Konflikte
Iran auf dem Weg zur Atommacht?
4. März 2023, 10:34 Uhr aktualisiert am 5. März 2023, 0:50 Uhr
Erstmals seit einem Jahr reist der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) für Gespräche nach Teheran. Bei Rafael Grossis Besuch geht es angesichts der zunehmenden Uran-Anreicherung und Befürchtungen, dass die Iraner Atomwaffen bauen könnten, unter anderem um intensivere IAEA-Inspektionen in Nuklearanlagen. Was steckt hinter dem Streit?
Irans Atomforschung reicht zurück bis in die Fünfzigerjahre unter der damaligen Monarchie. 1970 ratifizierte das Land den Atomwaffensperrvertrag und verpflichtete sich zur rein zivilen Nutzung von Kernenergie. Fünf Jahre später begann die Konstruktion des ersten und bis heute einzigen Atomkraftwerks in der Hafenstadt Buschehr, der auch mit Hilfe deutscher Firmen gebaut wurde.
Nach der Islamischen Revolution von 1979 und dem Bruch mit dem Westen beschränkte die politische und klerikale Führung in Teheran den Zugang internationaler Kontrolleure immer weiter. Zu Beginn des neuen Jahrtausends gab es den ersten großen Streit über neue Nuklearanlagen - die IAEA war besorgt. 2011 kam die Atomenergiebehörde zum Schluss, dass der Iran bis etwa 2003 geheime Atomwaffenforschung betrieben hatte. Gebaut wurden die Waffen aber nicht.
Der Iran verpflichtete sich 2015 in Wien, sein Atomprogramm einzuschränken. Im Gegenzug wurden UN-Sanktionen aufgehoben, die unter anderem den iranischen Energie- und Bankensektor betrafen. Der Pakt sollte verhindern, dass das Land Atomwaffen entwickelt. Nachdem die USA 2018 unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump aus dem Abkommen ausstiegen, machte Teheran die Beschränkungen rückgängig. Seit Mai 2022 kommen die Verhandlungen nicht mehr signifikant voran.
Das unter dem damaligen Präsidenten Hassan Ruhani geschlossene Abkommen hatte große Hoffnungen geweckt. Viele Iraner feierten den Deal, die Wirtschaft erlebte einen Aufschwung. Heute stehen die Verhandlungen zur Wiederbelebung des Pakts in der Kritik - auch angesichts der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem im Iran. Aktivisten und andere Kritiker fordern, die Verhandlungen mit der Islamischen Republik einzustellen.
Laut dem Wiener Abkommen darf für friedliche Zwecke eine eingeschränkte Menge Uran mit einem niedrigen Reinheitsgrad unter 4 Prozent produziert werden, etwa als Reaktor-Brennstoff. Dafür darf jedoch nur eine Anreicherungsanlage in der Atomanlage Natans mit einer begrenzten Zahl von Zentrifugen betrieben werden. Zusätzlich erlaubte der Iran in dem Abkommen engmaschige IAEA-Kontrollen. Seit 2019 hat der Iran die Auflagen jedoch schrittweise verletzt und unter anderem in einer unterirdischen Anlage in Fordo 60-prozentiges Uran hergestellt - als Schwelle für einen waffenfähigen Reinheitsgrad werden etwa 90 Prozent angesetzt. Zudem wurde ein Teil der IAEA-Überwachungsgeräte abgebaut.
Laut IAEA-Chef Grossi verfügt der Iran über ausreichend Uran für mehrere Atomwaffen, falls derzeitige Bestände noch weiter angereichert würden. Da Anreicherung entlang einer exponentiell aufsteigenden Kurve verläuft, kann 60-prozentiges Material sehr schnell auf 90 Prozent gebracht werden.
Bis zur Entwicklung einer Atomwaffe sei es aber "ein langer und auch politisch schwieriger Weg", sagte Grossi im Januar im EU-Parlament. Der US-Auslandsgeheimdienst habe derzeit keine Hinweise, dass der Iran sich entschieden habe, sein militärisches Atomprogramm wieder aufzunehmen, sagte CIA-Chef William Burns Ende Februar. Sollte Teheran diesen Weg einschlagen, würde es noch mindestens ein Jahr bis zur Fertigstellung einer Atomwaffe dauern, meinte ein hochrangiger europäischer Diplomat diese Woche. Die IAEA ist jedenfalls überzeugt, trotz eingeschränkter Inspektionen waffenfähiges Uran binnen kurzer Zeit entdecken zu können und so der internationalen Gemeinschaft Zeit für Gegenmaßnahmen zu verschaffen.
Ein Diskussionspunkt sind Spuren von 84-prozentigem Uran, die IAEA-Experten vor kurzem in Fordo fanden. Die IAEA will klären, ob die Partikel auf gezielte Anreicherung zurückgehen. Iranische Vertreter sprechen von einem unabsichtlichen Ausreißer. Außerdem hat die IAEA häufigere Inspektionen gefordert. Weiter wartet die Atomenergiebehörde in Wien seit langem auf glaubhafte Antworten zu geheimen nuklearen Aktivitäten, die es in der Vergangenheit gegeben haben soll.
Israel ist davon überzeugt, dass der Iran an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet und sieht sich dadurch als Staat gefährdet, weil die Führung der Islamischen Republik das Existenzrecht Israels bestreitet. Israelische Spitzenpolitiker betonen immer wieder, man werde eine nukleare Aufrüstung Teherans unter keinen Umständen zulassen - daher könne auch ein militärischer Präventivschlag nicht ausgeschlossen werden. Ein möglicher Angriff auf iranische Atomanlagen gilt allerdings als sehr riskant, die Aussicht auf Erfolg als ungewiss. Israel beschuldigt den Iran auch immer wieder der Terrorunterstützung, weil die Führung in Teheran israelfeindliche Gruppen wie die libanesische Hisbollah-Miliz und die im Gazastreifen herrschende militant-islamistische Hamas fördert.