Antrittsbesuch in Warschau
Scholz weist polnische Reparationsforderungen zurück
13. Dezember 2021, 5:28 Uhr aktualisiert am 13. Dezember 2021, 8:15 Uhr
Der Antrittsbesuch in Polen ist die erste außenpolitische Bewährungsprobe für Kanzler Scholz. Er steckt gleich mehrfach Kritik ein - und schlägt bei einem extrem heiklen Thema eine neue Tonlage an.
Bei seinem Antrittsbesuch in Warschau hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) polnische Forderungen nach Weltkriegs-Reparationen auch mit dem Hinweis auf deutsche Zahlungen an die EU zurückgewiesen. Er unterstrich nach einem Treffen mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die Haltung der Vorgängerregierungen, dass die Frage der Entschädigungen für die von Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg verursachten Schäden rechtlich abgeschlossen sei. Deutschland werde aber "weiter bereit und gewillt sein (...), sehr, sehr hohe Beiträge zur Finanzierung des Haushaltes der Europäischen Union zu leisten", sagte er. Scholz ist der erste Kanzler, der die beiden Themen in dieser Weise verknüpft.
Der dritte Antrittsbesuch des neuen Kanzlers nach weniger konfliktträchtigen Visiten in Paris und Brüssel war die erste echte außenpolitische Bewährungsprobe für ihn. Zwar hatte der SPD-Politiker die Reise als "Freundschaftsbesuch" angekündigt. Es kamen aber eine Reihe Konfliktthemen zur Sprache - vor allem von polnischer Seite:
EU-Pläne der Ampel
Morawiecki bezeichnete die im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP festgehaltenen Pläne zu einer stärkeren Föderalisierung der EU als "Gleichschaltung und Gleichmacherei". In Polen fasse man das als "demokratischen Zentralismus, bürokratischen Zentralismus" auf. Europa werde stark sein als "Europa der Heimatländer".
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und SPD ist vom Ziel einer EU als föderalem europäischem Bundesstaat die Rede. Führende Vertreter der rechtskonservativen Regierungspartei PiS hatten in den vergangenen Tagen der neuen Bundesregierung unterstellt, sie plane den Aufbau eines "Vierten Reichs".
Der polnische Ministerpräsident forderte auch, die Inbetriebnahme der umstrittenen Ostseepipeline Nord Stream 2 zu verhindern. Das Projekt werde die Möglichkeiten Russlands erhöhen, Druck auf die EU auszuüben und die "politische und energetische Schlinge" um die Ukraine zuzuziehen, sagte er. Scholz bekräftigte, dass Deutschland sich auch in Zukunft verantwortlich um das Gas-Transitgeschäft der Ukraine kümmern werde. Man werde die Ukraine auch beim Ausbau erneuerbarer Energien unterstützen. Auf die Forderung Morawieckis, die Inbetriebnahme der Pipeline zu verhindern, ging Scholz nicht ein.
Die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland war bereits vor Wochen fertiggestellt worden. Die Bundesnetzagentur hat bis Anfang Januar Zeit, über eine Betriebserlaubnis für die Röhren zu entscheiden, durch die jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Russland nach Deutschland geliefert werden sollen.
Reparationen: "Meer von Tränen"
Polens nationalkonservative PiS-Regierung thematisiert die Reparationsansprüche an Deutschland immer wieder. Erst kürzlich gab Morawiecki die Gründung eines Instituts zur Erforschung sämtlicher Kriegsschäden bekannt. Für die Bundesregierung ist das Thema rechtlich und politisch abgeschlossen. Sie beruft sich vor allem auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag über die außenpolitischen Folgen der deutschen Einheit von 1990.
In der Pressekonferenz mit Scholz bekräftigte Morawiecki die Reparationsansprüche nicht ausdrücklich. Er sagte aber, er habe mit Scholz über das Thema gesprochen. "Da geht es nicht nur um ein Meer der Tränen unserer Mütter, ein Meer des Bluts unserer Väter, sondern auch um die verlorene Chance einer normalen Entwicklung, die verlorene Freiheit, die verlorene Demokratie und die verlorene Unabhängigkeit."
Rechtsstaatlichkeit: Scholz hofft auf "pragmatische Lösung"
Beim Streitthema Rechtsstaatlichkeit betonte Scholz, er setze auf eine Einigung zwischen der EU-Kommission und Polen. "Europa ist eine Werte- und Rechtsgemeinschaft. Uns verbindet die Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie", sagte er. Deswegen hoffe er auf eine "sehr gute pragmatische Lösung". Polens PiS-Regierung baut das Justizwesen seit Jahren um und liegt darüber im Streit mit der EU-Kommission. Kritiker werfen Warschau vor, Richter unter Druck zu setzen und sich die Justiz gefügig zu machen. Die EU-Kommission hat wegen der strittigen Reformen mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.
Es gibt aber auch Themen, bei denen die beiden Länder größere Einigkeit zeigen. So sicherte der neue Kanzler Polen Unterstützung zu im Streit über den Umgang mit Flüchtlingen, die seit Wochen zu Tausenden versuchen, von Belarus über die EU-Außengrenzen nach Polen oder in die baltischen Staaten zu gelangen. Das Vorgehen des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko sei "menschenverachtend, und wir haben eine gemeinsame Aufgabe, das zurückzuweisen", sagte Scholz. Deutschland wolle solidarisch mit Polen gegen diesen unangemessenen Weg einer "hybriden Kriegsführung" vorgehen. "Es ist wirklich furchtbar, was der Regierungschef von Belarus, Lukaschenko, dort veranstaltet. Er benutzt Menschen für seine politischen Zwecke." Die EU wirft Lukaschenko vor, gezielt Menschen aus Krisenregionen nach Belarus einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen und so die Lage dort zu destabilisieren.