Nach Bruch der Bundesregierung
Welche Gesetze nach Ampel-Aus noch eine Chance haben
12. November 2024, 16:35 Uhr
Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz will noch vor den Neuwahlen einige Gesetze verabschieden. Auch die Opposition sollte ein Interesse daran haben, weil im neuen Bundestag neue Probleme drohen: Der Stimmenanteil für AfD und Bündnis Sarah Wagenknecht könnte so hoch werden, dass es dann keine zwei Drittel-Mehrheit der anderen Parteien gibt, um Änderungen am Grundgesetz vorzunehmen. Dazu kommen Vorhaben, die die Union eigentlich mittragen müsste, weil sie die Bürger etwa bei der Steuer entlasten.
Stärkung des Bundesverfassungsgerichts: Die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts soll gestärkt werden, um das zu verhindern, was etwa in osteuropäischen Staaten schon passiert ist: dass eine Regierung einfach missliebige Richter durch willfährige Parteisoldaten ersetzt. Um das zu erschweren, sollen etwa Amtszeit und Altersgrenze der Richter neu geregelt werden. Dahinter steht auch die Sorge, dass es im neuen Bundestag womöglich eine Sperrminorität von AfD und BSW geben könnte, die dies verhindern könnte. Diese "Stärkung der Resilienz des Bundesverfassungsgerichts" hat bereits die Zustimmung von SPD, Grünen, CDU/CSU und FDP. Sollte also machbar sein.
Steuerentlastungen: Um die kalte Progression auszugleichen, braucht es das "Steuerfortentwicklungsgesetz". Kommt es nicht, müssen die Steuerzahler 7,3 Milliarden Euro "zuviel" bezahlen, deshalb wird das Gesetz von allen Fraktionen unterstützt. Das Problem: Die SPD will das Vorhaben unbedingt mit einer Erhöhung des Kindergelds verknüpfen, die Union lehnt das ab. Die Chancen für das Gesetz sind sehr gut, die SPD kann sich eine Blockade schlicht nicht leisten.
Krankenhausreform: Die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) muss kommen, weil sich sonst die Finanzlage vieler Kliniken noch mehr verschärfen würde. Allerdings gibt es Einwände der Union und falls der Vermittlungsausschuss angerufen wird, ergibt sich ein enormer Zeitdruck. Bis spätestens 20. Dezember müssten Bundestag und Bundesrat zustimmen. Die Krankenhausreform sei so weit fortgeschritten, dass man sie jetzt nicht mehr beiseite lassen sollte, heißt es aus der Union. Auch kritische Fachleute sagen, dass gar keine Reform noch schlechter wäre als die vorliegende.
Krisenfeste Energieinfrastruktur: Um die Energieversorgung in Deutschland krisenfester zu machen, soll das "Kraftwerksicherheitsgesetz" verabschiedet werden: Damit soll die kurzfristige Ausschreibung von wasserstofffähigen Gaskraftwerken beginnen können. Allerdings hinkt das Projekt dem Zeitplan hinterher. Lange Querelen mit der EU-Kommission hatten zu Verzögerungen geführt. Die Zeit drängt, weil Reservekraftwerke den Kohleausstieg abfedern müssen. Auch unionsregierte Bundesländer unterstützen den fertigen Plan, es fehlt noch die vorgeschriebene Anhörung der Verbände und der Länder. Ob die Zeit reicht?
Energiewirtschaft: Einbau von Smart-Metern, Vergütung von Solarstrom, bessere Anreize zum (Ein-)Bau von Speichern: Im Energiewirtschaftsrecht sind viele Änderungen geplant und die Branche wartet fast sehnsüchtig darauf. Der Strommarkt soll damit auch flexibler werden, um Kosten zu senken oder zu dämpfen. An diesem Mittwoch berät das Kabinett, danach könnte der Bundestag entscheiden. Das sollte klappen.
Kohlendisoxidspeicherung: Bislang ist es in Deutschland nicht erlaubt, CO2 aufzufangen und anschließend in tiefen Gesteinsschichten zu speichern. Um die Klimaziele zu erreichen, wollte die Ampel dieses CCS (englisch für carbon capture and storage") erlauben. Die Union unterstützt das Kohlendioxidspeichergesetz, möchte allerdings weniger Hürden aufstellen. Sie könnte zustimmen, denn ändern geht auch später noch.
Deutschlandticket: Das Deutschlandticket soll nach dem Willen von Bund und Ländern ab Januar 58 Euro statt wie bislang 49 Euro kosten. Der Bundestag müsste jetzt noch Restmittel aus 2023 nach 2024 übertragen, andernfalls droht das Deutschlandticket zu scheitern. Eine Blockade wäre komplett unverständlich.
Umsetzung der Asylpolitik: Das Gemeinsame Europäische Asylsystem GEAS wurde verschärft und es muss jetzt in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Union blockiert bislang, weil ihr die Maßnahmen nicht weit genug gehen. Eine kurzfristige Lösung ist nicht in Sicht.
Sicherheitspaket: Da die FDP nun nicht mehr in der Regierung ist, könnte die verbliebene rot-grüne Minderheitsregierung nun den Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag zum blockierten Sicherheitspaket anrufen. Der Bundestag hatte das von SPD, Grünen und FDP nach dem Messeranschlag von Solingen beschlossene Sicherheitspaket im Oktober angenommen. Den Teil, der Pläne für den Abgleich von Fotos und anderen biometrischen Daten im Internet durch die Sicherheitsbehörden betrifft, stoppte dann aber der Bundesrat. Unionspolitiker pochen unter anderem auf einer neuen, rechtlich unbedenklichen Form der Verpflichtung zur Speicherung von IP-Adressen. Nun könnten Bundestag und Bundesregierung in dieser Sache den Vermittlungsausschuss anrufen. Doch nach dem Ampel-Aus ist das ungewiss.
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