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Belastungstest irreguläre Migration: Asylrecht einschränken?
17. März 2023, 6:00 Uhr aktualisiert am 17. März 2023, 12:33 Uhr
Großbritannien will Migranten ohne Visum, die über den Ärmelkanal ins Land kommen, schnell nach Ruanda ausfliegen. Auch in Deutschland und der EU wird fieberhaft nach Lösungen gesucht, die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge zu begrenzen. Denn viele Aufnahmeeinrichtungen sind überlastet, Kommunen fühlen sich allein gelassen, die Länder fordern mehr Geld vom Bund. Kommt das britische Modell auch für die EU in Frage?
Die Anspannung in Brüssel ist groß. Erst im Februar rief Ratschef Charles Michel einen EU-Sondergipfel zum Thema Migration ein. Grund dafür sind fast eine Million Asylanträge im vergangenen Jahr, so viele wie seit 2016 nicht. Hinzu kamen fast vier Millionen Menschen aus der Ukraine, die in der EU zwar keinen Asylantrag stellen müssen, aber auch untergebracht und versorgt werden sollen.
Ein Problem für Länder wie Deutschland, Belgien und die Niederlande ist vor allem die sogenannte Sekundärmigration - also das unerlaubte Weiterziehen von Asylsuchenden von einem EU-Land ins nächste.
Die europäischen Dublin-Regeln sehen im Prinzip vor, dass jeder in dem EU-Staat, in dem er zuerst registriert wird, seinen Asylantrag stellen muss. Manche Asylbewerber vermeiden eine Registrierung deshalb, etwa in Italien oder Griechenland.
Das hat vor allem zwei Gründe: Entweder, jemand möchte wegen Verwandten oder Freunden nach Deutschland. Oder er oder sie erhofft sich hier bessere Chancen auf einen gut bezahlten Job beziehungsweise eine bessere Versorgung durch den Staat. In Griechenland etwa sind die Bedingungen selbst für anerkannte Flüchtlinge schwierig.
Das liegt unter anderem sicher an einem Nachholeffekt: Durch die Corona-Reisebeschränkungen konnten viele geflüchtete Menschen das von ihnen angestrebte Zielland in den vergangenen Jahren nicht oder nur mit Verzögerung erreichen. Doch auch Faktoren wie die durch das Erdbeben noch einmal verschärfte Wirtschaftskrise in der Türkei, wo viele Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan leben, spielen eine Rolle.
Im Februar gingen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) 26.149 Asylanträge ein. Rund 24.000 davon betrafen Menschen, die erstmals in Deutschland einen Asylantrag stellten - zum Vergleich: Im Februar 2022 waren es 13.915.
Grundsätzlich kann zwar jeder ein Schutzersuchen stellen. Allerdings gelten die EU-Staaten sowie acht weitere Länder in Europa und Afrika als sogenannte sichere Herkunftsländer, bei denen davon ausgegangen wird, dass ein positiver Asylbescheid bei Antragstellern aus diesen Staaten sehr unwahrscheinlich ist. Ist ein anderer EU-Staat nach den sogenannten Dublin-Regeln für das Asylverfahren eines Antragstellers zuständig, kann der Schutzsuchende dorthin zurückgeschickt werden. Allerdings klappt das häufig nicht, vor allem bei Italien.
Länder und Kommunen wollen vom Bund mehr Geld, um etwa Unterkünfte, Kita-Plätze und Integrationskurse zu bezahlen. Doch es geht nicht nur um Geld. Die Kommunen wollen zudem, dass Asylbewerber mit schlechter Bleibeperspektive in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben, idealerweise bis zu ihrer Ausreise oder Abschiebung.
Die Argumentation: Dadurch blieben mehr Kapazitäten vor Ort, um sich um Menschen zu kümmern, die länger in Deutschland bleiben. Der Deutsche Städtetag hat zudem vorgeschlagen, der Bund solle selbst Einrichtungen für eine Unterbringung von Flüchtlingen bereithalten.
An Innenministerin Nancy Faeser geht außerdem die Aufforderung, vor allem auf EU-Ebene dafür zu sorgen, dass die Zahl der Asylbewerber nicht weiter steigt. Vor allem Unionspolitiker wollen außerdem, dass Faeser bereits zugesagte Aufnahmeprogramme stoppt, etwa für Menschen aus Afghanistan oder für Bootsflüchtlinge aus Italien.
Faeser wird nicht müde, im Kreis ihrer EU-Kollegen Solidarität bei der Aufnahme Schutzsuchender einzufordern. Allerdings hat die SPD-Politikerin kaum noch Mitstreiter an ihrer Seite. Über eine verbindliche Quote will in Brüssel ohnehin niemand mehr reden.
Doch auch auf freiwilliger Basis nehmen kaum noch Staaten Asylsuchende aus den Ländern an den Außengrenzen, die besonders unter Druck stehen, auf. Ein Beispiel dafür ist ein im Juni 2022 beschlossener Mechanismus, der damals als Erfolg galt: Demnach wollen 13 Staaten innerhalb eines Jahres 8000 Asylbewerber aus Italien und anderen Außengrenzstaaten aufnehmen. Tatsächlich sind es bislang nur einige Hundert - von ihnen hat Deutschland den Löwenanteil übernommen.
Die meisten Länder setzen auf einen restriktiven Kurs in der Asylpolitik. Sie fordern, dass Zäune an den Außengrenzen aus dem EU-Haushalt bezahlt werden. Österreich fordert die Möglichkeit zur Zurückweisung von Migranten an den Außengrenzen - dabei muss es nach internationalem Recht erlaubt sein, einen Asylantrag zu stellen.
Derzeit ziehen viele Migranten von den Außengrenzstaaten wie Italien und Griechenland weiter in Länder wie Deutschland, Österreich oder die Niederlande. Faeser forderte die Regierung in Rom deshalb zuletzt erneut dazu auf, Asylbewerber zurückzunehmen. Das Land hält sich allerdings schon seit Monaten nicht mehr an diese Regel. Derzeit müssten 9000 Migranten aus Deutschland nach Italien zurück.
Eigentlich verhandeln die EU-Staaten und das Europaparlament derzeit über eine umfassende Reform der Asyl- und Migrationspolitik. Da es jedoch nur langsam Fortschritt gibt, wird zusätzlich an kurzfristigen Maßnahmen gearbeitet. Dazu gehört es unter anderem, mehr abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Denn die sogenannte Rückführungsquote der EU ist notorisch niedrig, zuletzt lag sie bei 21 Prozent. Dafür soll etwa über die Visa-Politik Druck auf die Herkunftsländer gemacht werden, damit sie ihre Landsleute wieder zurücknehmen.
Auch die EU-Grenzschutzagentur Frontex soll häufiger für Sammel-Abschiebungen eingespannt werden. Gleichzeitig sollen Abschiebe-Entscheidungen anderer EU-Staaten häufiger von anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Dies würde die Sekundärmigration, die Deutschland, Belgien und den Niederlanden ein Dorn im Auge ist, unattraktiver machen.
In Großbritannien Asyl zu beantragen, soll nach Plänen der Regierung deutlich schwieriger werden. Stattdessen sollen Migranten, die über den Ärmelkanal ins Land kommen, so schnell wie möglich nach Ruanda ausgeflogen werden, wo ihr Asylantrag bearbeitet werden soll.
Dass es dazu in Deutschland oder der gesamten EU kommt, ist nicht zu erwarten. Faeser hofft weiter auf Fortschritte bei der Asylreform. EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas sagte mit Blick auf derlei Pläne jüngst: "Das ist nicht unser Europa. Das ist nicht die europäische Lebensart."