AZ-Interview

Entwicklungsminister Gerd Müller: "Die Lage ist sehr ernst"


Heikles Thema Kohle-Strom: Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG.

Heikles Thema Kohle-Strom: Wasserdampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG.

Von Anne Hund / Stadtviertel

Was der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller vom Klimagipfel in Polen erwartet - und wo die Herausforderungen dabei liegen. Lesen Sie das AZ-Interview.

Herr Müller, Sie kehren gerade vom Weltklimagipfel in Kattowitz zurück. Sind von dem Treffen mehr als Lippenbekenntnisse zu erwarten?
GERD MÜLLER: Der Klimagipfel von Kattowitz muss die Trendwende bringen. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist auf Rekordhöhe und steigt weiter. Die Entwicklung der drei Jahre, die seit dem Klimagipfel von Paris vergangen sind, ist absolut nicht befriedigend. Von Kattowitz muss daher ein Signal ausgehen, die Beschlüsse von Paris verbindlich und vor allem schneller umzusetzen.

Weltweit scheint die Bereitschaft zum Klimaschutz derzeit aber eher zurückzugehen. Trügt der Eindruck?
In der Tat ist die Lage sehr ernst. Das Ziel, die Erderwärmung auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, gerät zunehmend außer Sichtweite. Von 184 Ländern, die das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet haben, erfüllen derzeit nur 17 ihre Zusagen.

Auch Deutschland ist längst nicht mehr das Klimaschutz-Musterland.
Leider bleibt auch Deutschland hinter seinen selbst gesteckten Zielen zurück. Aber das werden wir aufholen. Mit dem Klimaschutzgesetz, das die Bundesregierung im kommenden Jahr verabschieden wird, werden wir den Schritt von der Freiwilligkeit zur Verbindlichkeit vollziehen. Dann werden die Klimaschutzmaßnahmen überprüfbar. Diese Verbindlichkeit muss künftig in allen Staaten gelten. Dazu soll in Kattowitz der Fahrplan erstellt werden.

Und wenn das nicht gelingt?
Wir müssen verstehen, dass der Klimaschutz die Überlebensfrage der Menschheit ist. Die reichsten zehn Prozent der Welt verursachen 50 Prozent der CO2-Emissionen. Die Hauptleidtragenden sind aber die Menschen in Entwicklungsländern mit den niedrigsten Emissionen. Sie verlieren durch den Klimawandel ihre Lebensgrundlage. Kürzlich habe ich die Tschad-Region besucht. Dort ist seit drei Jahren kein Regen mehr gefallen. Die Pflanzen sind verdorrt, Tiere liegen tot am Straßenrand. Eine absolute Katastrophe für die Menschen. Über 20 Millionen Klimaflüchtlinge sind allein in dieser Region unterwegs.

Wichtig für den Klimaschutz wäre ein Ausstieg aus der Kohle-Energie. Warum bewegt sich in dieser Hinsicht weltweit so wenig?
Das zeigt sich gerade hier in Kattowitz. Im Zentrum des schlesischen Kohlereviers kann man buchstäblich riechen, welche große Rolle die Kohle noch spielt. Polen deckt 80 Prozent seines Energiebedarfs aus Kohle. Deswegen müssen alle europäischen Länder jetzt in Sachen Kohleausstieg ihre Hausaufgaben erledigen. Auch, um mit gutem Beispiel in der Welt voranzugehen. Es ist ja richtig, dass wir über den Ausstieg aus der Kohlekraft diskutieren. Doch viel entscheidender ist es zu verhindern, dass Entwicklungs- und Schwellenländer überhaupt erst in die Kohle einsteigen.

Um welche Dimensionen geht es hier?
600 Millionen Afrikaner haben noch keinen Stromanschluss. Und die Bevölkerung wird sich bis 2050 auf dann 2,5 Milliarden verdoppeln. Wenn zukünftig jeder Haushalt eine Steckdose auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1000 neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Alle Klimaziele würden damit in weite Ferne rücken. In Indien oder China ist die Lage ähnlich. Die Zukunft unseres Klimas entscheidet sich dort.