Bundesregierung
In der Ampel knirscht es - Koalition im Konfliktmodus
19. Februar 2023, 13:31 Uhr aktualisiert am 19. Februar 2023, 13:32 Uhr
In der Ampel-Koalition knirscht es. Bei wichtigen Themen und Vorhaben stehen die Zeichen derzeit eher auf rot oder gelb statt auf grün. Sichtbar ist das im zentralen Feld der Haushalts- und Finanzpolitik, aber auch in der Sozial- und Verkehrspolitik. Die Wiederholungswahl in Berlin vor einer Woche war vor allem für die SPD und die FDP ein Fehlstart ins Jahr 2023 mit wichtigen Landtagswahlen im Herbst in Bayern und Hessen. Die FDP flog beim Wahlsieg der Union erneut aus einem Landesparlament, die SPD verlor Stimmen, auch die Grünen hatten sich mehr erhofft. In knapp zwei Wochen hat die Koalition die Möglichkeit, sich bei einer Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg zusammenzuraufen.
Im Zuge der Aufstellung des Bundeshaushalts 2024 sind Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) heftig aneinandergeraten. Im Kern geht es um die Frage, ob und wie mehr Einnahmen geschaffen werden können und welche Vorhaben Priorität haben sollen. Die Ressorts haben zusätzliche Wünsche in Milliardenhöhe.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr warf den Grünen generell vor, gemeinsame Vorhaben zu blockieren. Man habe die Schuldenbremse, den Verzicht auf Steuererhöhungen und die Planungsbeschleunigung klar im Koalitionsvertrag vereinbart, sagte er der "Bild am Sonntag". Die Grünen sorgen sich, dass für ihre Projekte nicht mehr genügend Mittel übrig bleiben. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Zeitung, die sozialen und klimapolitischen Projekte des Koalitionsvertrags seien mit Blick auf die Energiekrise und die steigenden Preise wichtiger denn je.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnte vor weiteren Belastungen. "Der deutsche Staat hat kein Einnahmeproblem", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm der Deutschen Presse-Agentur. Die Steuerquote sei auf dem höchsten Niveau seit Jahrzehnten. "Neue Steuerbelastungen oder gar Steuererhöhungen sind Gift für die Wirtschaft." Habeck hatte unter anderem vorgeschlagen, darüber zu beraten, wie Einnahmen verbessert werden können.
Eine Million Menschen aus der Ukraine und steigende Asylzahlen - viele Kommunen sehen sich unter Druck. Dazu kommt eine kontroverse Debatte nach der Randale in der Silvesternacht in Berlin. Die Grünen hatten sich über Äußerungen von CDU-Politikern empört.
Eine Gruppe von sogenannten Realpolitikern bei den Grünen fordert nun aber einen neuen Kurs in der Migrationspolitik. Es sei auch in Deutschland ein Rechtsruck zu befürchten, falls Bürgerinnen und Bürger weiter ihr Sicherheitsgefühl einbüßten, heißt es in einem Manifest der Gruppe "Vert Realos". "Vert" heißt im Französischen "Grün".
"Es gibt kein klares Integrationskonzept", heißt es darin. "Die Migrantinnen und Migranten wissen nicht, was von ihnen erwartet wird und machen sich mit falschen Hoffnungen auf den weiten Weg." Es werde kaum zwischen Kriegs-, Asyl- und Wirtschaftsmigranten unterschieden.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai begrüßte die Forderungen. Er sagte der dpa: "Wir brauchen dringend in Deutschland eine Migrations- und Integrationspolitik, die im Einklang mit der Realität ist, im Interesse unseres Landes ist und die Sorgen der Bürger nicht ignoriert."
Eines der zentralen sozialpolitischen Vorhaben der Koalition ist die Kindergrundsicherung. Ziel ist es laut Koalitionsvertrag, Familien zu stärken und mehr Kinder aus der Armut zu holen. Diverse Leistungen vom Kindergeld über den Kinderzuschlag bis hin zur finanziellen Unterstützung für Klassenfahrten und Freizeit sollen darin von 2025 an gebündelt werden.
Unklar scheint aber zum einen die Finanzierung zu sein. Zum anderen wies FDP-Generalsekretär Djir-Sarai in der "Rheinischen Post" darauf hin, die Kindergrundsicherung sei in erster Linie eine Reform der Sozialverwaltung. Der Bürokratie- und Leistungsdschungel für Anspruchsberechtigte müsse gelichtet werden, damit das Geld überhaupt ankommen könne. Auf diese Verwaltungsfragen gebe es aber noch keine klaren Antworten, hier müsse das Familienministerium liefern.
Katja Mast, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, sagte der dpa am Sonntag: "Kein Kind soll in Armut aufwachsen. Das ist ein großes Ziel, das sehr entschiedenes, politisches Handeln erfordert. Die Kindergrundsicherung ist dafür das richtige Instrument. Mit der stärksten Kindergelderhöhung seit Jahrzehnten sind wir schon einen wichtigen Schritt gegangen. Weitere müssen folgen." Natürlich müsse sich die Kindergrundsicherung zum richtigen Zeitpunkt im Haushalt abbilden.
Einen Dauerstreit gibt es zur Frage, ob nicht nur Windräder schneller errichtet und Brücken schneller saniert werden sollen - sondern auch Autobahnen schneller gebaut werden sollen. Das fordert die FDP und verweist auf einen laut Prognose langfristig starken Zuwachs des Güterverkehrs auf der Straße. Die Grünen lehnen einen schnelleren Bau von Autobahnen ab. Es geht ums Eingemachte. Die Grüne wollen mehr Anstrengungen im Verkehr, damit Klimaziele eingehalten werden können.
FDP-Chef Lindner betonte als Lehre aus der Berlin-Wahl für die Koalition: "Eine Politik gegen das Auto ist ganz offensichtlich nicht im Interesse der Menschen." Das zielte auch auf die umstrittene Maßnahme der Grünen-Senatorin und Spitzenkandidatin Bettina Jarasch, einen Teil der Friedrichstraße in Berlin-Mitte dauerhaft für den Autoverkehr zu sperren.