Europawahl

EU-Sozialdemokraten wählen Nicolas Schmit zum Spitzenkandidaten


Der Luxemburger Nicolas Schmit (am Rednerpult) gilt als Sympathieträger, ist aber außerhalb der Brüsseler Blase recht unbekannt.

Der Luxemburger Nicolas Schmit (am Rednerpult) gilt als Sympathieträger, ist aber außerhalb der Brüsseler Blase recht unbekannt.

Es ist fast unmöglich, in der Brüsseler Blase jemanden zu finden, der Nicolas Schmit nicht als äußerst netten Mann beschreiben würde. Kein großer Charismatiker, aber zuvorkommend, freundlich, konstruktiv, klug - bei ihrer Bewertung des EU-Arbeitskommissars sind sich Europaabgeordnete sogar fraktionsübergreifend ungewöhnlich einig. Nur: Reicht das, um die haushohe Favoritin, die christdemokratische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, aus dem Amt zu drängen?

Die europäischen Sozialdemokraten hoffen es zumindest nach außen. Sie haben den Luxemburger am Samstag in Rom mit großer Mehrheit zum Spitzenkandidaten für die Europawahl Anfang Juni bestimmt.

Schmit ist es gewohnt, unterschätzt zu werden

Dabei war der Name des 70-Jährigen selbst in Brüssel bislang weitgehend unbekannt. "Nicolas wer?", fragte das Insidermagazin "Politico" nach seiner Nominierung im Januar dieses Jahres.

Aber Schmit ist es gewohnt, unterschätzt zu werden. Und überhaupt: "Wie viele Europäer außerhalb von Deutschland kannten Ursula von der Leyen vor 2019?"

Unterstützung von Scholz und Sánchez

Dementsprechend kämpferisch präsentiert er sich jetzt. "Wir werden nicht zulassen, dass Europa den Weg der Sparmaßnahmen und der sozialen Unterdrückung einschlägt, wie es das während der Finanzkrise getan hat", sagte er am Wochenende bei seiner Parteikongressrede unter anderem vor Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), dem spanischen Regierungschef Pedro Sánchez und Mette Frederiksen, Ministerpräsidentin aus Dänemark.

Nach der Abstimmung in den 27 Mitgliedstaaten im Juni muss der Posten des EU-Kommissionspräsidenten neu besetzt werden. Ernannt werden soll der Spitzenkandidat jener europäischen Parteienfamilie, die bei der Europawahl am besten abschneidet.

In Brüssel gilt er als "Mister Mindestlohn"

Soziale Gerechtigkeit, die steigenden Lebenshaltungskosten, Arbeitsrechte - Schmit füllt die Kernthemen der Sozialdemokraten seit Jahren mit Inhalten. Auch deshalb wird er hinter den Kulissen als "sichere Bank" gehandelt.

Von 2004 bis 2018 Minister für Europa, Migration und Arbeit in der luxemburgischen Regierung, wechselte er 2019 als EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte in die Brüsseler Behörde. Da legte er ein 100-Milliarden-Euro-Programm für Kurzarbeitsregelungen während der Corona-Lockdowns auf und setzte EU-einheitliche Standards für Mindestlöhne durch. Seitdem gilt er in Brüssel als "Mister Mindestlohn".

Im kommenden Wahlkampf will Schmit, der in Südfrankreich studiert und in internationalen Wirtschaftsbeziehungen promoviert hat, denn auch für ein sozialeres Europa eintreten. Zudem sollen Themen wie die Zukunft des Klimaschutzpakets Grüner Deal, der Kampf gegen Rechtsextremismus und die Bedeutung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Fokus der Kampagne stehen.

Die EVP wird die Sozialdemokraten brauchen

"Niemand hat sich in den letzten Jahren so verdient um die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU gemacht", lobte Katarina Barley, die deutsche SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Schmit. Er habe die EU auf soziale Ziele verpflichtet wie die Bekämpfung der Armut oder die Erhöhung der Beschäftigungsquote.

"Außerdem bewegt er sich als gelernter Diplomat sicher auf dem internationalen Parkett und führt Verhandlungen mit Weitsicht", sagte die Vizepräsidentin des europäischen Abgeordnetenhauses. Das sei "von unschätzbaren Wert".

Obwohl einige Beobachter das Programm als "unambitioniert" bezeichneten, sandten die Sozialdemokraten aus Rom eine Botschaft in Richtung der in Umfragen führenden Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der christdemokratischen und konservativen Parteien Europas: Ihr braucht uns. Tatsächlich dürften die Sozialisten mit rund 20 Prozent der Sitze mitentscheidend bei der Kompromissfindung auf EU-Ebene bleiben und das noch mehr, sollte das Parlament den befürchteten Rechtsruck erleben.