Beziehung nach Brexit
London und Brüssel verschärfen Ton
2. Februar 2020, 20:38 Uhr aktualisiert am 2. Februar 2020, 20:38 Uhr
Am Montag wollen London und Brüssel einen ersten Aufschlag für ihre Verhandlungspositionen bei den Gesprächen über die künftige Beziehung machen. Beide Seiten geben sich hart.
Nach dem Brexit haben London und Brüssel erste Pflöcke für die Verhandlungen über ihre künftigen Beziehungen eingeschlagen und den Ton verschärft. Nach den Ansagen vom Wochenende müsste sich die Wirtschaft auf weniger enge Handelsbeziehungen einstellen als ursprünglich gedacht. Die jeweilige Verhandlungslinie wollen beide Seiten aber erst am Montag umreißen. Bis zum Ablauf der Übergangsfrist Ende des Jahres dürfte es noch viel Hin und Her geben. Bis dahin soll ein Vertrag über die künftige Partnerschaft stehen.
Am Montagvormittag will der britische Premierminister Boris Johnson bei einer Rede vor Unternehmern und Botschaftern seine Position darlegen. Einen Vorgeschmack darauf gab es bereits am Wochenende. Mehrere britische Medien berichteten unter Berufung auf Regierungsquellen, Johnson werde Forderungen aus Brüssel nach dynamischen Anpassungen an EU-Standards zu Arbeitnehmerrechten, Umweltschutz und staatlichen Wirtschaftshilfen eine Absage erteilen. Er strebt demnach eine Handelsbeziehung zur EU nach dem Vorbild Kanadas an.
Auch EU-Unterhändler Michel Barnier hat eine harte Linie für die anstehenden Verhandlungen mit Großbritannien abgesteckt. "Eines ist klar: Die Interessen eines jeden Mitgliedsstaats und all unserer Bürger stehen an erster Stelle", erklärte der Franzose am Samstag auf Twitter. Auch Barnier wird am Montag vorstellen, was er in den Gesprächen mit London erreichen will. Sein genaues Mandat bestimmen jedoch die 27 bleibenden EU-Staaten.
Großbritannien war in der Nacht zum Samstag aus der EU ausgetreten. In einer Übergangsfrist bis Jahresende ändert sich aber im Alltag praktisch nichts. Während dieser Zeit wollen sich beide Seiten über die künftigen Beziehungen einig werden. Neben dem Handel geht es unter anderem auch um Fischereirechte, Sicherheit und den Zugriff auf Datenbanken. Die Frist bis Jahresende gilt eigentlich als viel zu kurz, doch eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Ende Juli offensteht, lehnt Johnson vehement ab. Für Unternehmen bedeutet das weiterhin Ungewissheit.
Sollte es keine Einigung geben, droht ein harter Bruch, der in London inzwischen als Australien-Modell bezeichnet wird. Die EU hat mit dem fünften Kontinent bisher nur ein Rahmenabkommen, das unter anderem technische Hürden betrifft. Im Großen und Ganzen findet der Handel zwischen Europa und Australien auf Grundlage der Welthandelsorganisation WTO statt. Auf Großbritannien übertragen wäre das dann der gefürchtete No Deal.
Das Vorbild Kanada ist unter Brexit-Hardlinern schon lange im Gespräch. Im CETA-Abkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das 2017 vorläufig in Kraft trat, einigten sich Brüssel und Ottawa auf eine weitgehende Abschaffung von Zöllen und weitere Erleichterungen für den Handel. Im Verhältnis mit dem Nachbarn und engen Partner Großbritannien will die EU eigentlich mehr: überhaupt keine Zölle oder Mengenbegrenzungen.
Dafür verlangt Brüssel gleiche Wettbewerbsbedingungen, also die Einhaltung gemeinsamer Standards durch Großbritannien. Johnson will indes möglichst freie Hand bei der Festsetzung eigener Regeln im Produkt-, Beihilfe oder Steuerrecht. Bei einem Abkommen nach dem Modell CETA wäre auch der für das Vereinigte Königreich wichtige Dienstleistungssektor weitgehend ausgenommen.
Nun beginnt die Suche nach einer Kompromissformel. Johnson will den Berichten zufolge zumindest die bisherigen Standards beim Umweltschutz, bei Arbeitnehmerrechten und Lebensmittelhygiene nicht lockern. Damit wäre zwar die Forderung aus Brüssel nach dynamischer Anpassung an sich verändernde EU-Standards noch lange nicht erfüllt, Experten zufolge wäre das aber ein möglicher Ansatzpunkt.
Doch bevor es zu Annäherungen kommt, dürften die Spannungen vorerst noch wachsen. Einem Bericht der "Times" zufolge rief das britische Außenministerium seine Diplomaten auf, sich bei internationalen Konferenzen von der EU-Delegation abzusetzen und auch "nicht schüchtern zu sein", wenn es darum gehe, der EU-Position in außenpolitischen Fragen zu widersprechen.