies alles habe bei der Tat eine Rolle gespielt, aber nicht so weit, dass eine verminderte Steuerungsfähigkeit vorliege. Auch dass der Einfluss von gewaltverherrlichenden Computerspielen Christoph W. zur Tat veranlasst hat - Eine These, welche die Verteidigung ins Spiel gebracht hatte - schloss der Forensiker aus.
Zur Frage einer möglichen Sicherungsverwahrung wollte Nedopil sich nicht festlegen. Die Störung sei behandelbar und verliere mit zunehmender Reife an Brisanz. Aktuell würde er das Rückfallrisiko aber als hoch einschätzen: "Der zweite Mord fällt einem immer leichter als der erste."
Wie berichtet, ist die Nervenärztin, die Christoph W. seit seiner Inhaftierung der Justizvollzugsanstalt Straubing behandelt, anderer Meinung als Nedopil. Dr. Stefanie Richter hält den 22-Jährigen für nicht zurechnungsfähig, wie sie am sechsten Verhandlungstag gesagt hatte. Richter, die sich immer wieder lange mit W. unterhalten hatte, berichtete von "Raptus-artigen Erregungszuständen". Er habe auch im Gefängnis große Probleme, seine Impulsivität im Zaum zu halten; außerdem ritze er sich. Als W. erfahren habe, dass Prof. Nedopil ihn für schuldfähig halte, sei er regelrecht ausgeflippt, so Richter, und mehrmals mit dem Kopf gegen die Wand gerannt. Sie habe sich nicht mehr zu helfen gewusst an diesem Tag. Auch zwei Pfleger hätten ihn nicht beruhigen können. "Selbst unser Fixiersystem hat ihm nicht standgehalten." Sie glaube, dass der Angeklagte eine "gravierende Beeinträchtigung" habe.
Der Prozess wird am Freitag mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft fortgesetzt. Das Urteil soll am 13. März gesprochen werden.