Wirtschaftspolitik
Scholz will Industrie stärken - aber Kanzler ohne Mehrheit
15. November 2024, 5:30 Uhr
Der Kanzler hat keine Mehrheit - und die Industrie macht Druck. Mehr als eine Woche nach dem Scheitern der Ampel-Koalition berät Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) heute bei einem erneuten Industriegipfel mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und Gewerkschaften. Die Erwartungen sind gedämpft, Ergebnisse werden nicht erwartet. Denn Scholz hat für mögliche milliardenschwere Vorhaben keine Mehrheit mehr im Bundestag. Auch die Finanzierung wäre schwierig.
Nach einem ersten Industriegipfel Ende Oktober hatte Scholz dazu aufgerufen, gemeinsam einen "Pakt für die Industrie" zu schmieden. Daran hält er auch nach dem Aus der Ampel aus SPD, Grünen und FDP fest, wie der Kanzler am Mittwochabend bei einer Feier zum 150-jährigen Bestehen der Wirtschaftsvereinigung Stahl klarmachte. Ziel sei es, den Industriestandort zu stärken und Industriearbeitsplätze zu sichern. Das könnte auch eine Hauptbotschaft der SPD im bevorstehenden Wahlkampf sein. Es gehe vor allem um günstige Energiepreise und verlässliche Netzentgelte, sagte Scholz. Man brauche Klarheit in dieser Frage.
Nach einem ersten Industriegipfel Ende Oktober - als es die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP noch gab - hatte Scholz dazu aufgerufen, gemeinsam einen "Pakt für die Industrie" zu schmieden. Von einem solchen "Pakt" ist nach dem erneuten Treffen nicht mehr die Rede, auch nicht von einer Fortsetzung der Gespräche. Dies war ursprünglich geplant.
Scholz nannte aber konkrete Maßahmen, für die er eintritt. Dazu gehört eine rasche Stabilisierung der Netzentgelte noch in diesem Jahr, wie es hieß. Damit würden Unternehmen bei den Stromkosten entlastet.
Zur konkreten Höhe der Entlastung und der Finanzierung gab es keine Angaben. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) - der erneut nicht beim Industriegipfel war - hatte vorgeschlagen, durch die Verschiebung beim Intel-Chipwerk in Magdeburg frei werdende Fördermittel in Milliardenhöhe zur Senkung der Netzentgelte zu nutzen.
Die Bundesregierung teilte nach dem Industriegipfel weiter mit, die Regierung wolle ein Konzept für einen dauerhaften Deckel für die Netzentgelte sowie für gezielte Entlastung erarbeiten.
Scholz will sich außerdem bei der EU-Kommission dafür einzusetzen, dass Strafzahlungen für Automobilhersteller beim Überschreiten sogenannter Pkw-Flottengrenzwerte zum CO2-Ausstoß vermieden werden. Die für das Jahr 2025 drohenden hohen Strafzahlungen würden zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden bei den Unternehmen führen, hieß es. Weitere Themen des Industriegipfels waren laut Bundesregierung unter anderem Bürokratieabbau und die Verringerung von Berichtspflichten.
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, sagte nach dem Treffen: "Wir haben einige Punkte hervorgehoben, zu denen wir in den verbleibenden Monaten bis zur Wahl noch Handlungsmöglichkeiten sehen." Russwurm sieht Scholz in der Pflicht. Er sagte, es sei nun an der Bundesregierung, politische Mehrheiten für die ihr wichtigen Vorhaben auszuloten.
Wirtschaftsverbände und Unternehmen klagen seit langem über im internationalen Vergleich hohe Strompreise. Vor allem Netzentgelte als Bestandteil des Strompreises steigen, ein Kostentreiber ist der Ausbau des Stromnetzes. Dies gehe zulasten der Wettbewerbsfähigkeit und bremse Investitionen.
Aus Industriekreisen hieß es nach dem Industriegipfel, es gehe nun um einige prioritäre Maßnahmen. Dazu zähle eine Senkung der stark gestiegenen Netzentgelte, um international wettbewerbsfähige Stromkosten zu haben. Für die Stabilisierung der Übertragungsnetzentgelte wurde im Jahr 2023 ein Bundeszuschuss von 5,5 Milliarden Euro geleistet. Aus Spargründen nach einem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts strich die Regierung die Unterstützung.
Mit Zuschuss hätten die Übertragungsnetzentgelte im Mittel bei 3,12 Cent pro Kilowattstunde gelegen, hieß es aus Industriekreisen - nach dem Wegfall des Zuschusses lägen sie im Jahr 2024 im Mittel bei 6,43 Cent pro Kilowattstunde.
Weiter vorgeschlagen werden bessere Abschreibungsmöglichkeiten, um Investitionsanreize zu setzen, sowie eine Ausweitung der Forschungszulage. Außerdem genannt wird in Industriekreisen die Möglichkeit für die unterirdische Speicherung von CO2. Das Lieferkettengesetz sollte bis zur nationalen Umsetzung von EU-Vorgaben ausgesetzt werden.
Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft IGBCE, Michael Vassiliadis, sagte: "Wir haben heute mit Nachdruck deutlich gemacht, dass die Probleme in den energieintensiven Branchen und der deutschen Industrie in Gänze keinen Aufschub dulden." Eine monatelange Hängepartie durch Wahlkampf und Regierungsbildung könne sich Deutschland nicht leisten. Notwendig sei sofort eine Entlastung beim größten Kostentreiber Strom.
Die Erste Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Christiane Benner, hatte vor dem Gipfel bei Scholz vor dem Verlust von Jobs gewarnt: "Jetzt muss gehandelt werden."
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