Demonstration in Berlin
Mit Traktoren und Schweinefiguren - Protest für Agrarwende
21. Januar 2023, 18:27 Uhr aktualisiert am 21. Januar 2023, 18:28 Uhr
Mehrere Tausend Menschen haben zur Agrarmesse Grüne Woche in Berlin für mehr Tier- und Klimaschutz in der Landwirtschaft demonstriert.
Der Protestzug mit dem Motto "Wir haben es satt" und 55 Traktoren führte am Samstag zum Brandenburger Tor. Die Forderungen zielten etwa auf das Ende von Riesenställen und einen Stopp des Insektensterbens. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) rief zu mehr Engagement Europas für eine langfristige Ernährungssicherung in Afrika auf. Man müsse von "Krisenhopping" wegkommen. "Getreidesilos bauen, statt Getreidesäcke schicken - darum muss es gehen", sagte er nach einer Konferenz mit internationalen Amtskollegen in Berlin. Bei der Demo hieß es auf Transparenten und Schildern: "Insekten schützen" oder "Agrarindustrie Tötet!" Auf einer Schweinefigur, die über die Straße gezogen wurde, stand: "Massentierhaltung braucht kein Schwein."
Nach Angaben der Veranstalter nahmen rund 10 000 Menschen teil. Die Polizei sprach von gut 7000 Männern und Frauen. Die Demonstration sei friedlich verlaufen. Landwirte überreichten auch eine Protestnote an Özdemir, der dafür aus der Konferenz herauskam. Die Initiative "Wir haben es satt" forderte "faire" Erzeugerpreise und Sozialleistungen, die ökologischen Konsum möglich machen. Mehr Flächen sollten zum Anbau menschlicher Nahrung genutzt werden statt für Futter. Eine Sprecherin sagte nach einem Jahr Ampel-Koalition, man erwarte deutlich mehr von Özdemir und der Regierung. "Das war zu wenig ambitioniert, zu mutlos und zu langsam."
Der Initiative gehören Bauern, Natur-, Umwelt- und Tierschützer sowie weitere Verbände an. Die Demo läuft seit Jahren zur Grünen Woche. Dort präsentieren sich nach zwei Jahren Corona-Pause bis 29. Januar rund 1400 Aussteller. Özdemir nannte es "ein gutes Zeichen", dass viele Forderungspunkte der Demonstration mit der Deklaration der parallel in Berlin tagenden Agrarminister übereinstimmten. In einer Erklärung unterstrichen die Regierungsvertreter aus 64 Ländern das Ziel eines stärkeren Kampfes gegen den Hunger in der verschärften Lage wegen des Ukraine-Kriegs. Nötig seien praxistaugliche Lösungen und mehr Unterstützung besonders für Kleinbauern, sagte Özdemir. Für das global vereinbarte Ziel, den Hunger in der Welt bis 2030 zu beenden, gebe es nur noch acht Ernten.
Özdemir sagte, gerade seien angesichts des Ukraine-Krieges und der Klimakrise so viele Menschen gleichzeitig von Hunger betroffen wie nie zuvor. Rund 800 Millionen Menschen hungerten, zwei Milliarden Menschen hätten keinen dauerhaft gesicherten Zugang zu Nahrung. Dabei könne Landwirtschaft nur erfolgreich zur Ernährungssicherung beitragen, wenn sie zugleich den Planeten erhalte. Auch Länder des globalen Südens hätten ein Recht auf gesunde Ökosysteme.
Der Minister betonte, Deutschland und die EU müssten im Kampf gegen den Hunger in Afrika endlich präsenter sein. "Wir dürfen das Feld nicht den autoritären Staaten überlassen, die dort aktiv sind und durch ihre Investitionen versuchen, neue Abhängigkeiten zu schaffen." Die Bundesregierung vereinbarte dazu mit der Afrikanischen Union eine "Zukunftspartnerschaft", um Ernährungssysteme krisenfester zu machen.
Zentral sei ein Wissenstransfer. Know-how etwa zum Pflanzenschutz gehöre nach Afrika und "nicht primär in die Konzernzentralen, die damit natürlich Geld verdienen wollen". Um Verluste nach der Ernte von bis zu 50 Prozent zu vermeiden, brauche es Lagermöglichkeiten, Logistik und Verarbeitungskapazitäten. Özdemir übte auch Selbstkritik am europäischen Kurs. Man müsse sich fragen, ob Agrarexporte Krisen verstärkten und Abhängigkeiten förderten - indem sie Perspektiven für afrikanische Märkte etwa für Geflügel und Milch vernichteten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterstrich in einer Videobotschaft bei der Konferenz, dass sein Land trotz des russischen Angriffskriegs weiter Lebensmittel für die Welt bereit stellen wolle. Trotz russischer Raketenangriffe auf die Infrastruktur und brutaler Kämpfe in Regionen, die extrem wichtig für die Landwirtschaft seien, bestellten die Bauern weiter die Felder. Er beklagte anhaltende Behinderungen von Exporten per Schiff durch russische Vertreter.