Urteil

Lebenslange Haft für Brüder nach Ermordung der Schwester

Nach der Flucht aus Afghanistan beginnt die 34-Jährige Schritt für Schritt ein freieres Leben. Das ist ihr Todesurteil. Davon ist ein Berliner Gericht überzeugt.


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Das Urteil im Prozess nach dem gewaltsamem Tod einer Afghanin ist gefallen.

Zwei Männer ziehen einen ausgebeulten Koffer zwischen vielen Menschen auf den belebten Bahnhof Berlin-Südkreuz und steigen in einen ICE nach Bayern. Rund eineinhalb Jahre nach den Aufnahmen von Überwachungskameras hat das Landgericht Berlin die beiden Brüder wegen gemeinschaftlichen Mordes jeweils zu lebenslanger Haft verurteilt.

Nach Überzeugung der Richter haben die 27 und 24 Jahre alten Männer ihre Schwester im Juli 2021 ermordet, weil die zweifache Mutter ihr Leben nach eigenen Vorstellungen führen wollte. "Dieses Recht, dieses Lebensrecht, haben sie ihr abgesprochen", sagte der Vorsitzende Richter Thomas Groß am Donnerstag bei der Urteilsverkündung. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Nach 42 Verhandlungstagen und der Vernehmung von 52 Zeugen zeigte sich das Gericht überzeugt, dass die 34-Jährige sterben musste, weil ihr Leben nicht den Moralvorstellungen der afghanischen Familie entsprach. "Sie haben sie nur getötet, weil sie sich nicht Ihrer archaischen Lebensführung unterwerfen wollte", so Richter Groß. "Das ist zutiefst verabscheuungswürdig."

Die Brüder hätten ein "strenges Regime" geführt, um ihre Vorstellungen umzusetzen. "Sie überwachten, kontrollierten, schikanierten ihre Schwester und auch deren Tochter", sagte der Richter. Aus Sicht des Gerichts ist denkbar, dass es für die Tötung einen Auftrag aus der Herkunftsfamilie gab - oder aber die Männer handelten im "vorauseilenden Gehorsam".

Der Fall hatte eine Debatte um den Begriff "Ehrenmord" und die gescheiterte Integration von Flüchtlingen ausgelöst. Die Frau und die Brüder waren vor einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Die Frau war als 16-Jährige zwangsverheiratet worden, hatte sich nach ihrer Flucht nach Deutschland von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt und in einen anderen Mann verliebt.

Die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes wertete das Urteil als wichtiges Signal. "Patriarchale Strukturen, die Mädchen und Frauen einen geringeren Stellenwert als Männer zuweisen, haben keinen Platz in unserer Gesellschaft", hieß es. Für das Jahr 2022 hat die Organisation bundesweit bislang sieben Opfer (vier Frauen, drei Männer) versuchter oder vollzogener Morde vermeintlich im Namen der Ehre recherchiert.

Der ältere Bruder hatte im Prozess die Tötung der Schwester gestanden, dabei aber eine Art Unfall in einem Streit geschildert. Sein Bruder sei nicht beteiligt gewesen, so der 27-Jährige. Seine Anwälte verlangten einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge und eine Haftstrafe von maximal fünf Jahren. Die Verteidiger des jüngeren Angeklagten plädierten auf Freispruch.

Das Gericht folgte mit seinem Urteil jedoch dem Antrag von Staatsanwältin Antonia Ernst. Die Brüder hätten die Frau "bestrafen und als Familienmitglied entfernen wollen", sagte Ernst in ihrem Plädoyer. Die Geschichte des älteren Beschuldigten sei "erstunken und erlogen", so Richter Groß.

Das Opfer sei traditionsbewusst gewesen, habe aber einen Weg in ein freieres Leben gesucht und "peu à peu die Grenzen des Erlaubten ausgedehnt", sagte er bei der Urteilsverkündung. Als die 34-Jährige nach der Scheidung eine neue Beziehung eingegangen sei, sei der "Schandfleck" für die Brüder zu groß geworden. Gemeinsam hätten sie die Ermordung der Schwester, die damals mit ihren beiden Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin lebte, vorbereitet.

Am 13. Juli 2021 haben sie dann laut Urteil die 34-Jährige in eine Falle gelockt und im Zimmer des jüngeren Bruders in einer Unterkunft in Neukölln umgebracht. Ihre Leiche hätten sie dann in einem Koffer per ICE nach Bayern gebracht. Aufnahmen von Überwachungskameras zeigten die Männer im belebten Bahnhof Berlin-Südkreuz. Die Fahrt ging nach Bayern, wo der ältere Bruder damals lebte.

Rund drei Wochen später fanden Ermittler die Leiche der Frau in einem Erdloch am Rande eines Schuttablageplatzes nahe dem Ort Holzkirchen, knapp 30 Kilometer von Donauwörth entfernt. Die Freundin des älteren Bruders hatte sie dorthin geführt. Hände und Füße, Mund und Nase waren demnach mit Klebeband umwickelt, um den Hals des Opfers war ein Kopftuch geknotet. Die Bergung der Leiche dauerte vier Stunden. Polizeibeamte hielten sie in 75 Bildern fest.

Als die Fotos im Prozess gezeigt wurden, hielt sich einer der Brüder die Augen zu, der andere wirkte erst wie erstarrt und schaute dann weg. Unter einem Tape am rechten Handgelenk wurde die abgerissene Fingerkuppe eines Einweghandschuhs gefunden. Es wurde DNA des jüngeren Bruders daran sichergestellt.

Die Kinder der Getöteten waren Nebenkläger im Prozess und leben nach Angaben ihres Anwaltes Roland Weber bei dem Vater - ohne weiteren Kontakt nach Afghanistan. In richterlichen Vernehmungen im November 2021 fanden sie beeindruckende Worte. Seine beiden Onkel seien "schlechte Menschen", sagte der damals 14-jährige Sohn. Sie hätten seine Mutter geschlagen, kontrolliert, ihr einen Freund verboten, ihr gedroht. Die Tat habe "nichts mit Ehre zu tun, sondern mit Ehrlosigkeit". Seine Mutter sei eine sehr gute Frau gewesen.

Seine damals 10 Jahre alte Schwester schilderte, ein Onkel habe sie zwingen wollen, ein Kopftuch zu tragen. Ihre Mutter habe Übergriffe ihrer Brüder erduldet und nicht zur Polizei gehen wollen. "Die waren so gemein zu ihr, aber sie hat sie trotzdem geliebt."