AZ-Interview
Verkehrsminister Andreas Scheuer: "Für die Maut habe ich gute Argumente"
30. Oktober 2019, 8:30 Uhr aktualisiert am 30. Oktober 2019, 9:53 Uhr
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zeigt sich im AZ-Interviewund: optimistisch, obwohl ab November ein Ausschuss des Bundestags sein Tun unter die Lupe nimmt - andere Probleme hat er mit einigen Menschen.
München - Andreas Scheuer (45) im AZ-Interview: Der Passauer sitzt seit 2002 für die CSU im Bundestag. Seit März 2018 ist Scheuer Bundesverkehrsminister.
AZ: Herr Scheuer, das Thüringer Wahlergebnis sendet Schockwellen bis nach Berlin. Spüren Sie die auch?
ANDREAS SCHEUER: Das Ergebnis zeigt, was wir für eine Riesenaufgabe haben, 30 Jahre nach dem Mauerfall. Ich sehe in Thüringen und den anderen neuen Bundesländern viele Top-Entwicklungen, die aber nicht wahrgenommen werden. Die Wahlentscheidungen wurden sehr emotional getroffen, harte Fakten spielten offenbar keine Rolle. Die sogenannten etablierten Parteien tun sich schwer, durchzudringen.
Ist es nicht erschütternd, dass über 50 Prozent radikal gewählt haben - Linke oder AfD?
Das ist ein extremes Ergebnis. Ich mache mir große Sorgen, dass wir momentan so viele Spaltungen erleben - nicht nur in Ost und West, sondern auch in Stadt und Land, in Jung und Alt. Gerade in Thüringen wurde sehr altersunterschiedlich gewählt. Wir müssen uns schnell wieder auf die wichtigen Themen konzentrieren, die die Menschen täglich bewegen.
Scheuer: "Wir müssen uns wieder auf die wichtigen Themen konzentrieren"
Ist das Dauergeknirsche zwischen den Parteien der Großen Koalition schuld an dem Thüringen-Desaster?
Schauen Sie, wenn hier, im Werk 1, ein Start-up beginnt und die ganze Zeit nur schlecht über sich selber redet, dann wird wahrscheinlich auch der Kunde irgendwann erkennen, dass die gar nicht an den eigenen Erfolg glauben. Von Anfang an wurde doch nur über die Große Koalition als Notlösung gesprochen. Da spielt auch die Bilanz keine Rolle, nach der wir über 70 Prozent der Wahlversprechen abgearbeitet haben. So schnell wie noch nie. Wenn ich mir ansehe, was alleine in meinem Bereich an Investitionen getätigt wurde. Natürlich alles in einer Zeit von zehn Jahren Wohlstand, der ja nicht im Grundgesetz verankert ist ...
... leider!
Ich mache jetzt seit 2005 Verkehrspolitik. Da gab es beispielsweise die Bankenkrise 2007, 2008, als Automobilbau runterging, die Logistik, der Maschinenbau - und damit auch die Steuereinnahmen schmolzen. Damals haben wir oft Nein sagen müssen zu einem Verkehrsprojekt. Jetzt gibt's kein Nein. Wir investieren!
Aber der Fortschritt mit diesem hohen Tempo überfordert auch viele.
Wenn ich zur TU Hamburg gehe, treffe ich Studenten, die einen autonomen Rennwagen bauen, die mir sagen, sie sind technikverliebt. Das ist die eine Seite. Aber ich mache auch negative Erfahrungen. Wenn ich in Dresden ein in Deutschland einzigartiges Schienenforschungszentrum eröffne, werde ich auf der Straße beschimpft. Gehe ich dann direkt auf diese Menschen zu und frage nach ihrer Lebenssituation, höre ich, dass die Kinder studieren, einer im Ausland, man selber einen Top-Job hat, ein neues Auto besitzt und ein eigenes Haus. Was uns klar sein muss: Wir haben heute so viele Chancen wie nie zuvor und wir vererben unseren Kindern so viele Chancen wie nie zuvor.
Scheuer: "Alle genannten Summen sind spekulativ"
Wenn Ihnen mit so viel Skepsis begegnet wird, reicht es Ihnen dann auch manchmal? Oder denken Sie, dass das eben das Schicksal eines Politikers ist?
"Reicht mir das" ist keine politische Kategorie. Für die einen, dazu zähle ich mich, ist es Ansporn, für andere hat es etwas Demotivierendes. Es gibt aber schon Augenblicke, da frage ich mich, warum wird diese Entwicklung überhaupt nicht zur Kenntnis genommen? Vor dreieinhalb Wochen haben wir zum Beispiel groß vorgestellt, dass jetzt in den Grenzregionen die bessere Mobilfunkabdeckung freigeschaltet wurde. Vorangegangen war ein zehnjähriger Prozess mit der Bundesnetzagentur. Jetzt haben wir zusammen mit den Anbietern den Gordischen Knoten durchtrennt und eine technische Lösung gefunden, damit die weißen Flecken an den deutschen Grenzen verschwinden. Bis darüber erstmals berichtet wurde, hat es drei Wochen gedauert. Das zeigt mir, dass man oft gar nicht bis zu den Bürgern durchdringt mit dem, was man tut. Da müssen wir besser werden.
Nicht nur dort. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic, hat gerade den zu erwartenden Gesamtschaden aus dem Debakel um die gescheiterte Pkw-Maut auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt, die sich aus den entstandenen Kosten sowie Schadenersatzforderungen der Betreiberfirmen zusammensetzt. Das ist eine Menge Holz ...
Ich finde es schon bemerkenswert, dass Oppositionspolitiker so eine Wollust an Mutmaßungen über den Schaden haben. Wir haben bis jetzt keine Forderung der Betreiber, also der Auftragnehmer. Alles, was da bisher an Summen genannt wurde, ist spekulativ. Und aus unserer Sicht haben die Betreiber auch gar keinen Anspruch auf Entschädigung, weil es mehrere harte Kündigungsgründe gibt, unter anderem die Schlechtleistung. Deshalb wird es zum Streit und auch zu einem Schiedsverfahren kommen. Das ist vertraglich so geregelt. Der Ausfall der Einnahmen wäre genauso kritisiert worden, wenn ich keinen Vertrag geschlossen hätte. Die Einnahmen waren in den nächsten Jahren schon verplant für die Infrastruktur, denn die standen im Haushalt, den das Parlament so beschlossen hat.
Fühlten Sie sich zeitlich unter Druck gesetzt, weil die Einnahmen aus der Pkw-Maut schon fest eingebucht waren, bevor der Europäische Gerichtshof letztinstanzlich über deren Rechtmäßigkeit entschieden hatte?
Der Maut wurde breit zugestimmt: Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, EU-Kommission und der Generalanwalt beim EuGH. Wir haben ein ausführliches Risikomanagement betrieben und in vielen Workshops das Risiko eingeordnet. Dass wir in letzter Sekunde verloren haben, steht außer Zweifel. Aber drehen wir's nochmal um: Hätte ich die Hände in den Schoß gelegt und gewartet und das Ganze wäre positiv ausgegangen, dann wäre ich derjenige, der jetzt über einen anderen Fall, nämlich über den milliardenschweren Einnahmeausfall, Rede und Antwort stehen müsste.
Scheuer: "Haben auf alle Frangen möglichst transparent geantwortet"
Wie wird die Sache denn jetzt ausgehen im Untersuchungsausschuss, der im November seine Arbeit aufnehmen wird?
Das ist das parlamentarische Minderheitenrecht. Ich hoffe, dass der Untersuchungsausschuss zu einer Versachlichung in der Debatte führt. Es gab meines Wissens nach noch nie einen Untersuchungsausschuss, bei dem im Vorfeld, also vor Einsetzung, tausende Seiten Akten übermittelt worden sind - allein mehr als 3.000 Seiten Verträge. Alle Dokumente, über die berichtet und die teilweise skandalisiert wurden, wurden von uns bereits vor vielen Wochen übergeben - aus Eigeninitiative, weil wir von Anfang an maximal mögliche Transparenz schaffen wollten. Ich habe nichts zu verbergen.
Angeblich wurden die Treffen mit den Betreiberfirmen nicht vollumfänglich dokumentiert, weshalb sie auch nicht in Ihren Akten stehen können.
Wissen Sie, ich habe jede Woche solche Fragenkataloge vorliegen (zeigt mit den Händen einen hohen Stapel, d. Red.). Wir haben immer auf alle Fragen und auf die, die sich noch daraus ergeben haben, möglichst transparent geantwortet. Wir haben alles auf unserer Website veröffentlicht: die Verträge, parlamentarische Antworten, Gutachten, Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen und vieles mehr. Wir haben eine umfassende chronologische Aufstellung von Beschlussfassungen zur Infrastrukturabgabe veröffentlicht. Ich habe im Verkehrs- und Haushaltsausschuss Rede und Antwort gestanden und im Plenum des Bundestages - alles öffentlich. So werde ich es auch weiterhin machen.
Ganz banal gefragt: Hat Andreas Scheuer in seinem Leben einen Plan B für die Zeit nach der Politik?
Nein, ich mache das mit sehr viel Freude. Und ich denke in A-Plänen.
Scheuer: "Für die Maut habe ich gute Argumente"
Optimist?
Ich bin Realist. Bezogen auf die Maut habe ich gute Argumente. Schauen Sie sich die Debatte zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses an: Da sind ja schon Vorverurteilungen klar formuliert. Das Ziel der Opposition ist der Rücktritt, die Feststellung von Fehlern, noch bevor der erste Zeuge befragt wurde. Da wird eine regelrechte Kampagne gefahren. Das ist ja relativ einfach: Das ist die CSU, das ist Bayern, da wird immer von Bierzelt geredet, von einem ungeliebten Projekt.
Ist die Pkw-Maut tot?
Europa drängt seit über einem Jahrzehnt auf Nutzerfinanzierungssysteme bei Pkw und Lkw. Bei den Lkws haben wir seit Jahren eine funktionierende Einnahmequelle, die uns über 50 Milliarden in die Kassen gespült hat. Ich finde das schon bemerkenswert: Die einen reden über den ökologischen Ansatz bei der Verkehrspolitik. Dabei ist längst bekannt, dass eine Nutzerfinanzierung auch diese Lenkungswirkung hat. Da kann man eine CO2-Komponente einbauen, da kann man viele Anreizsysteme einbauen. In nächster Zeit wird es von jeder Partei einen Vorschlag geben, wie man ein Mautsystem beim Pkw in Deutschland implementieren kann. Da bin ich mir sicher.
Wann kommt die Pkw-Maut endlich? Es ist doch grotesk, dass deutsche Pkw-Fahrer im Ausland geschröpft werden, während Ausländer hierzulande gratis fahren.
Wissen Sie, das wäre in meiner Situation jetzt gerade überambitioniert, auf diese Frage zu antworten. Ich habe mit der gescheiterten Maut genug zu tun.
Lesen Sie hier: Verkehrsminister setzt Bahnchef Ultimatum für Verbesserungen